Wenn alte Straßenbahnmodelle durch neue ersetzt werden, treten sie eine letzte Fahrt an: Diese führt sie zum Schrottplatz, zu einem neuen Einsatz ins Ausland, ins Museum oder als Nostalgiestück in private Wohnzimmer. Über die diversen Endstationen kleiner Wiener Verkehrsgeschichten.

Schrottgreifer im Einsatz: Hier zerlegen sie einen der inzwischen gänzlich eingestellten Hochflurwagen E1.
Foto: Wiener Linien / Thomas Jantzen

Endstation Schrottplatz: In zentimeterkleine Teile zerlegt

Mit vergangenem Juli beendeten die rot-weißen E1-Fahrzeuge, die seit 1967 auf Wiens Straßen unterwegs waren, ihren Dienst. Die letzten sieben Stück der ältesten noch in Betrieb befindlichen Straßenbahnart waren zu dem Zeitpunkt allerdings regulär ohnehin nur mehr auf der Linie 30 im 21. Bezirk im Einsatz – weil die Remise Floridsdorf auf diesen Wagentypen ausgerichtet war. Neun Fahrzeuge von diesem Typus gibt es derzeit noch weiterhin in Wien: Sie werden entweder als Ersatzteillager verwendet oder Privatpersonen und Vereinen zum Kauf angeboten (siehe rechts).

Foto: Wiener Linien / Thomas Jantzen

Der große Rest endete auf dem Schrottplatz. Vor ihrer letzten Fahrt werden die Straßenbahnen stets zunächst geteilt, die Drehgestelle abmontiert und mit speziellen Schleppfahrzeugen auf das Gelände der Hauptwerkstätte gebracht. Dort hebt sie ein Kran auf einen Tieflader, wo sie gesichert und für den Schrottplatz abfahrbereit gemacht werden. Auf dem Schrottplatz kommen dann zwei Greifer zum Einsatz: Sie zerreißen die Bim in kleinere Teile, die anschließend in den Shredder gelangen. Am Ende bleiben zentimetergroße Stücke übrig, die maschinell nach Materialien sortiert werden.

Die alten Garnituren hätten eigentlich schon 2017 ausgemustert werden sollen. Der Termin verschob sich nach hinten, auch weil die Stadt die Intervalle für die öffentlichen Verkehrsmittel zusehends vergrößert hat. Derzeit sind in der Hauptstadt noch rund 120 Hochflurstraßenbahnen des E1-Nachfolgemodells E2 unterwegs: Die rot-weißen, hohen Triebwagen sind unter anderem erkennbar an der ausfahrbaren Stufe beim Einstieg sowie an den eckigen – statt wie bei den E1-Wagen runden – Nummernschildern auf dem Dach. Auch sie werden bis 2025 durch barrierefreie Niederflurstraßenbahnen ersetzt.

Wer sich ein Stück Bim nach Hause holen will, kann aktuell in einer Online-Auktion mitsteigern.
Foto: Wiener Linien/Rainer Mirau

Endstation Wohnzimmer: Sitze und Schilder zu versteigern

Mit 24 Posten sammeln die Wiener Linien derzeit bei einer Online-Versteigerung Geld für die Hilfskampagne Licht ins Dunkel. Zu erwerben sind auf der Auktionsplattform Aurena: zehn Doppelsitze und 14 Einzelplätze, auf denen kürzlich noch Fahrgäste der letzten E1-Wagen auf der Strecke von Floridsdorf nach Stammersdorf saßen. Zur Auswahl stehen fixe oder aufklappbare Modelle, Sitzmöglichkeiten mit Staufächern (für Kies, falls es auch in der Wohnung mal im Winter rutschig ist), Sessel mit vier Beinen oder ein "Steher".

Beliebtes Stück: Sessel auf einem Bein.
Foto: Wiener Linien/Rainer Mirau

Letzterer dürfte unter den Bim-Fans besonders gut ankommen. Die Rufpreise starteten bei 100 Euro für einen Einzelsitz, für einen Doppelsitz liegt dieser bei 200 Euro. Mit 17 Geboten, die am Mittwoch bei 360 Euro lagen, steht der einbeinige Einzelplatz am höchsten im Kurs. Ähnlich beliebt ist auch ein Doppelsitzer – und daran merkt man die Detailverliebtheit der Sammlerinnen und Sammler: Es ist der Einzige, der graue Standfüßchen hat, die farblich mit dem Haltegriff abgestimmt sind. Online findet man auch allerhand anderes Interieur: ausrangierte Nummernschilder oder Kurzstreckentafeln zum Beispiel.

Aber nicht nur Privatpersonen können sich Bestandteile der alten Garnituren sichern. Bewahrt werden sie auch von den Wiener Linien selber. Ersatzteile, die für andere, noch in Betrieb befindliche "Typenkollegen" gebraucht werden könnten, werden im großen Zentrallager in der Hauptwerkstätte eingelagert. Denn: Die alten Straßenbahnen werden nicht mehr hergestellt.

Für die Öffentlichkeit zugänglich sind die inzwischen eingestellten Typen im Verkehrsmuseum Remise im dritten Bezirk. Da finden sich die "wichtigsten Modelle", heißt es von dem Öffi-Betrieb. Auch von der Wagentype E1 ist bereits ein Fahrzeug im Museum untergebracht.

Eine alte Straßenbahn aus Wien, unterwegs in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo.
Foto: imago images/ZUMA Wire

Endstation Ausland: An Städte weltweit verkauft

Wer im Ausland mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, der hat sie eventuell bereits bemerkt: Die aus Wien bekannten rot-weißen Fahrzeuge fahren auch in anderen Städten dieser Welt. Das kommt daher, dass die Wiener Linien bis vor einigen Jahren ältere Straßenbahngarnituren ins Ausland verkauft haben, wo sie im Fahrbetrieb stehen oder in einigen Fällen auch als Ersatzteillager genutzt werden. So haben sich unter anderem die Städte Krakau (Polen), Utrecht (Niederlande) und Miskolc (Ungarn) in der Vergangenheit gebrauchte Fahrzeuge angeschafft.

In den 1990-Jahren wurden alte Garnituren vom Typus C1, dem Vorgänger des E1-Modells, an die bosnische Stadt Sarajevo verschenkt. In der Regel handelt es sich laut Angaben der Wiener Linien um Wagen, die 40 und mehr Jahre alt sind, "aber sehr gut gewartet und voll funktionsfähig waren und noch eine weitere Lebensdauer von etwa zehn bis 15 Jahren hatten". Im Durchschnitt hält sich eine Straßenbahn rund 40 Jahre. Die Verkäufe haben in den vergangenen Jahren allerdings aufgehört, da viele Städte inzwischen in moderne und barrierefreie Fahrzeuge investieren. Auch in Wien verkehren heute mehrheitlich nicht mehr die alten, hohen Triebwagen – sie wurden in den vergangenen Jahren sukzessive durch stufenlose Niederflurstraßenbahnen ersetzt: den Ulf etwa, Abkürzung für Ultra Low Floor, übersetzt Niedrigstflur. Neueste Anschaffung in Wien ist der Flexity.

Die Geschichte der Wiener Straßenbahnen begann vor 157 Jahren mit schienengebundenen Pferdebahnen, die ab Ende des 19. Jahrhunderts durch einen Dampfantrieb ersetzt und schließlich elektrisch betrieben wurden. Heute ist das Wiener Straßenbahnnetz mit einer Betriebslänge von 172 Kilometern das sechstgrößte der Welt: 500 Wagen sind auf 28 Linien im Einsatz. (Anna Giulia Fink, Oona Kroisleitner, 1.12.2022)