Die Proteste im Iran und in China sind zeitweise abgeflaut. Die unbarmherzige Repression des Mullah-Regimes und der chinesischen Xi-Jinping-Diktatur zeigen offenbar Wirkung. Heißt das, dass solche brutalen, totalitären Regime mit ihrem eisernen Griff auf die gesamte Gesellschaft und der Bereitschaft zum hemmungslosen Blutvergießen einfach nicht durch Volksaufstände gestürzt werden können? Dass wir ewig mit aggressiven, unserer freiheitlichen Lebensart feindselig eingestellten Mächten leben müssen?

Ein Blick in die Geschichte der letzten 30 Jahre ergibt ein ernüchterndes Bild: Belarus – breite Bürgerproteste niedergeknüppelt. Russland vor zehn Jahren – Hunderttausende demonstrieren gegen Wladimir Putin, der unbeirrt eine fast totalitäre Diktatur errichtet. Der Arabische Frühling von 2011 – versunken in Repression und Bürgerkrieg.

Chinas Diktatur erlaubt keinen Umsturz in Richtung Demokratie.
Foto: AP Photo/Lee Jin-man

Die großen Erfolge der Freiheitsbewegungen liegen fast alle über 30 Jahre zurück. Der Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa, ein weltgeschichtlicher Vorgang, wurde wirklich durch breite, spontane Volksbewegungen ausgelöst. Die Ostdeutschen, die zu Millionen unter dem Ruf "Wir sind das Volk" demonstrierten; die Tschechen, die zu Hunderttausenden in Prag die KP wegfegten; die Polen und Ungarn, wo der Rückzug des Regimes schon früher begonnen hatte; ein paar Jahre später die Serben, die auf der Straße das Regime Milošević stürzten.

Inzwischen hat der Backlash eingesetzt. In Ungarn ist durch Wahlen ein übler Autokrat an die Macht gekommen, in Polen ein reaktionäres Regime, in Serbien ein geschickter Manipulierer (der unter Slobodan Milošević Propagandaminister war). Der nachhaltigste Erfolg mit den schwersten Folgen ist die Ukraine: Da wurde ein korruptes, Moskau-höriges Regime 2014 durch einen Volksaufstand gestürzt. Um den Preis, dass die Ukraine von Putin, der kein freies Land neben sich dulden kann, mit Krieg überzogen wurde.

Machtwechsel

Wann kann das Volk ein Regime stürzen? Lenin wird der Spruch zugeschrieben, eine "revolutionäre Situation" sei gegeben, wenn "die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen". Tatsächlich bedarf es objektiver Voraussetzungen. Der kommunistische "Ostblock" war wirtschaftlich, technologisch und ideologisch am Ende, als er in sich zusammenfiel. Aber es bedurfte eines Michail Gorbatschow, der eben nicht schießen ließ, als sich die Massen auf Osteuropas Straßen sammelten.

Das Regime der bösen alten Männer im Iran hält sich noch, weil es seine gewalttätigen jungen Männer ("Revolutionsgarden"), die sonst nichts zu tun haben, auf die jungen Frauen loslässt. Wenn die Iraner, Männer und Frauen, wirklich zu Hunderttausenden und Millionen auf die Straße gehen, wird Gewaltanwendung schwer. Aber noch fehlt dazu ein letzter Impuls.

Chinas digitale Diktatur erlaubt keinen Umsturz in Richtung Demokratie. Den Protestierenden geht es auch eher um eine Lockerung des maoistischen Zwangszugriffs auf alle Lebensbereiche, verkörpert in den Null-Covid-Maßnahmen. Die Politik von Xi Jinping ist aber, auch international, eindeutig auf überhöhte Machtansprüche, auf Überdehnung ausgerichtet. Das kann zu einem Machtwechsel innerhalb des Regimes führen.

Ähnlich Russland. Das System an sich ist ziemlich stabil, die Repression funktioniert, das Volk erhebt sich nicht. Aber Putin hat mit dem Angriff auf die Ukraine die russischen Kräfte eindeutig überdehnt. Das wird Folgen haben. Wahrscheinlich wird Russland keine Demokratie. Aber es wäre schon ein gemäßigteres Regime eine Verbesserung. (Hans Rauscher, 4.12.2022)