Foto: Instagram/Collage: Der Standard

Wer dem tristen Wetter entkommen will, sollte nach Rhodos. Durch die angenehmen Temperaturen ist die kalte Jahreszeit auf der griechischen Insel eher wie ein zweiter Frühling. Aber das hier ist keine Reiseempfehlung, sondern eine Geschichte über psychische Krankheiten. Und sie beginnt in Rhodos.

Therapie Luxusurlaub

Ein Luxusurlaub auf der Insel sei eine gute Therapie gegen Depressionen, glaubt die deutsche Influencerin Cathy Hummels. Zumindest vermittelte das ein Video auf Instagram, mit dem die Social-Media-Unternehmerin ihren 700.000 Followern das "Strong Mind Retreat" vorstellte. Zu dem lud sie zwölf weitere Influencerinnen und Instagrammer nach Griechenland, "um Körper und Geist" zu entspannen – und um sich vor einer Logowand zahlreicher Sponsoren in kurzen Statements zu psychischer Gesundheit zu äußern. Ebenfalls im Gepäck: Produkte ihrer Kooperationspartner, die bei der Heilung helfen sollen. In den Kommentaren zeigten sich daraufhin viele empört, Betroffene fühlten sich verhöhnt. Die Deutsche Depressionsliga etwa zeigte sich "entsetzt" darüber, bei der "schweren Erkrankung Depression banal auf Heilung durch Sonnenlicht zu verweisen", wie es das Projekt von Hummels’ Firma "Events by CH" suggeriere.

Mittlerweile hat Hummels das Video gelöscht und sich entschuldigt. Doch es bleibt ein Nachgeschmack. Ist Instagram ein Nährboden für die Verharmlosung und Kommerzialisierung psychischer Erkrankungen?

Aufklärung auf Instagram

Das Beispiel von Hummels mag ein extremes sein, aber es trifft einen Nerv. Psychische Erkrankungen werden in sozialen Medien immer offener diskutiert. Unter dem Hashtag #MentalHealth wurden auf Instagram bisher mehr als 43,5 Millionen Beiträge geteilt. Darunter ist Content von Psychotherapeutinnen und Experten zu finden, die Krankheitsbilder erklären und Tipps für eine bessere mentale Gesundheit geben, aber auch Postings von Betroffenen und Content-Creators.

Grundsätzlich ist das gut, findet Barbara Haid, Präsidentin des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie: "Influencerinnen und Influencer haben da eine große Verantwortung. Und viele kommen dieser auch gut nach." Sie erzählen von ihrer Diagnose, klären auf und sensibilisieren ihre Followerschaft dafür.

Aber nicht alle gehen achtsam mit so ernsten Themen wie Burnout, Panikattacken, ADHS oder Depression um. "Da wird irrsinnig leichtsinnig mit Begriffen um sich geworfen", kritisiert Astrid Aschenbrenner viele ihrer Kolleginnen und Kollegen. Die 33-Jährige ist Unternehmerin, Schauspielerin, Kabarettistin und Influencerin. Auf ihrem Account @wienerkind_ teilt sie mit gut 32.000 Followerinnen ihren Alltag, aber auch Beiträge rund um Nachhaltigkeit und mentale Gesundheit. Sie erzählt, wie sie 2015 in ein Burnout schlitterte, und spricht "so unaufgeregt wie möglich" über Psychotherapie und das Privileg, eine solche in Anspruch nehmen zu können. Denn kassenfinanzierte Plätze sind begrenzt, Wartezeiten oft lang. Ohne Unterstützung durch die Kasse ist Therapie für viele zu teuer.

"Plötzlich haben alle ADHS"

Dass mentale Gesundheit so etwas wie ein Trendthema geworden ist, beobachtet auch Aschenbrenner. "Mental Health steht in immer mehr Profilbeschreibungen, aber vielen fehlt der Kontext", sagt sie. Erkrankungen werden verkürzt dargestellt, die Heilung als Wellnessprogramm verkauft. Bei Depressionen ein bisserl raus an die frische Luft, bei Burnout ein Schaumbad einlassen, so lauten – vereinfacht gesagt – viele Ratschläge. Nicht nur von Cathy Hummels, sondern auch in etlichen Postings. Dadurch würden Krankheiten "in gewisser Art und Weise bagatellisiert", fürchtet Psychotherapeutin Haid.

