Der Tourismus in Wien hat im Vorjahr wieder zugenommen. Der Klimaschutz rückt dabei weiter in den Fokus.

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Millionen Menschen zieht es für den Kurzurlaub in die Städte – nach London, Paris, New York oder Bangkok. Rund fünf Millionen Nächtigungen verzeichnete allein Wien im Vorjahr, neun Prozent mehr als im Pandemiejahr zuvor. Der Tourismus ist für die Bundeshauptstadt Wirtschaftsfaktor und Zukunftsthema zugleich. Denn die Klimakrise wirkt sich schon heute enorm auf die Bundeshauptstadt und das Stadterlebnis aus.

"Wien wird eine der heißesten Städte Europas. Südliche Destinationen müssen überlegen, wie sie damit umgehen", sagt Norbert Kettner, Geschäftsführer von Wien-Tourismus, bei einem Pressegespräch mit dem STANDARD im Rahmen der Wiener Tourismuskonferenz. Wie viele andere Städte steht Wien vor der Aufgabe, beim Tourismus verstärkt den Klimaschutz mitzudenken. Die Voraussetzungen sind in Städten theoretisch günstig.

Niedrige Pro-Kopf-Emissionen

"Was für Stadtmenschen gut und klimaeffizient ist, gilt auch für Touristen", sagt Klimaökonom Gernot Wagner beim Gespräch. Zwar entstehen rund 70 Prozent der globalen CO2-Emissionen in Städten. Dafür verursachen Stadtmenschen aber im Schnitt weniger Emissionen als Menschen in Vororten.

Im Bereich Verkehr weist Wien pro Kopf etwa die niedrigsten CO2-Emissionen auf. Die Bevölkerung legt fast dreimal so viele Alltagswege mit Öffis, zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurück wie mit dem Auto, so der Verkehrsclub Österreich. Auch Touristinnen und Touristen sind in Wien prinzipiell nicht auf ein Auto angewiesen. Die Stadt baut die Infrastruktur weiter aus. Die U2 wird erweitert, mit der U5 entsteht eine komplett neue Strecke. In den nächsten Jahren entstehen zudem neue Straßenbahnlinien.

130 Betriebe zertifziert

Bei den Wiener Unterkünften ist ebenfalls ein Trend zu mehr Klimaschutz erkennbar. Von rund 400 Hotels in Wien sind laut Wien-Tourismus derzeit etwa 60 mit dem österreichischen Umweltzeichen oder einer international vergleichbaren Auszeichnung zertifiziert. Insgesamt tragen 130 touristische Betriebe solche Siegel, darunter Unterkünfte, Gastronomie und Museen. Sie sparen etwa Energie und Wasser oder heizen klimafreundlich mit Wärmepumpen. Die Zahl der "grünen" Betriebe soll in den kommenden Jahren steigen.

Im Jahr 2025 will die Stadt doppelt so viele zertifizierte Tourismusbetriebe haben. Dafür will die Stadt ab nächstem Jahr nur noch zertifizierte Betriebe in der Vorteilskarte "City Card" aufnehmen, über die Touristinnen und Touristen etwa Rabatte auf Hotelzimmer erhalten. Die Entkarbonisierung findet durch die CO2-Steuer aber automatisch statt, betont Wagner: "Egal ob ich die Voestalpine bin oder ein Tourismusbetrieb – ich muss mich selbst entkarbonisieren, sonst wird es teuer."

An- und Abreise bleiben Problem

Wenn der Städtetourismus klimafreundlicher werden soll, bleibt die Mobilität ausschlaggebend. Auch wenn der öffentliche Verkehr in Wien gut ausgebaut ist: Wie Besucherinnen und Besucher an- und abreisen – ob mit Flugzeug, Auto oder Bahn –, wirkt sich stark auf die Ökobilanz eines Wien-Trips aus.

Vor der Pandemie reisten laut Wien-Tourismus rund 26 Prozent der Gäste aus dem europäischen Umland mit dem Auto nach Wien, 21 Prozent kamen mit der Bahn. Durch Corona stiegen die Menschen verstärkt auf das Auto um. Rund die Hälfte der Gäste reist zudem mit dem Flugzeug nach Wien.

In den nächsten Jahren sollen mehr Reisende mit dem Zug anreisen, so der Plan von Wien-Tourismus. Dafür arbeitet die Stadt mit den ÖBB zusammen. Wird Wien im Ausland als Ort für Meetings oder Kongresse beworben, empfehlen sie etwa Nachtzüge für die Anreise. Im nahen Ausland werben sie hingegen nur noch mit der Bahn, sagt Kettner.

