Im Gastblog schreibt Rechtsanwältin Julia Andras über den Umgang mit Unterhaltszahlungen nach einer Scheidung.

Wenn Ehen enden, ist neben der Frage des Verschuldens an der Zerrüttung, der Zukunft der gemeinsamen Kinder sowie der Aufteilung des gemeinsamen Vermögens zumeist auch die eines nachehelichen Unterhaltsanspruchs zu regeln. Grundsätzlich gilt auch hier das Verschuldensprinzip, sodass die an der Zerrüttung der Ehe allein oder überwiegend schuldige Person der anderen gegenüber unterhaltspflichtig wird.

Neben dem Verschuldensprinzip spielt oft auch der sogenannte Billigkeitsunterhalt eine Rolle, nämlich immer dann, wenn eine Seite aus eigener Kraft nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, weil er oder sie entweder aus Gründen der bisherigen Vereinbarung mit der anderen Person keiner beruflichen Tätigkeit nachgegangen ist (Stichwort "Hausfrauenehe") oder allenfalls aus gesundheitlichen Gründen nicht zu einer beruflichen Tätigkeit angespannt werden kann.

Bei schweren Eheverfehlungen oder einem unsittlichen Lebenswandel muss kein Unterhalt gezahlt werden. Wo liegt hierbei die juristische Grenze?
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Aber selbst in jenen Fällen, wo eine Person der anderen gegenüber unterhaltspflichtig wird, kann es aufgrund Vorliegens bestimmter Voraussetzungen zu einer Verwirkung des nachehelichen Unterhaltsanspruches kommen. So regelt die Bestimmung des § 74 EheG, dass Unterhaltsberechtigte den Anspruch auf Unterhaltszahlung nach Ehescheidung verwirken, wenn sie sich nach der Scheidung einer schweren Verfehlung gegen die unterhaltsverpflichteten Seite schuldig machen. Es bedarf hier unter Berücksichtigung aller objektiven und subjektiven Umstände einer besonders schwerwiegenden Verfehlung, die sogar jene Verfehlungen des § 49 EheG – das sind Gründe, die bei einer Verschuldensscheidung als Scheidungsgründe ins Treffen geführt werden können – übersteigen.

Die Eheverfehlungen müssen so gravierend sein, dass der unterhaltsverpflichteten Person die Unterhaltsleistung für alle Zeit nicht mehr zumutbar ist. Das Gesetz spricht auch davon, dass Unterhaltsberechtigte sich nach der Scheidung entweder einer schweren Verfehlung gegen die unterhaltsverpflichtete Seite schuldig machen oder gegen den Willen der unterhaltsverpflichteten Seite einen ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandel führen. Darunter versteht die ständige Rechtsprechung einen anstößigen und den allgemeinen Moralbegriffen widersprechenden Lebenswandel. Aber auch bewusste Schädigungen des früheren Ehegatten oder der früheren Ehegattin können zur Verwirkung des Unterhaltsanspruches führen, beispielsweise schon ein einmaliger Verstoß gegen ein besonderes Geheimhaltungsinteresse von Unterhaltspflichtigen, wenn dadurch in Schädigungsabsicht deren wirtschaftliches Fortkommen massiv gefährdet wird.

Grundgedanke dieser Bestimmung ist der Schutz von Unterhaltspflichtigen, sowohl in persönlichen als auch wirtschaftlichen Belangen vor einer Situation, schwere Übergriffe der Unterhaltsberechtigten zu erleiden und trotzdem die auf der früheren Ehe beruhende Unterhaltspflicht erfüllen zu müssen.

Objektiv unzutreffende Beschuldigung als Verfehlung?

Im vorliegenden Fall (OGH, 20.07.2022, 3 Ob 114/22v) machte der unterhaltspflichtige Mann eine Unterhaltsverwirkung seitens seiner früheren Frau geltend. Er brachte vor, dass diese ihn wegen Verdachts des Betrugs und der betrügerischen Krida – einer betrügerischen oder grob fahrlässigen Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit durch eine Schuldnerin oder einen Schuldner – bei der Staatsanwaltschaft angezeigt hätte weil er ihr gegenüber Vermögenswerte, insbesondere Liegenschaften im Ausland, verschweigen würde. Weiters, so der Vorwurf der Frau, hätte der Mann in ihrem Eigentum stehende Liegenschaften ohne Wissen der Frau veräußert. Zudem würde sie den Stiefbruder des Mannes bei dessen Rechtsverfolgung gegen diesen unterstützen, indem sie ihm sämtliche Verhandlungsprotokolle der von ihr mit dem Mann geführten Gerichtsverfahren zukommen ließe. Aufgrund dieser Handlungen der Frau argumentierte der Mann, dass sie ihren Unterhaltsanspruch nach § 74 EheG wegen schwerer Verfehlungen gegen ihn verwirkt hätte.

Die gerichtlichen Vorinstanzen kamen zu dem Ergebnis, dass eine Unterhaltsverwirkung nicht vorliege, weil nicht allein schon objektiv unrichtige, sondern nur bewusst wahrheitswidrige, Anschuldigungen zur Unterhaltsverwirkung führen können. Objektiv unzutreffende Beschuldigungen seien nur dann rechtswidrig, wenn damit entweder die Grenzen eines notwendigen Vorbringens überschritten werden oder aber die Anschuldigungen wider besseren Wissens geäußert wurden. Im konkreten Fall hatte die Frau aber keine falschen Anschuldigungen erhoben beziehungsweise sie vertraute auf die Richtigkeit der ihr zugegangenen Informationen, welche sie dann ihrer Anzeige zugrunde legte.

Der Oberste Gerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass die Gerichte der Vorinstanzen von den Grundsätzen seiner höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht abgewichen seien, sodass die vom Kläger geltend gemachte Unterhaltsverwirkung verneint wurde. Der Mann muss seiner Ex-Frau daher weiterhin Unterhalt zahlen.

Diese Entscheidung zeigt, dass auch nach Beendigung einer Ehe gewisse Maßstäbe an das Verhalten der ehemaligen Ehepartner und Ehepartnerinnen gelegt werden, insbesondere wenn es darum geht, Unterhalt zu erlangen. Daher stellt auch ein Scheidungsurteil aus Verschulden der einen Person keinen Freifahrtschein für grobe Verhaltensverstöße gegenüber der anderen nach Scheidung der Ehe dar. (Julia Andras, 2.12.2022)