Felix trägt über der Haube noch eine Kapuze, die Hände hat er tief in die Taschen seiner Jacke gesteckt. Es ist kalt und windig an diesem Morgen an der Haltestelle des Pedibus in Hornstein, einer der schon abgelegeneren Gemeinden des Wiener Speckgürtels. Felix ist Zivildiener und betreut heute den Pedibus.

Ein Bus ohne Bus

Der Pedibus ist kein Bus im eigentlichen Sinne, denn von der Station im Zentrum des Ortes gehen die Schülerinnen und Schüler gemeinsam auf einem fest definierten Weg, begleitet von Felix, die paar Minuten in die Volksschule. Der Service soll dazu führen, dass die Eltern die Kinder nicht immer mit dem Auto bis vor die Schule fahren – aber trotzdem ein sicheres Gefühl haben, wenn die Kleinen zu Fuß über die Straßen gehen. "Ein bisserl warten wir noch", sagt Felix um Punkt 7.30 Uhr, als der Pedibus eigentlich "losfahren" sollte.

Felix und Enan bei der Pedibus-Haltestelle im Ortszentrum von Hornstein.
Foto: Guido Gluschitsch

Zwei Buben, die sich hier getroffen haben, sind schon aufgebrochen. "Sie waren erst auch beim Pedibus dabei, gehen jetzt aber allein", sagt Felix. Dann kommt endlich Enan, ein aufgeweckter Bub. Er wird jeden Tag mit dem Pedibus in die Schule gebracht. Seine Schwester, die sonst auch dabei ist, ist krank und beim Opa daheim. Das erzählt die Oma, die Enan zu Fuß zur Haltestelle gebracht hat und uns noch ein Stück begleitet. Sie erzählt, wie weit und bei welchem Wetter sie als Kind in die Schule ging. So ist das auf dem Land. Und in der Stadt?

Gehen ist Nummer eins

"Die Pandemie hat das Zufußgehen zur Verkehrsart Nummer eins gemacht", erklärt Petra Jens, FußgängerInnenbeauftragte der Mobilitätsagentur Wien. "Lag der Anteil des Zufußgehens in Wien vor der Corona-Pandemie bei 28 Prozent, so liegt er jetzt mit 35 Prozent weit vor allen anderen Verkehrsarten." Petra Jens bezieht sich auf die Zahlen von 2019 bis 2021, die von 2022 liegen noch nicht vor. 2021 wurden in Wien zudem 30 Prozent der Wege mit den Öffis erledigt, 26 Prozent mit dem Auto und neun mit dem Fahrrad. Zuletzt stieg der Öffi-Anteil auf Kosten der zu Fuß zurückgelegten Wege.

Während der Pandemie wurde Zufußgehen in der Stadt immer beliebter. Doch die Öffis holen langsam wieder auf.
Foto: Getty Images/iStockphoto/DisobeyArt

"Grundsätzlich gehen Kinder und ältere Menschen mehr zu Fuß als Menschen in der Mitte des Lebens", sagt Petra Jens. Dies könnte mit der Arbeit zu tun haben. "Während junge Menschen in den letzten Jahren einen Anstieg bei Fußwegen verzeichnen, nimmt der Anteil an Fußwegen bei den ab 60-Jährigen ab." Die meisten Wege, die in Wien zurückgelegt werden, sind die zum Einkaufen, "zur Begleitung von Personen und zu Freizeitzwecken, etwa Spazierengehen", erklärt die FußgängerInnenbeauftragte. Und wieder fallen Unterschiede zum Land auf.

Abseits der Großstadt ist es nicht ungewöhnlich, dass man zum Spazierengehen erst einmal mit dem Auto irgendwohin fährt. Und zum Einkaufen fährt man natürlich auch. Denn nach dem Sterben der kleinen Geschäfte in den Orten und durch das Ansiedeln der Supermärkte am Ortsrand muss man eben zum Einkaufen an die Gemeindegrenze und zu Supermärkten, die riesige Parkplätze haben, aber teils nur schlecht über Fußwege ans Ortszentrum angebunden sind. Also fahren die meisten mit dem Auto. Doch es gibt auch Ausnahmen.

