Fans zwischen Fassungslosigkeit und Trauer. Deutsche Dressen gibt es schon zum halben Preis. Und bis zur Heim-EM bleiben nur 18 Monate Zeit.

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Man kann es auch ganz anders sehen – dass sich die deutsche Nationalmannschaft ja eigentlich gesteigert hat. Bei der WM 2018 in Russland schied sie in der Vorrunde als Gruppenvierter aus. Jetzt, in Katar, immerhin nur noch als Gruppendritter.

So jedenfalls klingt der Galgenhumor auf Twitter. Viele nehmen dort auch Bezug auf den umstrittenen Austragungsort: "Mit zehn Tagen Verspätung boykottiert die deutsche Nationalmannschaft die WM in Katar dann doch noch."

Und einer scheibt: "Glückwunsch, Erich! Du bist seit heute nicht mehr der schlechteste Nationaltrainer aller Zeiten." Darunter ist ein Bild des Ex-Trainers der Nationalelf Erich Ribbeck zu sehen. Er kam in seiner kurzen Amtszeit (1998 bis 2000) auf die schlechteste Bilanz aller Bundestrainer.

Apropos Bundestrainer. Auf den richten sich nun natürlich alle Blicke. Kanzler Olaf Scholz, so erklärt sein Regierungssprecher, habe Hansi Flick noch in der Nacht eine "freundliche SMS" geschickt und um "herzliche Grüße" an die Mannschaft gebeten. Scholz sei "wie alle anderen auch bedrückt" wegen des Ausscheidens.

Immerhin erspart das Aus Scholz nun eine Reise nach Katar. Diesbezüglich war er ja noch recht unentschlossen, jetzt ist es eh vorbei. Nicht beantworten wollte Scholz’ Sprecher, ob der Kanzler nun für oder gegen einen Verbleib Flicks im Amt als Bundestrainer ist.

Für die Deutsche Fußballmannschaft ist es aus bei der Fußballweltmeisterschaft in Katar – und das schon nach der Gruppenphase. Fans sind frustriert, nehmen die Niederlage aber stoisch hin
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Der Fehler von 2018

Aber die Debatte wird natürlich geführt. "Es gehört beim DFB dazu, dass jede Position hinterfragt wird. Da gehört auch der Trainer dazu", sagt Ex-Nationalspieler Michael Ballack. Und er findet: "Man darf nicht den gleichen Fehler wie 2018 machen. Als der Präsident sich kurz nach dem Ausscheiden hingestellt und gesagt hat: ‚Der DFB und sein Trainerteam analysieren das jetzt, und dann macht Jogi weiter.‘"

Jogi Löw also, der ehemalige Langzeitbundestrainer (2006 bis 2021), der weiß, wie Flick sich gerade fühlt: Ungefähr so wie er selbst 2018 in Russland, als es auch nach der Vorrunde nach Hause ging. Andererseits: Mit Löw hat Deutschland auch bei der WM 2014 in Brasilien triumphiert. Vier Jahre zuvor, in Südafrika, hatte es für Platz drei gereicht.

Dietmar Hamann, ebenfalls Ex-Nationalspieler, geht mit Flick hart ins Gericht: "Ich halte es für ausgeschlossen, dass wir mit dem Trainer weitermachen können. Wir haben nach diesem Debakel nur 18 Monate Zeit, das war ja jämmerlich. Wenn Flick denkt, er habe nicht die richtigen Spieler – dann hätte er den Job nicht machen sollen."

In 18 Monaten steht die EM in Deutschland an und die Fußballbegeisterten erwarten, dass ihre Nationalmannschaft dann siegreich aus dem Finale im Berliner Olympiastadion hervorgeht.

Flick, seit August 2021 Bundestrainer, ist offensichtlich, trotz der "riesengroßen" Enttäuschung, bereit. "Mir macht es Spaß, wir haben gute Spieler, die nachkommen, an mir wird’s nicht liegen", sagte er nach dem Aus.

"Ich habe ein sehr gutes Gefühl für mich", betonte auch der Direktor des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Oliver Bierhoff. Wie Flick hat er einen Vertrag bis zum Jahr 2024.

Allerdings gibt es von DFB-Präsident Bernd Neuendorf keine Jobgarantie für die beiden. Man werde sich schon in der kommenden Woche zusammensetzen.

Analyse und Ausblick

"Meine Erwartung an die sportliche Leitung ist, dass sie zu diesem Treffen eine erste Analyse vornimmt, eine sportliche Analyse dieses Turniers. Dass sie aber auch Perspektiven entwickelt für die Zeit nach dem Turnier mit dem Blick auf die Europameisterschaft im eigenen Land", sagt Neuendorf.

Frust herrscht auch beim deutschen Einzelhandel. "Das frühe Aus der deutschen Nationalmannschaft bringt ein für den Einzelhandel ohnehin schwieriges WM-Geschäft frühzeitig zum Ende", sagt der Sprecher des Handelsverbandes Deutschland (HDE), Stefan Hertel. Katar als Austragungsort und der Wintertermin hätten von Anfang an keine Begeisterung aufkommen lassen. "Ohne die deutsche Mannschaft sinkt erfahrungsgemäß das Interesse an Fanartikeln und anderen WM-Artikeln rapide."

Trikots der deutschen Nationalmannschaft wurden am Freitag im Onlineshop von Adidas bereits mit 50 Prozent Nachlass verkauft. Das einfachere Fantrikot kostete 45 statt 90 Euro, das echte Trikot, das auch die Spieler tragen, wurde für 70 statt 140 Euro angeboten. Einen Trost immerhin gibt es. Viele Deutsche werden sich auch weiterhin an Niclas Füllkrug (Werder Bremen) begeistern. Der Stürmer mit der Zahnlücke ist der neue Liebling. Aber auch er sagt: "Mit dem, was wir draufhaben, hätten wir auch diese schwere Gruppe überstehen müssen." (Birgit Baumann aus Berlin, 2.12.2022)