Antonella Mei-Pochtler leitete einst Think Austria, den Thinktank des türkisen Bundeskanzleramts, sowie gemeinsam mit Ex-Verteidigungsminister Thomas Starlinger das Covid-19 Future Operations Board.

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Das rote Wien gegen das türkise Land: Dieses altbekannte Muster war auch in der Corona-Pandemie zu beobachten. Die Großstädter fühlten sich etwa durch das Sperren der Bundesgärten durch die damalige Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) getriezt; der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) verließ kurzfristig sogar den Krisenstab des Bundes.

Aber ging die politische Animosität so weit, dass sogar sinnvolle politische Maßnahmen dadurch blockiert wurden? Das legt zumindest ein Podiumsauftritt der Kurz-Beraterin Antonella Mei-Pochtler nahe. Die Consulterin leitete einst Think Austria, den Thinktank des türkisen Bundeskanzleramts, sowie gemeinsam mit Ex-Verteidigungsminister Thomas Starlinger das Covid-19 Future Operations Board.

Bei ihrem Auftritt am Peter-Drucker-Forum vor rund zwei Wochen erzählte Mei-Pochtler sinngemäß, dass man rasch gesehen habe, wie gut das PCR-Test-Regime in Wien funktioniere. Das habe man dann hochskalieren wollen, aber: "Politics trumps policy." Grob übersetzt also: Parteipolitische Überlegungen schlagen sachpolitische Inhalte. Wenn Wien das mache, dann sei das die andere politische Seite, und dann müsse man eine Alternative entwickeln, sei Mei-Pochtler gesagt worden.

Antonella Mei-Pochtler spricht etwa ab Minute 26:30 über das PCR-Testregime.
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Bundesländer wollten eigene Wege gehen

Auf Anfrage erklärt Mei-Pochtler, "Alles gurgelt" sei aus dem vom Future Operations Board ausgearbeiteten flächendeckenden Testkonzept auf Gurgelbasis als "evidenzbasierte Policy" entwickelt worden. Richtig aufgegriffen worden sei es dann von Stadtrat Hacker und Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Man habe von Anfang an zahlreiche Vorschläge präsentiert, wie die Initiative breiter ausgerollt werden könnte, unter Berücksichtigung der Bundesländer-Spezifika. Dennoch hätten diese jeweils eigene Wege gehen wollen. "Hier kommt das Thema Politics ins Spiel", sagt Mei-Pochtler: Differenzierung sei wichtiger als Standardisierung. Das liege zwar auch an den Unterschieden in der Infrastruktur zwischen Stadt und Land, aber eben nicht nur.

PCR-Gurgeltest in Wien entwickelt

Die PCR-Test-Methode mit einer Gurgellösung auf Kochsalzbasis wurde bereits Mitte 2020 in Wien entwickelt. Der Hintergrund: Zu Beginn der Pandemie gab es nur teure PCR-Tests mit Nasen-Rachen-Abstrich. Die Staberln dafür wurden aber knapp. Und: Man benötigte geschultes Personal für die Abnahme. Mit den Gurgeltests fiel beides weg. Ende Jänner 2021 wurde das Pilotprojekt von "Alles gurgelt" von Stadt Wien und Wirtschaftskammer Wien gestartet. Ab März 2021 war es dann für alle Wienerinnen und Wiener zugänglich. Die Infrastruktur für großangelegte PCR-Tests gab es zu diesem Zeitpunkt in anderen Bundesländern noch nicht.

Hinter den von Wien forcierten Gurgeltests steht das Corona-Diagnostiklabor Lifebrain. Der massive Ausbau führte dazu, dass in Wien deutlich mehr als die Hälfte aller PCR-Tests in Österreich durchgeführt wurden. 106 Millionen PCR-Tests wurden bis dato österreichweit durchgeführt, fast 65 Millionen davon in Wien. Die Gurgeltests in Wien kosteten bisher nach STANDARD-Recherchen 718 Millionen Euro.

Inklusive Antigentests wurden in Wien bisher rund 71 Millionen Corona-Tests durchgeführt – das sind knapp 36 Prozent aller Tests in Österreich. Bei den bisherigen Kosten für alle Corona-Tests in Österreich (rund vier Milliarden Euro) entfallen aber vergleichsweise nur 19,1 Prozent auf Wien. Das heißt: In anderen Bundesländern wurde mit anderen Teststrategien und Anbietern zwar deutlich weniger getestet. Die Kosten pro Test waren aber teils signifikant höher als in der Hauptstadt.

Büro Hacker "überrascht von der Offenheit"

Trotz der von Mei-Pochtler angesprochenen Überlegungen, "Alles gurgelt" bereits 2021 breiter in Österreich auszurollen, ist es nie dazu gekommen. Im Büro von Stadtrat Hacker zeigt man sich "durchaus überrascht von der Offenheit". Mei-Pochtlers Auftritt spreche "für sich selbst". "Es bestätigt unsere Vermutung, die wir – angesichts der Qualität der damaligen Debatte – über die möglichen Motive hierfür hatten", sagt ein Sprecher von Hacker zum STANDARD. Aus dem Umfeld von Sebastian Kurz war niemand für eine Stellungnahme zu erreichen.

Mit 1. April 2022 wurden die Corona-Tests pro Person österreichweit auf fünf PCR- sowie fünf Antigentests im Monat limitiert. Seither sind die Testzahlen deutlich gesunken. Im Vorfeld der Einführung der neuen Regeln habe es erneut Überlegungen gegeben, das Wiener Modell bundesweit auszurollen, wie Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) bestätigte. Das sei jedoch abgelehnt worden. "Ein österreichweit einheitliches System wäre klug", sagte Rauch Ende März. (David Krutzler, Fabian Schmid, 1.12.2022)