An diesem imposanten Sitzungstisch beraten die ORF-Stiftungsräte am Donnerstag über die prognostizierten 325 Millionen Euro Finanzlücke bis 2026.

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Wien – Die 35 Stiftungsräte des ORF blicken in ein selten tiefes Finanzloch, wenn sie am Donnerstag hoch droben auf dem Küniglberg am stilisierten ORF-Auge des Sitzungstischs Platz nehmen. 325 Millionen Euro fehlen Österreichs größtem Medienunternehmen bis 2026: Das ist die Perspektive, die ORF-Chef Roland Weißmann seinen Aufsichtsräten präsentiert. Wenn nicht mehr öffentliches Geld einlangt, als die GIS bisher einbringt.

"Bestmöglicher" Stiftungsrat mit Polit-Connections für die dramatische Lage

Update: Der ORF-General schrieb von "einer der schwersten Finanzierungskrisen der ORF-Geschichte". Der bürgerliche Fraktionsführer im ORF-Stiftungsrat, Thomas Zach, sieht das oberste ORF-Gremiun für diese Situation nicht zuletzt in seiner Kompetenz perfekt aufgestellt: "Dieser Stiftungsrat bietet auch in seiner Aufstellung in dieser Situation die bestmögliche Voraussetzung als Aufsichtsgremium", sagte Zach am Rande der Sitzung am Donnerstag.

Ähnlich hat sich auch schon Stiftungsrat Heinz Lederer (SPÖ) über die Zusammensetzung des Stiftungsrats geäußert. Hintergrund: Der Stiftungsrat wird überwiegend von politischen Institutionen wie Regierung, Bundesländern, Parteien und – mittelbar über den Publikumsrat – die Medienministerin beschickt. Diese politische Besetzung des Stiftungsrats wird – auch in einer Beschwerde des Landes Burgenland an den Verfassungsgerichtshof – als Widerspruch zur per Verfassungsgesetz vorgeschriebenen Unabhängigkeit kritisiert.

Nun sollen die Stiftungsräte auf die entsendenden Institutionen im Hinblick auf eine neue Finanzierung des ORF einwirken: Das ist die Hoffnung des ORF in die Gegenrichtung, darauf spielen Zach und Lederer wohl an.

Mehr als 700 Millionen Euro angepeilt

Rund 660 Millionen Euro hat der ORF in diesem Jahr aus der GIS budgetiert. Mehr als 700 Millionen bräuchte der ORF trotz laufender Einsparungen nach den Berechnungen der ORF-Führung für die mittelfristige Finanzvorschau. Stiftungsrat Lederer spricht von einem Bedarf von 740 Millionen Euro.

Andernfalls, so die ORF-Finanzvorschau, drohten schon 2024 70 Millionen Euro Verlust, 2025 90 und 2026 gleich 130 Millionen Euro unter null. Der ORF ist mit gut einer Milliarde Euro Umsatz im Jahr Österreichs weitaus größter Medienkonzern.

Energiekosten, Teuerung, GIS-Abmeldungen führen zum Finanzloch

Die Gebührenerhöhung um acht Prozent im Februar 2022, kalkuliert vor Russlands Einmarsch in die Ukraine, wurde bereits von der Inflation dieses Jahres egalisiert. Energiekosten und Teuerung – die ebenso andere Unternehmen und alle Menschen in Österreich treffen – sowie Abmeldungen von der GIS-Gebühr summierten sich, so die Finanzvorschau, in den nächsten Jahren auf die Finanzlücke von 325 Millionen Euro.

Die GIS – die bisher nicht für Streamingnutzung eingehoben wird – bekam vom Verfassungsgerichtshof ein Ablaufdatum: Bis Ende 2024 braucht es eine neue Regelung, die auch Streaming einschließt. Der ORF hofft, mit dieser Neuregelung auch das Volumen der öffentlichen Finanzierung auf mehr als 700 Millionen Euro aufzustocken – um etwa jenes Volumen, das ihm durch GIS-freies Streaming derzeit entgehe.

ÖVP klingt skeptisch

In der Kanzlerpartei ÖVP war in den vergangenen Wochen eher eine Reduktion der öffentlichen Mittel für den ORF Thema für eine Neuregelung der GIS. Größenordnungen von 500 Millionen Euro statt derzeit mehr als 600 kursierten – und jedenfalls nicht die vom ORF angepeilten mehr als 700.

Die Überlegungen galten vor allem für zwei mögliche Wege der Neuregelung: eine GIS-Gebühr wie bisher auch für Streaminggeräte oder eine Haushaltsabgabe wie in Deutschland und der Schweiz, unabhängig vom Gerätebesitz, aber mit Befreiungen für einkommensschwache Haushalte.

Reduzierte Abgabe für mehr Haushalte

Mit einer erweiterten GIS oder einer Haushaltsabgabe – die mehr Menschen zahlen müssten – könnte die Höhe der Abgabe für den einzelnen Haushalt gegenüber der aktuellen GIS reduziert werden. Bisher geht rund ein Drittel der GIS an Bund und Bundesländer, die darauf Abgaben einheben – auch das bietet Reduktionspotenzial für die Zahlerinnen und Zahler.

Bundesfinanzierung mit Bedingungen

Grünen-Mediensprecherin Eva Blimlinger schlug zuletzt im STANDARD-Interview eine Budgetfinanzierung des ORF vor – wenn diese Finanzierung wertgesichert ist und automatisch mit der Inflation angepasst wird, abgesichert mit Zweidrittelmehrheit im Nationalrat.

ORF-Angebot nicht mehr garantiert

ORF-Chef Weißmann hat den Stiftungsräten in seiner Information über die Finanzlücke ein Szenario ohne erhöhte öffentliche Finanzierung vorgelegt: Der ORF "kann auf Basis des bestehenden Finanzierungsmodells sein umfangreiches Leistungsangebot nicht uneingeschränkt fortschreiben, die Finanzierung der gesetzlichen Aufträge ist dadurch nicht mehr garantiert".

  • ORF-Stiftungsrat Heinz Lederer (SPÖ) forderte konkretere Informationen ein über die nötigen Maßnahmen des ORF-Managements, wenn eine zusätzliche Finanzierung ausbleibe.
  • Stiftungsrat Niki Haas (FPÖ) rät dem ORF, sein Angebot und seine Strukturen zu hinterfragen.
  • Sigrid Pilz (Grüne) sprach sich für ein zukunftsfähiges Modell für die ORF-Finanzierung aus, "nachhaltig und kalkulierbar".
  • Thomas Zach (ÖVP), Ausschussvorsitzender und Sprecher des Freundeskreises der ÖVP-nahen Stiftungsräte, hofft auf eine rasche Entscheidung des Gesetzgebers über das künftige Finanzierungsmodell. Schon im September-Stiftungsrat betonte eine große Mehrheit der Stiftungsräte, diese Entscheidung müsse bis März 2023 fallen.

Im Februar 2023 hat Zach eine Sondersitzung des ORF-Finanzausschusses zur künftigen ORF-Finanzierung angesetzt.

Finanzplan 2023 einstimmig beschlossen

  • Update: Der Stiftungsrat hat den Finanzplan 2023 am Donnerstag einstimmig beschlossen. Er sieht – wie 2022 – ein ausgeglichenes Ergebnis vor. Finanzausschussvorsitzender Zach betonte, der ORF habe mit dem ausgeglichenen Budget für 2023 "Handlungsfähigkeit gewonnen", trotz massiver Herausforderungen wie Energiekosten, Teuerung und GIS-Abmeldungen.

(fid, 1.12.2022)