Der Bahnhof Fritzens-Wattens soll barrierefrei werden.

Foto: Florian Scheible

In den zwölf Jahren, in denen Karin Grießer nun im Kiosk am Bahnhof Fritzens-Wattens arbeitet, hat sie diese Szene fast täglich gesehen: Menschen, die sich über die steilen Rampen neben den Stiegen zu den Bahnsteigen hinaufquälen. Auch heute Morgen habe eine Mutter wieder alle Kraft aufwenden müssen, um den Kinderwagen mit ihrem Kind nach oben zu hieven, erzählt sie und sagt: "Was die Barrierefreiheit angeht, ist der Bahnhof eine Katastrophe."

Es brauche mehr Parkplätze, außerdem müsse der Bahnhof barrierefrei werden – ein Lift für Menschen im Rollstuhl fehle. Wenn niemand helfe, müssten die Menschen in den Nachbarort Baumkirchen fahren und dort in den Zug einsteigen.

Das dürfte sich bald ändern. Der in die Jahre gekommene Bahnhof östlich von Innsbruck soll durch einen Neubau ersetzt werden. Immerhin ist es nicht irgendein Bahnhof. "Er soll der letzte Stopp vor dem Brennerbasistunnel werden", sagt der Fritzener Bürgermeister Markus Freimüller (ÖVP), auf dessen Gemeindegebiet der Bahnhof steht. Auf der anderen Inn-Seite liegt Wattens, die viermal größere Gemeinde.

Der Bahnhof Fritzens-Wattens liegt im Gemeindegebiet Fritzens
Foto: Florian Scheible

Doch Freimüllers Vorfreude ist getrübt. Als Folge der Teuerung und von zusätzlichen Ausstattungen wie etwa breiteren Zufahrtswegen für Radfahrer ist die letzte Kostenschätzung von 58 auf 94 Millionen Euro hinaufgeschnellt. Damit haben sich auch die Anteile, die die beiden Standortgemeinden Fritzens und Wattens für den Bau beisteuern müssen, von 2,4 auf 4,6 Millionen Euro nahezu verdoppelt. Freimüller – Bürgermeister von rund 2000 Einwohnerinnen und Einwohnern – will nun an der vor Jahren geschnürten Finanzvereinbarung rütteln. Unterstützung bekommt er von den Umlandgemeinden, die ebenso mitzahlen sollen.

Zur Erklärung: Die Grundsatzvereinbarung zwischen der ÖBB, dem Land Tirol und dem Gemeindebund regelt, dass bei derartigen Projekten 25 Prozent der Kosten von Hochbauten wie etwa Parkdecks von den Standortgemeinden zu berappen sind. Weitere 25 Prozent übernimmt das Land und 50 Prozent die ÖBB.

Freimüller hält am Projekt grundsätzlich fest, aber will sich von der "Vereinbarung nicht in den Schwitzkasten" nehmen lassen. "Natürlich ist es interessant für Fritzenerinnen und Fritzener, die ÖBB zu nützen, aber die Bundesbahnen machen damit ja ein Geschäft", so der Bürgermeister. Deshalb müsse für seine Gemeinde "eine andere Zahl" herauskommen.

Er sieht die Verantwortlichkeiten ob der künftig "strategisch wichtigen Rolle für den Brennerbasistunnel" ohnehin woanders. Dadurch bekomme der Bahnhof eine überregionale Bedeutung. Doch bei der Bahn stößt er auf taube Ohren: Die Kosten seien "den Partnern bekannt und mit ihnen abgestimmt", sagt ein ÖBB-Sprecher.

Der Bahnhof diene vor allem den Menschen in der Region und weniger dem Unternehmen, betont er. Der Bahnhof werde künftig nur dann für Güterverkehr genutzt, wenn etwa im Tunnel Wartungsarbeiten stattfinden. Durch die Modernisierung soll der Nahverkehr attraktiver werden – und der Bahnhof endlich barrierefrei. Geplant sind neben Auto-, Moped- und Fahrradabstellplätzen auch ein Busterminal und zwei Überführungen, die Fußgängern und Radfahrerinnen auf beiden Gemeindeseiten ein Überqueren der Straße ersparen.

