Die ÖVP ist, so scheint es, in der Öffentlichkeit unten durch. Selber schuld. Es ist schon richtig, dass der Untersuchungsausschuss und viele Medien die Korruptionsvorwürfe gegen die Regierungspartei kompromisslos aufklären wollen. Allein, es stellt sich die Frage, was der allgemeine Vertrauensverlust in eine Partei zur Folge hat, die seit deren Bestehen eine der Säulen der Zweiten Republik war und ist. Jetzt schon kann man sagen: nichts Gutes.

In ganz Europa herrschte in den letzten Jahrzehnten ein Parteienmuster vor, das, grob gesagt, auf Folgendes hinauslief: je eine große Volkspartei Mitte rechts und Mitte links und daneben kleinere Gruppierungen ganz rechts und ganz links. Die "Zeitenwende" (Copyright Olaf Scholz) hat dieses Muster durcheinandergebracht. Vielerorts haben wir gesehen, wie besonders die großen konservativen Parteien erodiert sind.

In Italien sind die einst bestimmenden Democristiani praktisch von der Bildfläche verschwunden. In Frankreich ist von den Republikanern, einst die Partei de Gaulles, wenig übrig geblieben. Die britischen Tories befinden sich in einer tiefen Krise. Die deutsche CDU quält sich in der Opposition.

In allen diesen Ländern ging der Niedergang der Konservativen nicht wesentlich zugunsten der Linken aus, sondern führte zum Aufstieg der äußersten Rechten. In Italien verloren die Christdemokraten an gleich drei Rechtsparteien, die jetzt gemeinsam die Regierung bilden, in Deutschland profitierte die AFD, in Frankreich die Le-Pen-Partei.

Die Regierungspartei scheint in der Öffentlichkeit mittlerweile unten durch zu sein.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Krise der ÖVP

Und in Österreich? Alle Umfragen bestätigen, dass die Krise der ÖVP vor allem der FPÖ zugutekommt. In zweiter Linie auch dem ebenfalls demokratiegefährdenden Lager der antipolitischen Nichtwähler, deren Grundhaltung zu sein scheint: Alle Politiker sind Gauner. Wenn die Opposition mit vereinten Kräften nicht nur die Freunderlwirtschaft und den Postenschacher der Türkisen geißelt, sondern deren Versagen in praktisch allem – Wirtschaftskrise, Pandemie, Asylmanagement –, dann klingen die Stimmen der Sozialdemokraten gelegentlich denen der FPÖ-Abgeordneten ziemlich ähnlich.

Dass die FPÖ während ihrer Koalition mit der Kurz-ÖVP in Sachen Korruption Spitzenleistungen vollbrachte, scheint weitgehend vergessen. Und wenn die ÖVP in der Flüchtlings- und Ausländerfrage mehr und mehr auf FPÖ-Linie einschwenkt, dann legt Letztere unverdrossen noch eins drauf. Wem das gefällt, der geht allemal lieber zum Schmied als zum Schmiedl. Herbert Kickl sagt es inzwischen ganz offen: Ich will Bundeskanzler werden.

Es hilft nichts: Dieses Land braucht eine große, solide, bürgerliche Partei. Grüne und Neos haben eine wichtige Rolle, aber sie sind ihrer Natur nach keine Massenparteien. Die vielen Wähler vor allem in den Bundesländern, die sich als bürgerlich verstehen, die Bauern und Kleingewerbetreibenden, werden, wenn ihre Stammpartei einbricht, eher nach rechts gehen als nach links.

Man kann der schwer gebeutelten Partei von Leopold Figl und Julius Raab nur wünschen, dass sie aus ihrem Schlamassel herausfindet. Ein Ersatz für sie ist derzeit nicht in Sicht.(Barbara Coudenhove-Kalergi, 1.12.22)