Dank der starken Zinserhöhungen der EZB geht die Sonne über dem Anleihenmarkt langsam wieder auf.

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There ist no alternative – Aktien sind alternativlos. Während der sechsjährigen Nullzinsphase in der Eurozone galt dieser Grundsatz als fast so verlässlich wie ein Naturgesetz: Die Aktienmärkte eilten jahrelang von Rekord zu Rekord, während Schuldpapiere wegen des tiefen Zinsniveaus das Nachsehen hatten. Wollten Investierende auf Nummer sicher gehen, mussten sie bei deutschen Staatsanleihen sogar Negativzinsen akzeptieren – kein gutes Geschäft. Aber auch Unternehmensanleihen mit mehr Risiko kamen nicht an die weit überdurchschnittlichen Erträge der Aktienmärkte heran.

Doch nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs wurden die Karten am Finanzmarkt heuer neu gemischt. Das folgende Unwetter ließ sowohl am Aktien- als auch am Anleihenmarkt viel heiße Luft entweichen, zumal sich die Aussichten zuletzt wieder etwas verbessert haben. Für Aktien, weil die Rezession in vielen Staaten milder als befürchtet ausfallen dürfte, und für Anleihen, weil die Notenbanken die Zinsen schon ein gutes Stück erhöht haben.

Neue Chancen

"Wir sehen, dass Anleihen nach dem Zinsanstieg 2022 neue Chancen im Jahr 2023 bringen", sagt Markus Müller, der bei der Deutschen Bank das Chief Investment Office leitet. Für die USA erwartet er den Höhepunkt des Zinsanhebungszyklus bei 5,25 Prozent bald im nächsten Jahr, worauf die Notenbank Fed zuwarten werde. Die Rendite zehnjähriger Staatspapiere sollte bis Jahresende noch um etwa einen halben Prozentpunkt auf 4,2 Prozent klettern.

Etwas magerer soll der Zinsanstieg in der Eurozone ausfallen, nämlich bloß auf 2,4 Prozent bei zehnjährigen deutschen Staatspapieren. Das klingt nicht gerade üppig angesichts der galoppierenden Inflation, die wohl bis mindestens Ende 2024 über dem Zielwert der Europäischen Zentralbank (EZB) von zwei Prozent verharren wird. Wer mit Schuldverschreibungen mehr lukrieren will, muss wohl auch etwas mehr Risiko auf sich nehmen, etwa mit Unternehmensanleihen.

"Wir sehen gerade das Comeback einer Assetklasse", sagt Thomas Höfer vom Investmenthaus DWS. Das Ertragspotenzial von Schuldverschreibungen von Unternehmen mit guter Bonität, also aus dem sogenannten Investment-Grade-Bereich, aus der Eurozone beziffert er derzeit mit fast vier Prozent jährlich. Dies sei mehr als die Dividendenrenditen entsprechender Firmen. Die Perspektive auf Sicht von zwölf Monaten hält Höfer für sehr attraktiv, die Risiken für gering, da eine Rezession bereits in den aktuellen Kursen enthalten sei.

Niedrige Ausfallrate

Da die Konzernbilanzen solider als in früheren Abschwüngen seien, hält Höfer auch Euro-Hochzinsanleihen für interessant, die derzeit mehr als sieben Prozent Rendite einspielen. Die Ausfallrate läge mit 0,7 Prozent auf historisch sehr niedrigem Niveau, werde aber künftig etwas ansteigen.

Eine Lanze für US-Hochzinsanleihen bricht Bill Zox. Er ist Portfoliomanager bei der Franklin Templeton-Tochter Brandywine Global und sagt hinsichtlich einer aufziehenden Rezession: "US-Hochzinsanleihen verlieren in Rezessionen in der Regel weniger an Wert als der S&P 500 und erholen sich auch wieder schneller." Warum schlagen sie sich bei negativem Wachstum besser als der breite US-Aktienindex? Wegen des vertraglichen Anspruchs der Anleihegläubiger auf Zins- und Tilgungszahlungen, sagt Zox. Bei Aktien würden hingegen die in Rezessionen oft rückläufigen Gewinne und daraus gespeisten Dividenden die Kurse bestimmen.

In einem Anlageportfolio schließen sich Aktien und Anleihen aber ohnedies nicht aus, sondern sollten vielmehr kombiniert werden. Das sieht auch Deutsche-Bank-Experte Müller so, er spricht von einem "Comeback des 60-40-Portfolios" – also 60 Prozent Aktienmarkt kombiniert mit 40 Prozent Anleihen. Grundsätzlich lassen sich beide Bestandteile auch aus kostengünstigen ETFs zusammensetzen. (Alexander Hahn, 4.12.2022)