Überforderung, Personalwechsel und Beziehungsabbrüche: All das gehört laut Volksanwaltschaft zum Alltag in sozialpädagogischen Einrichtungen.

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Grobe Mängel in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen: Dieser Befund kam bereits im Sommer vom Dachverband der Kinder- und Jugendeinrichtungen, der damals wegen Personalnot Alarm geschlagen und Gefährdungsmeldungen ausgeschickt hatte. Am Mittwoch machte die Volksanwaltschaft in einem Bericht auf weitere Missstände aufmerksam. Nur die Hälfte aller Beschäftigten verfügt demnach über eine entsprechende sozialpädagogische Ausbildung. Das und die Tatsache, dass zu wenig Personal vorhanden ist, habe zu zahlreichen Polizeieinsätzen geführt, teilte Volksanwalt Bernhard Achitz (SPÖ) bei einem Pressegespräch mit.

Häufige Polizeieinsätze

Ausgangspunkt für die Kontrollen der Volksanwaltschaft war der föderale Fleckerlteppich in Österreich: Sowohl bei der Ausbildung als auch bei der Qualifikation des Personals agiert jedes Bundesland unterschiedlich. Denn: Kinder- und Jugendhilfe ist in Österreich Ländersache. "Wir haben uns daher angeschaut, ob die Qualifikationen der Beschäftigten den konkreten Bedingungen in ihren WGs entsprechen", sagte Achitz. 131 sozialpädagogische Wohngemeinschaften wurden dafür seit August 2021 kontrolliert.

Was dort festgehalten wurde, hat sogar Achitz "überrascht". In 41 Prozent der Einrichtungen musste die Polizei gerufen werden. Mehrere Einrichtungen gaben an, dass Polizeieinsätze sogar wöchentlich bis monatlich stattgefunden haben. Ähnlich verhält es sich bei den Psychiatrieeinweisungen – in 42 Prozent der Einrichtungen kam es in den vergangenen sechs Monaten zu einer Einweisung.

Hälfte der Personals ausgebildet

Ein Grund dafür sei die mangelhafte Ausbildung des Personals: "Es gibt Träger, in deren WGs nicht eine einzige Betreuerin mit sozialpädagogischer Ausbildung arbeitet", sagt Gerald Herowitsch-Trinkl vom Dachverband Österreichischer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen (DÖJ). In Summe gab nur die Hälfte der Befragten an, eine sozialpädagogische Ausbildung zu haben. Seit Jahren werde viel zu wenig geeignetes Fachpersonal ausgebildet, kritisiert Herowitsch-Trinkl. Dabei bräuchten gerade diese schwer traumatisierten Jugendlichen professionelle Unterstützung.

Die Personalnot ist ein weiterer Faktor: "Sind zum Beispiel die Beschäftigten mit zehn Kindern in einer WG allein, können sie gar nicht anders, als permanent in Überforderungssituationen zu kommen." Wie sich das auf die Kinder auswirken würde, hat Herowitsch-Trinkl, der selbst in einer Einrichtung im Burgenland arbeitet, ebendiese gefragt. "Man kann nicht mit jemandem reden" oder "Man fühlt sich ungerecht behandelt, wenn keiner Zeit für einen hat", lauteten etwa die Antworten der Kinder und Jugendlichen im Alter von acht bis 17 Jahren.

Fluktuation verunmöglicht Beziehungsarbeit

Diese Arbeitsumstände führen auch zur hohen Fluktuation im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe: In fast 80 Prozent der Einrichtungen kam es zu einem Wechsel im Team. "Das spricht nicht dafür, dass eine kontinuierliche Beziehungsarbeit mit den Jugendlichen möglich ist", gibt Volksanwalt Aichitz zu bedenken. Dabei seien stabile Beziehungen für Kinder in Fremdbetreuung entscheidend. Häufige Wechsel bei den Pädagogen mache selbst harmonische Gruppen unruhig und deren Betreuung herausfordernder, fügt Herowitsch-Trinkl hinzu. Jeder Beziehungsabbruch bedeute letztlich eine Retraumatisierung für die Jugendlichen.

All das hätte jedenfalls zur Folge, dass Menschenrechtsverletzungen wie das Einsperren von Kindern in ihren Zimmern oder das Verabreichen von beruhigenden Medikamenten so möglich gemacht werden könnten. Die Volksanwaltschaft empfiehlt daher eine rasche Verbesserung der Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und verpflichtende Weiterbildungen für jene Berufsgruppen, die nicht in Sozialpädagogik ausgebildet sind. (etom, APA, 30.11.2022)