Wurmlöcher sind ein theoretisches Konzept der Kosmologie. Sie konnten zwar bislang nicht empirisch beobachtet werden, ergeben sich aber als logische Konsequenz der Relativitätstheorie. Simulationen könnten helfen, sie eingehender zu erforschen.

Bereit für ein Gedankenexperiment? Man nehme ein Schwarzes Loch und streue ein paar Quantenteilchen rundherum. Ohne weiteres Zutun werden die Teilchen in der näheren Umgebung eingesaugt. Die anderen dürfen weiterhin unbehelligt ihr Teilchendasein fristen. Und nun frage man sich: Was passiert mit dem Informationsgehalt der verschluckten Teilchen? Information ist laut Quantenphysik bekanntermaßen eine Erhaltungsgröße – kann sie im Schwarzen Loch dennoch einfach verschwinden?

Die Fragestellung ist zugegeben keine leichte Übung. Zahlreiche Physiker und Physikerinnen haben sich daran bereits die Zähne ausgebissen. Bekannt ist beispielsweise Stephen Hawkings Annährung an das Informationsparadoxon. Bisher wurde das Problem vor allem mit theoretischen und mathematischen Mitteln erforscht. Doch nun berichtet eine Gruppe von Physikern und Physikerinnen in den USA, erstmals ein Wurmloch simuliert zu haben – mittels des Quantencomputers Sycamore von Google.

Der Quantencomputer Sycamore von Google wurde erfolgreich für die Simulation eines kosmologischen Problems eingesetzt.
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Leben wir im Hologramm?

Wie das Team um Maria Spiropulu vom Caltech in Pasadena, Kalifornien, in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts "Nature" berichtet, ist es den Forschenden gelungen, ein sogenanntes holografisches Wurmloch zu simulieren. "Holografisch" meint hier nicht ein Hologramm, sondern es geht um eine mögliche Vereinfachung von physikalischen Problemen, die sowohl die Quantenmechanik als auch die Relativitätstheorie betreffen.

Die Zusammenführung von Quantenphysik und Relativitätstheorie kann zweifellos als das größte Problem der modernen Physik bezeichnet werden. Beide Theorien sind zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt worden, und jede für sich genommen ist extrem erfolgreich. Doch obwohl nun bereits seit über 100 Jahren an ihrer Vereinheitlichung geforscht wird, blieb der große Durchbruch bislang aus. Kandidaten für so eine Theorie von allem, die Quanteneffekte wie auch Gravitationseffekte erklären würde, sind beispielsweise die Stringtheorie oder die Schleifenquantengravitation. Beide Ansätze können theoretische Erfolge vorweisen – experimentelle Beweise sind sie aber bislang schuldig geblieben.

Ein Wurmloch verbindet zwei entfernte Orte in Raum und Zeit – so die Theorie. Am Ein- und Ausgang eines Wurmlochs sind jeweils Schwarze Löcher.

Keine Kommunikation mit Überlichtgeschwindigkeit

Obwohl sich Quantenphysik und Relativitätstheorie nicht zusammenführen lassen, geraten sie interessanterweise auch nicht miteinander in Konflikt: Aus keiner der beiden Theorien lassen sich Vorhersagen ableiten, die der anderen Theorie widersprechen würden. Das ist nicht einmal bei der Quantenverschränkung der Fall, die zwar eine instantane Zustandsübertragung ermöglicht – um damit Information zu übertragen, bedarf es aber zusätzlich eines klassischen Kommunikationskanals, der wiederum von der Lichtgeschwindigkeit limitiert wird.

Am nächsten kommen sich die beiden Theorien bei Phänomenen, zu deren Verständnis beide Theorien erforderlich sind. Ein Paradebeispiel dafür sind Schwarze Löcher: Sie haben eine extrem starke Gravitation und müssen daher durch die Relativitätstheorie beschrieben werden. Andererseits sind sie auf einen extrem kleinen Raum konzentriert und fallen damit auch in den Zuständigkeitsbereich der Quantenphysik. Wenig überraschend sind Schwarze Löcher aus ebendiesem Grund sehr schwer zu beschreiben.

