Die Platzierung des Gemäldes "Venus und Adonis" (Tizian und Werkstatt) in einer Detailansicht der Galerie des Prinzen Eugen im Oberen Belvedere.

Foto: : Sothebys, Belvedere; Collage: der Standard

Aus dem Nähkästchen einer Journalistin geplaudert, die sich mit dem internationalen Kunstmarkt befasst: Um Aufmerksamkeit heischende Presseaussendungen verraten viel über die Strategie einer internationalen Verkaufskampagne und lenken bisweilen von der tatsächlichen Sensation ab, die sich aus der Herkunftsgeschichte eines Gemäldes ergibt. Betreff: "Sotheby’s enthüllt Tizians "Venus und Adonis" – das wichtigste Werk des Künstlers, das in diesem Jahrhundert angeboten wird", verkündete das Auktionshaus an einem Freitag im letzten Oktober-Drittel. "Eine der schönsten Versionen von Tizians ‚meistverkauftem‘ Sujet" werde am 7. Dezember in London versteigert, hieß es weiter. Am Schätzwert orientiert soll das Bild umgerechnet zwischen 9,3 und 13,9 Millionen Euro einspielen.

Prominenter Vorbesitzer

DER STANDARD berichtete zeitnah (online): Auch deshalb, weil das kapitale Zugpferd der Altmeister-Auktion erst jüngst bei der im Jänner zu Ende gegangenen Blockbuster-Schau "Tizians Frauenbild" im Kunsthistorischen Museum (KHM) gastierte. Im zugehörigen Ausstellungskatalog lief die Leihgabe aus englischem Privatbesitz noch unter "Tizian und Werkstatt". Werkstatt? So üblich dieser Produktionsbetrieb bei gefragten Meistern ehedem auch war, davon war in der ausführlichen Presseaussendung nicht die Rede. Die detaillierte Katalogbeschreibung samt zitierter Fachliteratur, die näheren Aufschluss über ein allfälliges Upgrade hätte geben können, war zu diesem Zeitpunkt online noch nicht verfügbar.

Das Gemälde "Venus und Adonis" bekam vor der Versteigerung am 7. Dezember einen neuen Rahmen, der sich an historischen Vorbildern orientiert.
Foto: Sotheby’s

Die naheliegende Schlussfolgerung: Die Autorenschaft des Gemäldes war nun alleinig dem venezianischen Meister zugeordnet worden. Dafür sprach auch der Hinweis auf einen überaus prominenten Vorbesitzer des Bildes, der wiederum im KHM gar kein Thema gewesen war. Prinz Eugen von Savoyen, der ja, gemessen an der einst weithin gerühmten Qualität seiner Kunstsammlung, wohl einen Tizian ohne Werkstattbeteiligung besessen haben sollte.

Werkstattbeteiligung

Kurz nachdem der STANDARD-Artikel erschienen war, meldete sich das Auktionshaus und wies auf den in der Medienkampagne unterschlagenen Zusatz "und Werkstatt" hin. Soll sein. Eine Absicherung, um sich nachträgliche Debatten oder Reklamationen zu ersparen. Nachvollziehbar. Dass das Bild vor der kommenden Woche anberaumten Versteigerung nach New York und nach Hongkong tourte, um vor Ort im Original von der potenziellen Klientel bewundert zu werden, sei erwähnt; begleitet von einem knapp 40 Seiten umfassenden Katalog, auf dessen Cover "Tizian – Venus und Adonis" in Goldlettern prangt – "und Werkstatt" liest man erst im Inneren.

Das Cover des Sotheby's-Katalogs, der Wissenswertes zur Geschichte des Bildes enthält.
Foto: Sotheby’s

Worauf die Autorin von Sotheby's Ende Oktober weiters hingewiesen wurde: Das Gemälde war bei den Gastspielen im KHM in Wien sowie im Palazzo Reale in Mailand (bis 5. 6.) in der Beschriftung als "Tizian" bezeichnet worden. Der Zusatz "und Werkstatt" war also nur im Ausstellungskatalog vermerkt worden. Interessant. Wie war es zu diesem Upgrade und vor allem auch zu dieser Leihgabe gekommen? Hatte der britische Eigentümer den Verkauf längst geplant und nutzte die Präsentation in einem mit österreichischem Steuergeld subventionierten Bundesmuseum für persönlichen Profit? Letzteres muss eine Mutmaßung bleiben.

