Mitarbeiter der Strabag in Tirol. Am Dienstag teilte das Bauunternehmen mit, dass es sich aus afrikanischen Ländern zurückziehen wird.

Foto: Jan Hetfleisch / Der Standard

In den vergangenen Jahren war es für internationale Unternehmen relativ leicht, so zu tun, als habe man mit den Menschenrechtsverletzungen in der chinesischen Region Xinjiang nichts zu tun. Die chinesische Führung steht wegen ihres Umgangs mit der Minderheit der Uiguren in der Region seit Jahren in der Kritik. Menschenrechtsorganisationen zufolge sind dort hunderttausende Menschen in Umerziehungslager gesteckt worden. Arrogant war die Antwort des Volkswagen-Chefs Herbert Diess im Jahr 2019 auf die Frage eines BBC-Reporters, ob das Engagement von VW in der Region moralisch vertretbar sei: Er sei "sich der Umerziehungslager nicht bewusst".

Ausreden

Es war da längst bekannt, dass die chinesische Regierung in Xinjiang Lager betreibt, in denen Millionen Uiguren gefoltert und einer Gehirnwäsche unterzogen werden. Damals aber konnten sich internationale Unternehmen, die in der Region tätig waren, noch darauf ausreden, dass man in den eigenen Werken ja keine Zwangsarbeiter beschäftige. VW hält an seiner Fabrik in der Uiguren-Region fest. Abgesehen von moralischen Bedenken stellen sich zunehmend mehr Länder die Frage: Wer haftet, wenn ein Zulieferer eines internationalen Konzerns irgendwo auf der Welt Mist baut, die Umwelt schädigt oder die Menschenrechte mit Füßen tritt?

Eine Antwort könnte in absehbarer Zukunft in einem europäischen Lieferkettengesetz gefunden werden. Derzeit verhandeln die EU-Institutionen, wie dieses aussehen soll. Konzerne und Unternehmen sollen sich dann nicht so leicht aus der Verantwortung stehlen können, wenn etwa Textilfirmen in Asien abbrennen oder ein Bergbauprojekt einen Fluss vergiftet. Völlig offen ist jedoch, welche Unternehmen in welcher Form in die Pflicht genommen werden können.

Streitpunkt Finanzindustrie

Am Donnerstag rückten die EU-Staaten der Einigung etwas näher. Sie legten die gemeinsame Ratsposition fest, mit der sie – auf Grundlage des Vorschlags der EU-Kommission – in die Verhandlungen mit dem EU-Parlament gehen wollen. Erreichen wollen sie, dass die Regeln zuerst für sehr große Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von mindestens 300 Millionen Euro netto gelten sollen. Für Unternehmen außerhalb der EU liegt die Schwelle bei einem Umsatz ab 300 Millionen Euro in der Union, die Regeln gelten ab drei Jahren nach Inkrafttreten der Richtlinie.

Nach Angaben von EU-Diplomaten einigten sich die Staaten auf einen Kompromiss der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft, wonach die EU-Staaten freiwillig die Finanzindustrie in das Lieferkettengesetz aufnehmen können – es war einer der Knackpunkte in den Verhandlungen zwischen den Staaten.

Österreich enthält sich bei Abstimmung

Österreich enthielt sich bei der Abstimmung, wie Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) nach Ende der Sitzung wissen ließ. Gerade die Rolle des Finanzsektors müsse nun mit dem Europaparlament ausführlicher diskutiert werden, "die Zeit soll man sich auf jeden Fall nehmen". Österreich werde sich konstruktiv einbringen. Ein "Fleckerlteppich", wenn also einzelne Staaten den Finanzsektor aufnehmen und andere nicht, würde dem EU-Binnenmarkt "nicht guttun", sagte Kocher.

In einem anderen Licht sehen die Unabhängigen GewerkschafterInnen im ÖGB die Enthaltung Kochers. Die Vertreterin Marion Polaschek zeigte sich "zutiefst enttäuscht und entsetzt". Auf die "Verzögerungskarte" zu setzen sei "politisch, menschlich und auch wirtschaftlich einfach kurzsichtig gedacht und in höchstem Maße zynisch", sagte sie. Auch die Gemeinwohlstiftung Común spricht von einer "moralischen Bankrotterklärung Österreichs."

EU-Abgeordnete erwartet schwierige Verhandlungen

Ähnlich lautete auch die Reaktion einer der bei dem Gesetz federführenden EU-Parlamentarierinnen, Anna Cavazzini (Grüne). Sie begrüße, dass sich der Rat der EU grundsätzlich einigen konnte, doch die Sonderrolle, die er dem Finanzsektor zusprechen will, sei "nicht nachvollziehbar". Schließlich habe der Finanzsektor eine enorme Lenkungswirkung.

Auch bei der Frage der zivilrechtlichen Haftung und beim Klimaschutz schwäche der Rat den ohnehin schon lückenhaften Kommissionsvorschlag. "Es scheint, dass die Regierungen vor dem großen Lobbydruck eingeknickt sind", so Cavazzini. Sie erwarte schwierige Verhandlungen mit dem Parlament.

Strabag zieht sich aus Afrika zurück

Selbst wenn sich die Institutionen im kommenden Jahr doch einigen, wird die Umsetzung wohl noch einige Zeit lang dauern: Mitgliedsstaaten haben stets zwei Jahre Zeit, um neue EU-Richtlinien umzusetzen. Dennoch scheinen einige bereits vorbereitende Schritte zu setzen. So ließ Österreichs größter Baukonzern Strabag wissen, dass er sich aus Afrika zurückziehe. "Wir bauen nur noch die angefangenen Projekte fertig", sagte der Geschäftsführer der Strabag International, Jörg Wellmeyer, gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" am Dienstag.

Als Grund dafür nannte Wellmeyer auch das Lieferkettengesetz. "Für ein Projekt mit zwei Jahren Bauzeit brauchen wir etwa tausend Produkte: Ersatzteile, Baumaterialien – alles von unterschiedlichsten Lieferanten." Dafür müsse das Unternehmen sämtliche Zulieferer kontrollieren. Das mache das Geschäft deutlich teurer, kritisierte er. Befürworter des Gesetzes sehen darin hingegen eine Chance, die Arbeitsbedingungen in Europas Lieferketten endlich zu verbessern, Umweltschäden zu minimieren sowie Emissionen zu mindern. (Regina Bruckner, Alicia Prager, 2.12.2022)