Die angeordnete Freilassung von Janusz Waluś sorgt für Proteste unter anderem in Pretoria.

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Archivbild von Janusz Waluś aus dem Jahr 1997.

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Ein Urteil des höchsten Gerichts Südafrikas, wonach der vermutlich meistgehasste Verbrecher des Landes nach 28 Gefängnisjahren auf Bewährung freigelassen werden muss, hat am Kap der Guten Hoffnung eine Welle der Entrüstung, Debatten über den Nutzen des Rechtsstaats sowie, um ein Haar, den Tod des geächteten Häftlings ausgelöst.

Der heute 69-jährige und in Polen geborene Südafrikaner Janusz Waluś hatte am 10. April 1993 den populären ANC-Politiker Chris Hani kaltblütig ermordet – und damit den äußerst labilen Übergangsstaat an den Rand eines Bürgerkriegs gebracht. Diesen konnte Nelson Mandela gerade noch mit einer Fernsehansprache verhindern, indem er die aufgebrachte Bevölkerung zur Besonnenheit aufrief – und darauf verwies, dass zwar ein weißer Rechtsradikaler den neben Mandela wichtigsten Führer der schwarzen Befreiungsbewegung umgebracht hatte, dass aber eine ebenfalls weiße Zeugin des Attentats zur schnellen Verhaftung des Täters geführt hatte.

Zum Tode verurteilt

Waluś ermordete den charismatischen Chef der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP) in dessen Hauseinfahrt in Boksburg bei Johannesburg mit drei aus nächster Nähe abgegebenen Pistolenschüssen ins Gesicht und in die Brust. Er wurde mit seinem Hintermann Clive Derby-Lewis, einem Mitglied der Konservativen Partei, später zum Tode verurteilt.

Weil das von der Apartheidherrschaft befreite Südafrika kurze Zeit später die Todesstrafe abschaffte, wurden die Urteile in lebenslange Haftstrafen verwandelt. Während Derby-Lewis kurz vor seinem Krebstod im Jahr 2016 aus gesundheitlichen Gründen aus der Haft entlassen wurde, blieben alle Anträge von Waluś auf seine Freilassung auf Bewährung erfolglos – obwohl diese gesetzlich vorgeschrieben ist. Bei ihm handle es sich um einen besonderen Fall, begründete ein Justizminister nach dem anderen sein Veto.

Kritik an Justizministern

Schließlich ging Waluś gerichtlich gegen die ständige Ablehnung seiner Freilassung vor. Am vergangenen Montag gab das Verfassungsgericht dem Ansinnen des Attentäters tatsächlich statt. Verfassungsgerichtspräsident Raymond Zondo bezeichnete die früheren Entscheidungen der Justizminister als "irrational" und "verfassungswidrig".

Vor Gericht seien alle Menschen gleich zu behandeln – und Waluś erfülle alle Bedingungen für eine Freilassung. Er bereue seine Tat und habe sich bei der Witwe Hanis entschuldigt. Er führe außerdem ein tadelloses Häftlingsleben und zeige keine Anzeichen, wieder straffällig zu werden. Schließlich hatte sich Waluś hinter Gittern zu einem Kritiker des Rassismus und einem bekennenden Christen gewandelt.

"Reuelose Apartheidfreunde"

Bei der Witwe Hanis und beim ANC sowie der Kommunistischen Partei stieß das Urteil auf massive Kritik. "Diabolisch" nannte Limpho Hani den Richterspruch. "Reuelose Apartheidfreunde" würden sich nun ins Fäustchen lachen, schimpfte die Regierungspartei ANC. Selbst Staatspräsident Cyril Ramaphosa zeigte sich "sehr enttäuscht". Und SACP-Chef Solly Mapaila befand: "Das Recht ist nicht das höchste Gut: Es ist vielmehr von Menschen gemacht." Ein Angriff auf den Verfassungsstaat, wie er grundsätzlicher nicht geht.

Zwar wurden vor allem in den Medien des Landes auch nachdenkliche Stimmen laut: Man könne das Recht nicht aufheben, wenn einem seine Anwendung nicht passt, hieß es etwa. Als am Wochenende dann aber auch noch die Grabstätte Hanis in Boksburg geschändet wurde, war das Maß für die Regierungspartei voll: "Das ist, als ob Chris Hani ein zweites Mal umgebracht wurde", erklärte der ANC und rief zu landesweiten Protesten gegen Waluśs Freilassung auf.

Auf Waluś eingestochen

Ein Mithäftling muss das falsch verstanden haben. Er stach zwei Tage vor dem angeordneten Entlassungstermin mit dem Messer auf Waluś ein. Der Täter sei ein "überzeugter ANC-Anhänger", will ein Mithäftling wissen: Er habe es aufs Herz abgesehen gehabt, aber nur den Magen getroffen. Laut Behörden sei Waluś in einem "stabilen" Zustand. Ob er aber wirklich am Donnerstag – wie vom Gericht angeordnet – freigelassen wird, ist offen. Genauso offen wie die Frage, wer für die Sicherheit des Freigängers sorgt. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 1.12.2022)