Schwarze Löcher geben Forschenden nach wie vor etliche Rätsel auf. Beispielsweise ist unklar, was genau am Ereignishorizont von Schwarzen Löchern passiert, also jenem Radius, innerhalb dessen nichts ihrer Gravitation entkommen kann. Ganz zu schweigen davon, was sich hinter dem Ereignishorizont abspielt.
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Mit Holografie Komplexität reduzieren

Hier kommt nun die Holografie ins Spiel. Sie ermöglicht den Physikerinnen und Physikern, ein weniger komplexes System zu schaffen, das dem Original gleichwertig ist. Die Analogie zum herkömmlichen Hologramm liegt auf der Hand: Ein zweidimensionales Hologramm erlaubt es, Eigenschaften eines dreidimensionalen Körpers darzustellen.

Spiropulu und Kollegen simulierten mithilfe des Quantencomputers einen Tunnel durch die Struktur von Raum und Zeit, an dessen Enden sich jeweils ein Schwarzes Loch befindet: fertig ist das holografische Wurmloch! Insbesondere interessierte sich das Team für die Frage, was mit einer Nachricht passieren würde, die durch so ein Wurmloch geschickt wird.

Wenn Wurmlöcher tatsächlich existieren und Informationsübertragung oder astronautische Reisen durch sie tatsächlich möglich wären, dann würde diese Reise auf das Budget der Schwerkraft gehen. Das holografische Wurmloch soll die Sache aber vereinfachen, und das geschieht, indem Quanteneffekte als Ersatz für die Schwerkraft genutzt werden. Die Relativitätstheorie wird so kurzerhand aus den Berechnungen entfernt, und die Physiker müssen sich nur noch mit einem reinen Quantensystem herumschlagen: Die Reise durch die Raumzeit ist jetzt einfach eine Quanten-Teleportation.

Die Verschränkung von Quantenobjekten kann zur Übertragung von Quantenzuständen genutzt werden – im Fachjargon ist dabei von Teleportation die Rede, auch wenn das Phänomen gänzlich anders funktioniert als das Beamen bei "Star Trek".
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Verschränkte Schwarze Löcher

Die Nachricht, um die es im konkreten Beispiel ging, war ein Quantenbit in einem Überlagerungszustand von null und eins. Und was geschah nun bei der Informationsübertragung durch das holografische Wurmloch? "Das Signal verwirbelt, wird zu Brei, wird zu Chaos, und dann wird es wieder zusammengesetzt und erscheint auf der anderen Seite makellos", sagt Spiropulu. "Selbst in diesem winzigen System konnten wir das Wurmloch simulieren und genau das beobachten, was wir erwartet hatten."

So weit, so beeindruckend. Nun zum Schönheitsfehler: Für die Simulation wurden lediglich neun Qubits verwendet, die Auflösung war also sehr niedrig. "Es handelt sich um einen sehr kleinen Quantencomputer, sodass alles auf einem Laptop simuliert werden kann, ohne dass der Ventilator überhaupt anspricht", ordnet Adam Brown von der Stanford University in Kalifornien, das Experiment ein – er war nicht an der Arbeit beteiligt. "Der Traum wäre es, mit einem Quantencomputer etwas zu machen, das einem Dinge sagt, die man noch nicht über die Quantengravitation weiß." Das sei aber im vorliegenden Experiment nicht der Fall.

Für Spiropulu ist es aber ein erster Beweis, dass Quantencomputer für die Erforschung von Wurmlöchern in der Zukunft einen wichtigen Beitrag leisten können: "Dies ist nur ein Baby-Wurmloch, ein erster Schritt, um die Theorien der Quantengravitation zu testen, und wenn die Quantencomputer größer werden, müssen wir anfangen, größere Quantensysteme zu verwenden, um die größeren Ideen der Quantengravitation zu testen." (Tanja Traxler, 5.12.2022)