In den 1980er-Jahren gab es in den Weihnachtsferien für Familie Rohrhofer nur ein Ziel: Gosau. Konkret die kleine Frühstückspension von Tante Hilde und Onkel Peter. Vor allem Letzterer war für Kinderaugen ein mächtiges Erscheinungsbild: ein Bär von einem Mann mit einem Vollbart, dessen Dichtheit mit dem Dschungel von Eschnapur locker mithalten konnte. Und ein begnadeter Skifahrer. Im Pisteneinsatz meist mit kleinen Eiszapfen im Gesichtsbewuchs und stets mit einer Tafel Schokolade und einem Liter Milch als Proviant im Rucksack. Trotz all seiner Mächtigkeit war Onkel Peter die Güte in Person.

In der Vorweihnachtszeit ist für viele die Maske Pflicht. Mitunter wird der Krampusbrauch aber zur ritualisierten Schlägerei.
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Nur so um den 5. Dezember herum setzte bei ihm stets eine erstaunliche Verwandlung ein: Der Bart wuchs sich zu einer Ganzkörperbehaarung aus, das Gesicht wurde zur Fratze, und Tante Hilde setzte Onkel Peter gewaltige Hörner auf. Uns Kindern kroch die Mischung aus Ehrfurcht und Stolz – nicht jeder ist mit einem Schiachpercht verwandt – bis in die Skisocken. Vor die Türe durften wir in diesen rauen Nächten aber nie. Dennoch war es eine unglaublich prägende Kindheitserinnerung. Immer wenn in den Folgejahren die Oma ein "Wennst nicht brav bist, kommt der Krampus" gepoltert hat, habe ich mich gefreut, dass der Onkel Peter zu Besuch kommt.

Feuer und Schwefel

Vielerorts riecht es auch heute in den Adventnächten nach Ziegenstall, altem Fell, Talg und bengalischem Feuer. Es ist der Duft der vorweihnachtlichen Anarchie. Denn das Tor zur Hölle steht in den dunklen Nächten weit offen. Doch der Grat zwischen jahrhundertealtem Brauchtum und einem alkoholgeschwängerten Ausbruch toxischer Männlichkeit ist mitunter ein schmaler. In die gelebte Tradition mischen sich mit unangenehmer Regelmäßigkeit Berichte über Ausschreitungen im Zusammenhang mit Krampus- und Perchtenläufen. Die Anonymität, oft gepaart mit Alkohol, führt nicht selten zu einem Übermaß an Aggression. So haben etwa heuer Perchten bei einem Krampuslauf in Braunau an einem Absperrgitter gezerrt und gerissen – und brachen einem Zehnjährigen dabei den Fuß.

Tiroler Krampusse protestieren gegen "Brauchtumsvernichtung" durch die Absage von Perchtenläufen aufgrund geltender Corona-Maßnahmen.
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Exzesse mit Folgen

Bei den Vereinen selbst verwahrt man sich mit Händen und Hörnen gegen ein Schlägerimage. "Man darf nicht alle in einen Topf werfen. Es gibt Gruppen, die stecken viel Arbeit in ihre Shows, und andere, die Ärger machen", sagt Wolfgang Prischl. Er zählt mit seiner 50 Mitglieder starken Gruppe Nigri Diaboli aus Himberg zu den größeren Krampusvereinen in Niederösterreich. Besäufnisse vor den Auftritten seien tabu, aggressives Verhalten oder gar Hinschlagen auf das Publikum sowieso. Massenläufe mehrerer Gruppen meidet der Verein seit längerem, denn das Risiko sei einfach zu groß, dass sich andere danebenbenehmen. "Wir machen unsere eigenen Shows mit unseren Leut. Da wissen wir, wer mitläuft", sagt Prischl.

Dass die Bergteufel an so manchen Orten für viel Unruhe in der eigentlich stillen Zeit sorgen, wird vielen Vereinen aber zum Verhängnis. So erklären sich Versicherungen nicht mehr bereit, für Schäden aufzukommen, die bei manchen Krampusläufen entstehen. Dieses Schicksal ist Prischls Verein bisher nicht widerfahren. Die Niederösterreicher beschäftigen eigene Ordner bei den Läufen, damit weder Krampusse noch Publikum zu Schaden kommen. Die Pflege des Brauchtums stehe ohnehin immer als oberstes Gebot bei jeder Show – nicht das Herauslassen aufgestauter Wut im Schutze einer Maske.