Gehen auf dem Land

Karl etwa. Ihn treffe ich oft, wenn er zum Beispiel mit einem leeren Gurkenglas zum Bauhof geht, wo die Altglascontainer stehen. "Ich gehe sehr gerne", erzählt er, "aber ich mag keine sinnlosen Wege. Darum geh ich auch mit einem einzelnen Glas, wenn es anfällt." Sein E-Auto, das er mit Solarstrom aus seiner eigenen Anlage lädt, braucht er nur selten, wenn er größere Einkäufe macht, denn ja, er geht auch für ein Kilo Mehl oder eine Butter gern die zehn Minuten zum Supermarkt und dann wieder zurück.

Seit ein paar Wochen geht ein alter Mann mit langem Bart und langen Haaren mit einem Kampfhund im Ort spazieren. Auf den ersten Blick sind die beiden nicht gerade das Paar, mit dem man gern für ein Tratscherl stehen bleibt. Aber das Äußere trügt. Der Mann ist eine Seele von einem Menschen. Er hat den Kampfhund aus dem Tierheim geholt und ist ihm jetzt dafür dankbar, dass er einen alten Mann dazu bringt, wieder regelmäßig spazieren zu gehen. Inzwischen haben die beiden schon viel erlebt, wovon der Alte auch gern erzählt, wenn man stehen bleibt, während sich der vermeintlich böse Kampfhund als nimmersatter Schmuser entpuppt.

Burgenland Extrem Tour

Gehen im großen Stil, das machen manche Menschen oft tagelang. "Es kommt niemals ein Pilger nach Hause, ohne ein Vorurteil weniger und eine neue Idee mehr zu haben", soll Martin Luther gesagt haben. Am 27. Jänner werden wieder ganz Hartnäckige, die gern zu Fuß gehen, bei der "Burgenland Extrem Tour" einmal um den Neusiedler See marschieren, in 24 Stunden und zum 15. Mal. Für gewöhnlich hat es dabei Minusgrade, und es ist windig. Ob Jakobsweg oder eisige Uferpromenade – wer geht, kommt mit etwas Übung rasch in den Flow.

Gehen ist also gesund und macht langfristig glücklich – nur kurzfristig manchmal auch Blasen. Und Gehen ist billig, vor allem billiger als Autofahren. Das wusste auch schon Großmutter, die immer mit Anhänger zum Einkaufen ging.

Der Anhänger gehörte ursprünglich wohl zu einem Fahrrad und wurde mit einer Haltestange statt der Kupplung zum Schubkarren – obwohl das seinen Namen nicht änderte. Oma ging mit dem Anhänger auf der Straße. Gehsteige gab es in dem kleinen Ort in der südlichen Steiermark nur entlang wichtiger Straßen. Dafür gab es auf den Nebenstraßen so gut wie keinen Verkehr. Das ist heute anders.

Das "Nachziehdings"

Der Umstand, dass es immer noch keinen breiten Gehsteig gibt, dafür aber viel Autoverkehr, hat den geschobenen Anhänger und den Bollerwagen im Ortsbild zu wahren Exoten werden lassen. Wenn, dann sieht man jemanden mit so einer Einkaufstasche mit Rädern gehen. Ich nenne es "Nachziehdings" – keine Ahnung, wie es wirklich heißt. Dafür weiß ich inzwischen, dass man die nach der Größe der Räder und nicht nach dem Muster der Tasche kauft – wieder weil die Infrastruktur einem sonst die Benützung verleidet.

Verbesserungsvorschläge, mit denen man das Gehen attraktiver machen kann, gibt es viele, wie Petra Jens aufzählt: "Breitere Gehsteige, sichere Straßenquerungen mit ausreichend langen Grünphasen und kurzen Wartezeiten an Ampeln, Beschattung und Begrünung, kurze Wege durch kompakte Siedlungsstruktur, öffentliche Durchgänge und dergleichen ..."

Eisenstadt hat mit "Geht Doch!" eine kleine, handliche Karte aufgelegt, in der man schnell ablesen kann, wie lange man für welchen Fußweg zu den wichtigsten Stationen der Stadt in etwa braucht.
Foto: Guido Gluschitsch

Oder Angebote wie den Pedibus, obwohl er kaum nachgefragt wird. Fast alle der 125 Volksschul- und 145 Kindergartenkinder in Hornstein werden nach wie vor mit dem Auto gebracht. Kurz vor acht Uhr ist so viel Verkehr vor den beiden Gebäuden, dass immer ein Polizist ein Auge drauf hat. Das Problem sieht auch der Bürgermeister: "Leider gehen zu wenige zu Fuß", sagt er. Aber auch er hat seine Kinder heute die wenigen Hundert Meter von daheim mit dem E-SUV gebracht. (Guido Gluschitsch, 1.12.2022)