Derzeit ist der Bahnhof Fritzens-Wattens noch ein Ärgernis für Menschen mit schweren Koffern, Kinderwägen oder im Rollstuhl. Das soll eine Modernisierung des Bahnhofs im nächsten Jahr ändern.
Foto: Florian Scheible

Das freut auch eine Wattenerin, die Richtung Inn marschiert und auf beiden Schultern Einkaufstaschen trägt. Sie mache "jede Erledigung mit dem Zug", ein neuer Bahnhof würde mehr Menschen motivieren, das Auto stehen zu lassen. Besonders wichtig sei, dass die leidige Kreuzung" vor dem Bahnhof endlich durch einen Kreisverkehr ersetzt wird.

Für Freimüller ist dieser Kreisverkehr ein zusätzlicher Kostenpunkt von 200.000 Euro im Gemeindebudget. Und nicht nur er macht sich Sorgen, sondern auch die Nachbargemeinden nördlich und südlich des Inns.

Um die Kosten für den Bahnhof für Fritzens und Wattens generell abzufedern, hat Freimüllers Vorgänger im Vorjahr ein Planungsübereinkommen mit der ÖBB unterzeichnet. Darin haben auch sieben Umlandgemeinden ihre finanzielle Unterstützung zugesichert.

Neben Fritzens und Wattens sitzen Wattenberg, Kolsass und Kolsassberg, Baumkirchen und Volders im Planungsverband. Laut Freimüller sind auch "Gnadenwald und Weerberg mit in der Verlosung".

Zahl der Autos war entscheidend

Entschieden über die Kostenaufteilung hat aber nicht das Los, sondern eine Verkehrszählung der ÖBB im Jahr 2020. Gezählt wurden Pkws aus der jeweiligen Gemeinde, die das Parkareal rund um den Bahnhof nutzen. Auf dieser Basis wurden die Anteile fixiert. Alle Gemeinden außer Weerberg haben ihren Beitrag per Gemeindebeschluss zugesichert.

Nun kommen kleinere Gemeinden ins Schwitzen. Wattenberg und Gnadenwald zählen jeweils weniger als 800 Einwohner und bezeichnen sich als "finanzschwach". Ihre vereinbarten Beiträge von 140.000 und knapp 178.000 Euro konnten die Gemeinden nur zusichern, weil "der Betrag abgesichert war", sagt der Wattenberger Bürgermeister Franz Schmadl. Sprich: Es gab Zusagen vom Land, die kompletten 140.000 Euro mittels Bedarfszahlungen auszugleichen. Das sei nach der aktuellen Teuerung nicht mehr der Fall. Die Gnadenwalder Bürgermeisterin Heidi Profeta hat für 2023 jedenfalls nichts budgetiert.

Ideen, wer die Kosten von finanzschwachen Gemeinden übernehmen soll, hat Schmadl bereits: "Unterstützungen des Landes oder die ÖBB zahlt mehr. Als Gemeinde für Infrastruktureinrichtung der Bundesbahn hergenommen werden, kann nicht Sinn der Übung sein." Freimüller stellt infrage, ob es überhaupt Aufgabe der Umlandgemeinden ist, die Standortgemeinden zu unterstützen. "Ich sehe die Rolle eher in Innsbruck, Wien und Brüssel und nicht in Volders, Kolsassberg und Wattenberg."

Das soll am Montag bei der Planungsverbandsitzung geklärt werden. Obmann ist der parteilose Lukas Schmied, Bürgermeister von Wattens. Mit 8000 Einwohnern und Firmen wie Swarovski und der Papierfabrik Delfort hat er eine andere Finanzkraft als kleinere Gemeinden. Aus seiner Sicht ist der Neubau auf Schiene, genauso müsse die Finanzierung auf Schiene gebracht werden. "Wir werden nicht den Bahnhof absagen, weil zwei, drei Gemeinden den Anteil nicht zahlen können."

Überrascht reagiert der Tiroler Verkehrslandesrat René Zumtobel (SPÖ) auf Freimüllers Ansagen. "Die Gemeinde hat sich zu einem Anteil bekannt, und zu dem wird sie hoffentlich auch stehen", sagt er. Den Finanzierungsschlüssel will er nicht neu verhandeln, er betont aber, dass es Unterstützungen für finanzschwache Gemeinden geben wird. Der nächste Schritt sei nun, die 13,9 Millionen Euro in der Landesregierung zu beschließen.

Der Bau soll nächstes Jahr beginnen. Karin Grießer wird diesen Neustart, auch wenn er rechtzeitig kommt, nicht mehr vom Kiosk aus beobachten. Sie geht mit 1. Juli in Pension. (Julia Beirer, 4.12.2022)