Teure Tradition

Die Leidenschaft für die haarigen Dämonengestalten kann den Himbergern jedenfalls nicht abgesprochen werden. Was auf den ersten Blick als wild zusammengeflicktes Fell mit einer schrecklich schön aussehenden Maske wirkt, ist in Wahrheit stundenlange Arbeit eines dafür beauftragten Maskenschnitzers. Für die Kostüme kommt der Verein nicht selbst auf, jedes Mitglied bezahlt seinen teuflischen Anzug aus eigener Tasche – und das kann schnell teuer werden. "Nicht selten kostet ein Kostüm über tausend Euro. Auch für gebrauchte Teile muss entsprechend viel Geld investiert werden", erklärt Prischl.

Das Hineinschlüpfen in das Krampusfell, das Überziehen der Teufelsmaske und das anschließende Herumlaufen mit dicken läutenden Glocken auf dem Rücken sehen die Mitglieder als ihr Hobby an. Und das, obwohl man den bösen Begleiter des Heiligen Nikolaus spielt und nicht gerade Vorfreude auf Weihnachten versprüht. Das erledigt der Nikolo als Teil der Show schon selbst: Süßigkeiten inmitten der höllischen Vorstellungen sorgen für leuchtende Kinderaugen.

Nikolo ohne Perchten

Anders als der Nikolo haben Perchten bei einem Krampuslauf eigentlich nichts zu suchen. Sie sind traditionell jene Gestalten, die den Winter und dessen Geister austreiben wollen. Vermischungen der beiden Höllenfiguren sind aber allgegenwärtig, das gibt auch Prischl zu: "Eigentlich sind wir ein Krampusverein, vom Äußeren kommen wir den Perchten aber sehr nahe."

Jemand, der sich mit den Bräuchen bestens auskennt, ist die Salzburgerin Gabriele Neudecker. Sie ist Drehbuchautorin, Regisseurin und Filmproduzentin. Und sie erlag 2017 der Krampus- und Perchtenfaszination. Durch die Raunächte lief Neudecker aber nicht mit der Maske, sondern mit der Filmkamera. Geworden ist daraus die Dokumentation Gruß vom Krampus!. Auffallend sei, dass immer mehr junge Leute ein gesteigertes Interesse am Krampuswesen hätten, sagt sie. "Das ist eine boomende Jugendkultur. Die jungen Menschen saugen das auf. Interessanterweise schwappt in diesem Fall eine Jugendkultur vom Land in die Stadt über." Vordergründig sei es die Lust am Verkleiden. Neudecker: "Das Schlüpfen in eine starke Rolle – furchteinflößend zu sein. Es ist ein wenig ein modernes Balzverhalten." Natürlich gehe es aber auch darum, Grenzen auszuloten: "Und natürlich gibt es auch Grenzüberschreitungen, die es eigentlich nicht geben dürfte. Es gibt Perchten, die gar nichts trinken, andere wiederum feiern als Krampus groß Party."

Erwartetes Gruseln

Es sei nicht zu verurteilen, dass der Krampus eben eine "gruselige Figur" sei. Neudecker: "Die Leute, die zum Krampuslauf gehen, erwarten sich das ja auch. Sie wollen nicht nur Masken schauen. Auch das Gruseln, das Wilde muss immer dabei sein. Natürlich ist damit die Gefahr größer, dass etwas passiert als bei einer Goldhaubengruppe."

Die Filmemacherin weist aber auch auf ein weiteres Problem hin: Nicht selten werde es für die Kramperln selbst gefährlich. "Da gibt es dann mitunter Zusammenrottungen anderer Jugendlicher, die dem Krampus das Fell anzünden oder die Maske herunterreißen." Aber trotz manch schwarzen Schafs auf beiden Seiten ist für die Krampusexpertin eines klar: "Man darf diese Kultur nicht verteufeln." (Markus Rohrhofer, Max Stepan, 4.12.2022)