Nach der Arbeit wird weder geflucht noch gekifft noch gekokst. Rapper Haftbefehl will sein Leben ändern.

Tarek Mawad

Nach Dubai kann man aus vielen Gründen ziehen. Nicht alle sind dazu geeignet, bei Menschen zu punkten, die guten Willens, reinen Herzens und gegen die Fußball-WM im gegenüberliegenden Katar sind. Zum einen hat man dort in Dubai in der zünftig menschenrechtsfremd regierten Wüste beinahe pandemisch auftretende und vom Königshaus freundlich unterstützte Influencer sitzen. Die verdienen mit Selfies und Produkt- und Dubai-Werbung ihr Gold und Geld auf Insta oder Tiktok.

Zum anderen scheint sich mit dem aktuell tränenreichen Umzug des früheren Berliner Gangsterrappers Bushido auf der Flucht vor seinen ehemaligen, aber nie unbewaffneten Geschäftspartnern jetzt auch mit unserem heutigen Helden Haftbefehl ein neuer Trend abzuzeichnen: Rapper retten sich nach Dubai.

Die Sandkiste für Neureiche gilt als kugelsicheres und vor allem drogenmäßig weitgehend trockenes Land. Haftbefehl, der Reimeschmied aus Offenbach, ist gerade ebenfalls mit Frau und Kindern nach Dubai ausgewandert. Ja, auch Gangster haben Familie im engeren Sinn. Und wahrscheinlich wird zu Hause am Mittagstisch auch nicht wie bei der Arbeit geflucht und gekifft! Offenbach muss man sich übrigens als Musenhain und Schatzstadt Haftbefehls vorstellen. Dagegen ist Frankfurt auf der anderen Seite des Mains geradezu lieblich.

Koks auf Platte

Haftbefehl läuft allerdings vor niemandem weg, er läuft dem Koks davon. Haftbefehl will gesund und nachts ohne Schüsse vor der Haustür leben. Kurz vor dem Umzug hat Haftbefehl alias Aykut Anhan mit seinen 36 Jahren allerdings zwecks Inspiration noch einmal seine alte Offenbacher Heimat und dort den sozialen Brennpunkt Mathildenviertel, Mainpark, Plattenbau, 13. Stock, besucht. Das neue Album nennt sich Mainpark Baby. Dort kommt er her, dort gehört er hin.

Seine neuen Nachbarn in Dubai mögen es ja gernhaben, wenn in den Songtexten der Schaumweinkapitalismus, dicke Hose mit Gummizug, übergewichtige Goldketten oder wamperte Autos regieren. Die junge männliche Zielgruppe aus dem Frankfurter Villenvorort Sachsenhausen, die auf der Suche nach Wahrhaftigkeit und Härte des Lebens großteils die Streamingkohle für Haftbefehls Traum von Dubai bereitstellt, will allerdings als Mehrwert dazu noch etwas anderes:

Azzlackz

Sie möchte von den Schattenseiten des Lebens hören – und wie man sich als Ego-Shooter bis zum zeitigen Schlafengehen wegen morgen wieder Schule rücksichtslos und brutal mit einer beim Brudi im Block ausgeborgten Pumpgun 2.0 als Dünner Kanack an die Spitze kämpft, Kalt & Dreckig.

Oder wie Hafti sagt: Fick ich drück ich sniff ich. Unter besonderer Berücksichtigung von Begriffen wie Schwanz, Lutschen, Ficken sowie Huren und ihren Söhnen kann Haftbefehl weit über den sozialen Brennpunkt Mainpark, Offenbach, hinaus punkten. Seine innovative und diverse grammatikalische Grundübereinkünfte umgehende Verwendung der deutschen Sprache brachte Haftbefehl Verehrung von unerwarteter Seite ein. Vor allem auch dank forsch aus den Leasing-BMWs pumpender Alben wie Blockplatin oder Russisch Roulette und Tracks wie Chabos wissen wer der Babo ist ist seit Anfang der Zehnerjahre das deutsche Feuilleton begeistert. Von wegen neuer Dichterfürst und so: "Ich bin im Studio und rauch mich high / Sie glauben, dass ich Freimaurer sei / Wenn ich nur ein Auge zeig / Nein, Digga, ich glaube kaum / Ich bin nur high und rauch nur ein."

Aschenbecher voll

Bevor aber Haftbefehl auf Vortragsreise durch die Goethe-Institute dieser Welt geschickt werden konnte, kam der Absturz. Du kannst mit deinem Maybach oder irgendeiner Tschesn, die du wegwirfst, wenn der Aschenbecher voll ist, aus Offenbach abhauen. Offenbach aber kommt immer mit dir mit.

Azzlackz

Schneidig wie die kolumbianische Eisenbahn ins Vorderhirn brausende Synthesizerklänge und ganze Häuser verräumende Abrissbirnenbeats legen jetzt auch die traditionelle Grundlage für das aktuell auf Mainpark Baby gerappte Lied von der schweren Partie. Es wird mit keifender, steil nach oben ziehender, japsender Stimme verkündet.

Auch die zum Album gedrehten Videos künden einmal mehr von einem harten Leben auf der Straße, auf der du am Ende immer für alles bezahlen musst – und das in bar. Allerdings will sich Haftbefehl das Alles sozusagen nach Dienstschluss abgewöhnen. Die Kohle für den gesunden Lebensstil wird mit neuen altbekannten Liedern wie Zu viel gesehen und Dann mit der Pumpgun 2.0. finanziert. Das Wort Fotze wird bei Haftbefehl übrigens gegendert. Ein erster Schritt Richtung Erwachsenwerden ist getan. (Christian Schachinger, 2.12.2022)