Jetzt beschäftigen nicht nur seine Chats, sondern auch die Abschlussarbeit von Ex-Öbag-Chef Thomas Schmid – hier beim ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss im Camineum der Nationalbibliothek in Wien – die Öffentlichkeit.

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Seine Chats kennt halb Österreich, die Diplomarbeit von Thomas Schmid war bisher wahrscheinlich nur sehr wenigen Menschen bekannt.

Der seinerseits mittlerweile vielen bekannte Plagiatsforscher Stefan Weber hat vor wenigen Wochen beschlossen, sich die 2006 abgegebene Diplomarbeit des früheren Generalsekretärs im Finanzministerium und jetzigen möglichen Kronzeugen in der mutmaßlichen Korruptionsaffäre der ÖVP anzusehen.

"Aus Neugierde"

"Aus Neugierde", betont Stefan Weber im Gespräch mit dem STANDARD. Ex-Kanzler Sebastian Kurz hatte nämlich gerade die Aufnahme eines Telefonats zwischen ihm und Schmid publik gemacht, da habe sich Weber gedacht, es sei "überraschend, dass sich die Arbeit von Schmid noch niemand angeschaut hat".

Er – beziehungsweise seine Plagiats-Software – wurde fündig. "25 Prozent an Textüberschneidungen habe ich in der ganzen Arbeit gefunden, doch ich habe noch nicht die Quellen von allen Texten gefunden", sagt Weber. Manche findet man nach 16 Jahren nämlich nicht mehr im Internet, was nicht heißt, dass sie nicht auffindbar sein werden. Auf seinem Blog veröffentlichte er erste "Schmankerln", nämlich drei lange Absätze, die wortident aus anderen früher veröffentlichten Texten übernommen worden sein sollen, aber nicht als Zitate ausgewiesen wurden.

Zweimal sind die Quellen in anderen wissenschaftlichen Publikationen, etwa zur europäischen Sozialpolitik, zu finden. Einmal war es ein ganzer Absatz aus einer Studie im Auftrag des Bundeskanzleramts, in dem schon 1998 die Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf die Zuwanderung erörtert wurden.

Das sei erst der Anfang, ist Weber überzeugt, "vor allem am Ende der Arbeit finden sich seitenweise Plagiate".

Uni Wien

"Die Arbeitnehmerfreizügigkeit der Europäischen Union – die Entwicklung deren sozialer Dimension und die Auswirkungen auf den österreichischen Arbeitsmarkt nach der Erweiterung der EU" heißt die Arbeit, die Schmid 2006 zur Erlangung des Magistergrades der Philosophie am Institut für Sozialwissenschaften an der Universität Wien eingereicht hatte.

Dass schon der Untertitel klein statt groß beginnt, würde jedem Deutschlehrer auffallen, bemerkt Weber.

Begutachtet hatte die Arbeit kein Unbekannter, sondern der langjährige ÖVP-Politiker Heinrich Neisser, der auch einige Jahre Zweiter Nationalratspräsident für seine Partei war.

Vom STANDARD auf die mutmaßlichen Plagiate in Schmids Arbeit angesprochen, sagt Neisser, er könne sich zwar an die Arbeit erinnern, werde sich die Vorwürfe aber erst ansehen, bevor er sie kommentiere.

Der frühere ÖVP-Nationalratspräsident Heinrich Neisser, hier 2017 bei einer Pressekonferenz der Neos, war Gutachter von Schmids Diplomarbeit.
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"Irgendwo habe ich sicher auch noch die Prüfungsprotokolle von ihm", sagt der 86-jährige Jurist und Honorarprofessor für Politikwissenschaften Neisser.

Zeitliche Nähe

Weber betont, dass weder der Umstand, dass er von einem millionenschweren Projekt an der TU Wien abgezogen wurde, noch seine Entfernung aus der ÖVP-nahen Österreichischen Forschungsgemeinschaft (ÖFG), wo er ehrenamtlich die Funktion des stellvertretenden Leiters der Arbeitsgemeinschaft "Gute wissenschaftliche Praxis im Wandel" innehatte, etwas mit der Überprüfung von Schmids Arbeit zu tun hatte.

Die gecancelten wissenschaftlichen Tätigkeiten waren nämlich in enger zeitlicher Nähe nach den Plagiatsvorwürfen gegen Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) passiert.

Weber ärgere sich auch über die Behauptung aus ÖVP-Kreisen, er habe Plagiate von hochrangigen Politikerinnen und Politikern im Auftrag der SPÖ oder anderer politischer Mitbewerber der ÖVP durchgeführt. "Keine Partei ist so blöd und gibt mir den Auftrag, andere Parteien anzuschauen", argumentiert Weber, "weil sie dann damit rechnen müssten, dass auch die Arbeiten ihrer eigenen Partei angeschaut werden." Vielmehr wolle er einmal mehr auf ein "systemisches Problem in Politik und Hochschulpolitik" aufmerksam machen. (Colette M. Schmidt, 2.12.2022)