"Unabsichtlich passiert …"

Das Nachfragen im KHM gestaltete sich zäh. Die hauptverantwortliche Kuratorin Sylvia Ferino-Pagden war tagelang und bis zuletzt nicht erreichbar. Zwischendurch informierte die KHM-Sprecherin: "Bildbeschriftungen, Ausstellungsbooklets und andere Vermittlungsformen" seien "keine offiziellen Publikationen und werden weder von der Fachwelt noch vom Kunsthistorischen Museum als Zuschreibungen angesehen". Tage später hieß es, für die Ausstellung sei "nur diese Version von 'Venus und Adonis' als Leihgabe verfügbar" gewesen. Ob die Varianten in den Beständen der National Gallery in London oder des J. Paul Getty Museum in Los Angeles überhaupt angefragt wurden? Egal.

Das Rätsel um das Beschriftungs-Upgrade sollte sich schließlich erschreckend banal lösen: Das habe "niemand entschieden", vielmehr sei "das unabsichtlich passiert", lautet die offizielle Erklärung. Sowohl in Wien als auch in Mailand? "Die Zuschreibung für die Mailänder Ausstellung lag in der Verantwortung des Organisators der Ausstellung", ließ das KHM wissen. Eine Anfrage an die Presseverantwortliche in Mailand verlief, erraten, ergebnislos. Auf deren Website wird das aktuelle Sotheby's-Zugpferd jedenfalls als "Tiziano e bottega" bezeichnet.

1734 publizierte Salomon Kleiner eine Ansicht des "Bilder-Saals" von Prinz Eugen von Savoyen.
Foto: Belvedere

Im "Bilder-Saal" Prinz Eugens

Werkstattbeteiligung hin oder her – die wahre Sensation aus Sicht der Forschung: Das Gemälde wurde jetzt als jenes identifiziert, das einst Prinz Eugen gehörte und im "Bilder-Saal" im Oberen Belvedere hing, wie ein Stich von Salomon Kleiner von 1734 dokumentiert. Zweifelsfrei, wie auch die in Turin ansässige Kunsthistorikerin Cornelia Diekamp auf Anfrage betont, nicht nur, weil die Maße des Gemäldes mit jenen im Inventar des Prinzen von 1736 nahezu übereinstimmen. Diekamp forscht seit Jahren zu dessen einstiger Kunstsammlung und wies in mehreren Publikationen auf den wahrscheinlichen Kandidaten hin: Jene Fassung des Motivs, die über einige Jahre (2006–2012) in Oxford im Ashmolean Museum als Leihgabe aus Privatbesitz zu sehen war. Nachzulesen auch im Katalog zur Ausstellung "Prinz Eugen – Feldherr, Philosoph und Kunstfreund", die 2010 im Unteren Belvedere und der Orangerie stattfand (Anmerkung: Seiten 136 bis 137).

Forschung ohne Ruhm

Es sei die einzige Version, schreibt Cornelia Diekamp in einem aktuellen Artikel im "Giornale dell'Arte", die einem Stich des Bildes von Giulio Sanute aus dem Jahr 1559 nahekomme. Die darauf sichtbare Kartusche enthält "die kuriose Information, dass das Bild für den spanischen König Philipp II. gemalt wurde".

Tatsächlich war das eine andere Version, die sich heute im Prado (Madrid) befindet. Der Text, so Diekamps Annahme, könnte Prinz Eugen dazu bewogen haben, "genau dieses Exemplar in seine Sammlung aufzunehmen". Denn Philipp II. war sein Urgroßvater und "Eugen erinnerte sich gerne an seine illustre Verwandtschaft", eben auch mit Gemälden. Ihre Studien stellte sie Sotheby's zur Verfügung. Den Ruhm der Entdeckung heimsen andere ein. (Olga Kronsteiner, 5.12.2022)