Es sei wichtig, zu differenzieren, meint sie: "Bei einem Stimmungstief kann ein Schaumbad durchaus guttun. Aber Menschen, die von chronischer Depression betroffen sind, hilft das nicht, im Gegenteil." Diese hätten viel eher das Gefühl, ihre Diagnose werde nicht ernst genommen. Oder wie Aschenbrenner sagt: "Menschen, die wirklich an Depressionen erkrankt sind oder ADHS haben, denken sich dann: ‚Die schafft das so leicht, damit umzugehen. Wieso schaffe ich das nicht?‘"

Schöne und hässliche Seiten

Denn der dargestellte Alltag ist – trotz thematisierter Diagnose – bei vielen Influencern immer noch sehr instagrammable, also ästhetisch ansprechend. "Aber Selfcare ist nicht immer schön, Selfcare kann richtig hässlich sein", sagt Aschenbrenner. Bei depressiven Episoden nehmen Betroffene keine Schaumbäder, sondern haben oft nicht einmal Kraft zum Duschen. Natürlich sei das Thema nicht nur jenen vorbehalten, denen es ganz besonders schlecht geht. Aber es gehe darum, ein ehrliches und vollständiges Bild einer Krankheit zu vermitteln – und das hat leichtere, aber eben auch hässlichere Seiten. "Es ist super, dass wir über psychische Diagnosen sprechen, aber der Eindruck kann sich aufdrängen, dass es plötzlich etwas geworden ist, das alle haben wollen. Damit man irgendwie besonders ist", sagt Aschenbrenner. Die Allgegenwärtigkeit des Themas berge die Gefahr, dass manche zu schnell Selbstdiagnosen stellten: "Gefühlt haben gerade viele Junge auf Social Media ADHS. Vielleicht weil man sich dadurch mit seinen Vorbildern verbunden fühlt."

Dabei sei von Selbstdiagnosen "dringlich" abzuraten, sagt Haid. Bei körperlichen Erkrankungen komme auch niemand auf diese Idee. "Menschen diagnostizieren sich nicht selbst eine schwere Gastritis." ADHS beispielsweise müsse genauestens und sauber getestet werden. Das ist ein umfangreiches Abklärungsverfahren, das nur von Fachärzten für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, Psychotherapeutinnen und klinischen Psychologen durchgeführt werden sollte.

Schau auf dich – mit dieser Kerze!

Wie groß das Thema in Social Media mittlerweile geworden ist, erkennen auch Unternehmen – nicht nur die Sponsoren von Hummels’ Event. Immer mehr Firmen versuchen, ihre Produkte mit dem Thema in Verbindung zu bringen. Unter dem Deckmantel von Mental Health werden Duftkerzen, Yogakleidung oder Affirmationskarten mit motivierenden Sprüchen beworben. Mentale Gesundheit scheint zum Selfcare-Kapitalismus zu werden, urteilt Aschenbrenner. Sie hat selbst schon Kooperationsanfragen von Firmen, die ihre Produkte explizit im Umfeld von #MentalHealth platziert sehen wollen, erhalten. Und abgelehnt.

Vor allem im Winter dominiere das Thema Selfcare die Plattformen. Die Botschaft dahinter sei grundsätzlich löblich: Achte gut auf dich. Am Ende sei es allerdings häufig ein "Aber mit diesem Produkt kannst du noch besser auf dich schauen!", kritisiert Aschenbrenner. Auch Haid sieht das "sehr kritisch", es sei eine Frage von Ethik und Moral: "Mit dem Leid von vielen Menschen Geschäft zu machen finde ich fragwürdig." Es gebe einige wenige Produkte, die bei einer leichten depressiven Verstimmung nachweislich helfen können. Tageslichtlampen im Winter etwa. "Aber eine Duftkerze oder eine Affirmationskarte machen niemanden gesund."

Statt im Kontext von mentaler Gesundheit Produkte zu bewerben, könnten Influencerinnen sogenannte Erfahrungsexpertinnen sein, findet Haid. Das heißt: ehrlich von eigenen Erfahrungen berichten und dazu ermutigen, sich gegebenenfalls professionelle Hilfe zu suchen. Denn schließlich gehe es nicht um Konsum, sondern um Aufklärung über Krankheitsbilder, die alles andere als begehrenswert sind, sagt Aschenbrenner. "Ich wünschte, ich hätte das alles nicht."
(Magdalena Pötsch, 3.12.2022)