Demo unzufriedener Pflegekräfte am 12. Mai: Am selben Tag kündigte die Koalition einen Gehaltsbonus an – doch auch der sorgt für Protest.

APA / Hans Punz

Anna H. fühlt sich übergangen. Sie bringe "zu 100 Prozent" die gleiche Leistung wie ihre Kolleginnen, schreibt die in der Behindertenarbeit tätige Frau. Weil Personal seit der aufreibenden Corona-Krise schwer zu finden ist, werde der Stress immer größer, trotzdem seien alle im Team mit dem vollen Herzen dabei. Doch während die einen nun einen Extrazuschlag aufs Gehalt bekommen, gehen andere – so wie sie selbst – leer aus.

Es ist nicht die einzige Zuschrift dieser Art, die den STANDARD in diesen Tagen erreicht. Die Beschwerden richten sich gegen ein Kernstück des im Mai präsentierten Pflegepakets. Um "besondere Wertschätzung" für diese so wichtige wie schwierige Arbeit auszudrücken, versprach die türkis-grüne Bundesregierung Pflegekräften einen Bonus in der Dimension eines Monatsgehalts. Geworden sind es schließlich 2.000 Euro, die der Bund via die zuständigen Länder pro Person ausschüttet – sofern diese unter die im Gesetz definierten Gruppen fällt.

Paradoxe Verteilung

Genau diese Eingrenzung ist es, die für Ärger sorgt. Sie selbst erhalte den Bonus zwar, berichtet eine weitere Mitarbeiterin einer Behinderten-WG, angesichts weniger glücklicher Kolleginnen und Kollegen habe sie aber kein gutes Gewissen. Es sei geradezu paradox: Manche, die seit Jahren im Büro säßen, erhielten die Prämie – andere, die direkt mit den Klienten arbeiteten, schauten durch die Finger.

Eine Nachfrage bei der Lebenshilfe, die Menschen mit Beeinträchtigung beim Arbeiten und Wohnen begleitet, bestätigt diesen Umstand. Das Problem sei, dass der Bonus auf die Ausbildung statt auf die Tätigkeit abstelle, sagt Generalsekretär Markus Neuherz. In den Genuss kommen laut Gesetz diplomierte Pflegekräfte, Assistenzpersonal sowie Angehörige der Sozialbetreuungsberufe – ein zu eng gefasster Kreis, wie der Kritiker bemängelt.

Denn in den "multiprofessionellen" Teams der Behindertenarbeit seien noch andere Kräfte vertreten: Psychologinnen oder Sozialpädagoginnen etwa, aber auch Quereinsteigerinnen mit einer pflegerischen Basisausbildung, ohne die in Zeiten der Personalnot das Werkl nicht laufen würde. All diese Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, sagt Neuherz, leisteten gleichwertige Arbeit.

Frust statt Motivationsschub

Ebenfalls Kritik übt der Österreichische Gesundheits- und Krankenpflegeverband (ÖGKV), allerdings mit einer anderen Stoßrichtung: Denn ausgeschlossen sind laut Gesetz auch manche klassischen Pflegekräfte, wenn diese etwa freiberuflich in einer Heereseinrichtung oder Strafvollzugsanstalt arbeiten.

Ein "Lehrbeispiel" der Absurditäten des föderalistisch zerspragelten Gesundheitssystems sieht ÖGKV-Präsidentin Elisabeth Potzmann dahinter: Weil diese Gruppen nicht bei den Ländern beschäftigt sind, könne der Bund auch keinen "Zweckzuschuss" – so das rechtliche Konstrukt – gewähren. Frust sei die Folge der Ungleichbehandlungen: "Der Bonus hätte einen Motivationsschub bringen sollen. Aber der Schuss geht nach hinten los."

Die Hälfte kassiert der Staat

Der Unmut darüber sei so groß, dass viele daran dächten, in einen besser bedankten Job zu wechseln, schrieb ein Pfleger aus einer Justizanstalt dem STANDARD. Doch zumindest für diese Gruppe naht ein Happy End. Am Donnerstag kündigte Justizministerin Alma Zadić (Grüne) an, den rund 280 Betroffenen eigenständig einen Bonus zu bezahlen. Dieser fällt mit 2.500 Euro pro Person sogar großzügiger aus als die vom allgemeinen Gesetz gewährten 2.000 Euro.

Allerdings entzündet sich an der Form der Prämie ebenso Kritik. Denn von dem Geld sind nicht bloß die Lohnsteuer, sondern auch die Dienstgeber- und Dienstnehmerbeiträge für die Sozialversicherung abzuziehen. Übrig bleibt netto deshalb maximal die Hälfte, oft weniger.

Springen Unzufriedene ab?

Der vorerst für 2022 und 2023 vorgesehene Zuschuss sei bewusst als Gehaltsbestandteil konstruiert worden, argumentiert das grün geführte Sozialministerium – schließlich sei eine dauerhafte Etablierung das Ziel. Und die kritisierten "Benachteiligungen"? Man habe Verständnis, dass die getroffenen "Abgrenzungen" für Debatten sorgten, so die Reaktion: Doch angesichts der Personalnot in der Pflege habe sich die Regierung im ersten Schritt auf die ausgewählte Gruppe konzentriert.

Kritiker Neuherz warnt hingegen davor, dass nun jene, die sich ungerecht behandelt fühlen, abspringen könnten: "Ich fürchte, dass manche schon innerlich gekündigt haben." (Gerald John, 1.12.2022)