Wien vom Flugverkehr abhängig

Manche Hotels bieten anderweitig Anreize für Gäste, mit umweltfreundlichen Verkehrsmitteln anzureisen. Sie bieten Gästen etwa einen gewissen Preisnachlass an, wenn sie mit dem Zug, Fahrrad oder E-Auto anreisen. Hotels könnten nach der Buchung auch einen Fahrplan mit den klimafreundlichsten Anreisemöglichkeiten bereitstellen oder eine Abholung vom nächsten Bahnhof anbieten. Die Möglichkeiten, Anreize zu schaffen, sind vielfältig.

Trotzdem wird die Anreise per Flugzeug bis auf absehbare Zeit ein Problem für die Ökobilanz von Städtetrips bleiben. Viele reisen aus den USA oder den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Wien. Hier lassen sich Flugreisen kaum vermeiden. "Wir sind vom Flugverkehr abhängig. Das wird sich für Wien als global vernetzte Stadt auch nicht ändern", sagt Kettner.

Grünflächen und weniger Verkehr

Auch die Stadtentwicklung nimmt für Kettner eine wichtige Rolle ein. Sie sei "untrennbar" mit dem Tourismus verbunden. Denn: Maßnahmen, die dem Klimaschutz zugutekommen, nutzen am Ende auch den Touristinnen und Touristen. Kettner nennt etwa verkehrsberuhigte Bereiche oder kühlende Grünflächen. Auch eine autofreie Innenstadt sei denkbar, auch wenn die Entscheidung darüber noch zu treffen sei, so Kettner. Jedenfalls führe kein Weg daran vorbei, den Autoverkehr in Wien zu reduzieren.

Gerade hier unternimmt die Stadt Wien laut Fachleuten aber zu wenig. Der Verkehr bleibt in Wien trotz niedriger Pro-Kopf-Emissionen der größte Klimasünder. Er verursacht rund 42 Prozent der gesamten CO2-Emissionen. Mit ihrem Ziel, den motorisierten Individualverkehr bis 2030 zu halbieren, übernimmt die Stadt Wien lediglich die Verkehrsreduktionsziele der EU, die ohnehin in ganz Europa verpflichtend sind. Zudem entsteht weiter Infrastruktur für Autos, wie das Beispiel Stadtstraße zeigt.

"Was die Verkehrsberuhigung angeht, ist das schon noch ein Trauerspiel. Da ist Wien mit Sicherheit kein Vorreiter und könnte sich mehr anstrengen", sagt Martin Wildenberg, Experte für nachhaltigen Konsum bei Global 2000. Ähnliches gilt für andere Klimaschutzmaßnahmen. Grünflächen zur Abkühlung entstehen nur langsam und sind in der Stadt nicht gleichmäßig verteilt. Vielerorts wird darauf gepocht, Parkflächen lieber zu erhalten, statt sie aufzugeben. Bis die Stadt ein wirklich "grünes" Reiseziel ist, hat sie noch viel zu tun.

Experte: Soziale Aspekte nicht vernachlässigen

Allgemein fehlt es im Städtetourismus noch an konkreten Plänen und Zielen. "Bis 2040 will Österreich klimaneutral werden. Wir wissen aber alle nicht, wie der Tourismus das schaffen soll", sagt Christian Baumgartner, Experte für nachhaltigen Tourismus an der Fachhochschule Graubünden in der Schweiz. Wichtig sei, die "Nachhaltigkeit" nicht nur als Marketingbegriff zu nutzen, sondern Tourismusbetriebe aktiv bei der Entwicklung zu unterstützen und zum Wandel zu motivieren – so wie es die Stadt Wien etwa mit dem Ökobusinessplan bereits tut. Schon an kleinen Dingen könne man erkennen, wie ernst es eine Stadt mit dem grünen Tourismus meint. "Gute Destinationen haben einen Nachhaltigkeitsbericht, der mit konkreten Maßnahmen verbunden ist. Das zeigt schon das Engagement", sagt Baumgartner.

Der Experte betont, dass bei der ökologischen Wende im Tourismus die sozialen Aspekte nicht zu kurz kommen dürfen. Nach Corona hat der Tourismus für viele ein Image als schlechter Arbeitgeber. Viele Fachkräfte sind abgewandert, weniger junge Leute wollen im Tourismus arbeiten. "Das wird sicher ein zunehmendes Problem werden", sagt der Experte. Künftig wird es nicht nur um die Höhe von Gehältern gehen, sondern auch um Arbeitszeit, Mitbestimmung am Arbeitsplatz, gleiche Bezahlung zwischen den Geschlechtern sowie Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten.

Kettner und Wagner sind sich im Gespräch jedenfalls einig: Reisen ist eine zivilisatorische Errungenschaft. Andere Kulturen und Diversität zu erleben sei eine enorme Bereicherung. Zu Hause bleiben und nicht zu reisen sei für den Städtetourismus deshalb keine Lösung. "Dass eine Metropole ohne Tourismus funktioniert, ist undenkbar", sagt Kettner. (Florian Koch, 3.12.22)