Beinahe in alter Form kehrt Nina Hagen mit dem etwas nostalgisch geratenen Album "Unity" auf die Erde zurück.

Foto: Gabo

Um heute ausnahmsweise in unserem Sonnensystem zu bleiben: Ein Sonnenfleckenzyklus bezüglich einer Richtungsänderung der Magnetfelder erreicht im Durchschnitt alle elf Jahre seinen Höhepunkt. Das hat speziell für Kurzwellenamateurfunker angenehme Auswirkungen bezüglich der damit verbundenen Frequenzbandöffnungen. Kurz gesagt: Sobald im Weltraum gerade wieder einmal etwas los ist, kann man auch viel effektiver funken.

Wenn Nina Hagen, die immer schon interessant durchgeknallte Gottesmutter des Punk, also nach elf Jahren Pause mit dem Album Unity einen neuen Funkspruch losschickt, dann rappelt es im Karton. Die nächste Frequenzbandöffnung wird zwar laut Voraussage erst 2024 bis 2026 ihren nächsten Peak erreichen. Aber beim Funken bis ins Weltall hinaus – und vom Weltall herein, wir hören ja mit! – hat es niemand eilig. Geduld ist gefragt.

Zeit spielt keine Rolle

Funken ist eine Freizeitbeschäftigung für ältere Leute. Zeit spielt da keine Rolle. Einfach mal ein Stück crazy Weltraumschokolade im Mund zergehen lassen und irgendwelche knallbunten mystischen Berge wie den vom Hubble-Weltraumteleskop gut ausgeleuchteten Carina-Nebel auf sich wirken lassen. Den Funkern fehlt allerdings heute langsam der Nachwuchs.

Nina Hagens Heimatplanet Nimmerland wird traditionell von lustiger Freizeitchemie befeuert und seit Jahrzehnten vermehrt von Superheld Jesus, süßen felligen Quietschtieren, einer Reggaeband vom Ende der Milchstraße und anderen, mindestens fünfdimensionalen Wesen aus den alten Hipsterbuden von Star Wars bewohnt. Nimmerland findet man tief im limbischen System im menschlichen Gehirn: Die wahren Abenteuer sind im Kopf. Nina ist also nicht ganz aus der Welt.

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Unity wird gleich einmal mit voller Breitseite und einem biblischen Stoff eröffnet. Halb gesungen, halb gerappt, verhandelt Nina Hagen eine alte biblische Geschichte von in Flammen wandelnden und von Gott erretteten Männern. Sie variiert dabei ein altes Lied, das einst schon von Louis Armstrong interpretiert wurde, Shadrack, ein frühes und populäres Pop-Spiritual von Robert Mac Gimsey. Nina Hagen dazu: "Das war eine Gute-Nacht-Geschichte fürs Gemüte über Gottes Güte."

Nina Hagen heult, zetert, zwitschert, macht schnurrend auf kuschelig, auf Alien mit Migräne oder große Oper. Funk im Tank, Peitsche in der Hand, Dub und Reggae, bisschen Lärm als Reminiszenz an alte "Punk"-Zeiten. Siehe auch: Ich glotz TV, Unbeschreiblich weiblich. Motto: Kinder an die Macht! Gelernt ist gelernt. Natürlich wird in jeder einzelnen Sekunde mit großem Besteck hantiert. Mehr ist mehr.

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Das Titelstück Unity ist gemeinsam mit Funk-Legende George Clinton angesichts der Black-Lives-Matter-Bewegung entstanden: "Positive vibrations surround the world’s nations!" Na ja. United Women of the World ist eine feministische Arbeit, die gemeinsam mit der jamaikanischen Sängerin Liz Mitchell und Lene Lovich gefertigt wurde, Letztere eine ein wenig weniger schrille britische New-Wave-Kollegin aus alten Tagen, siehe Lucky Number.

Die Antwort weiß der Wind

Im Stück Atomwaffensperrvertrag verwurstet Nina Hagen eine Rede, die sie 2009 bei einem Friedensfestival vor dem Brandenburger Tor gehalten hat. Überhaupt legt es die 67-Jährige auf Unity trotz all des modernen Gewusels ein wenig gar nostalgisch an. Ihr legendärer Stimmumfang ist zwar noch immer beachtlich, er wird allerdings oft im Hallraum versteckt.

Der alte Bergarbeiterprotestsong 16 Tons ist auf dem Album ebenso enthalten wie eine pathetisch-zerschossene deutsche Version des Pfarrheimklassikers von Bob Dylan: Die Antwort weiß ganz allein der Wind. Jetzt muss es aber auch wieder für ein paar Jahre gut sein.

(Christian Schachinger, 3.12.2022)