Jede Bürgerin und jeder Bürger hat ein staatlich garantiertes Recht darauf, zu arbeiten und ein ordentliches Einkommen zu beziehen. Ein möglicher Jobverlust verliert damit viel von seinem Schrecken, denn alle Beschäftigten wissen, dass sie garantiert nicht zur Untätigkeit verdonnert sind und ihnen nicht lange Arbeitslosigkeit oder sogar Armut droht. Klingt zu schön, um wahr zu sein? Für einen Teil der Bevölkerung von Gramatneusiedl, einem kleinen Ort im östlichen Niederösterreich, ist dieses Szenario seit rund zwei Jahren Realität geworden.

Das AMS Niederösterreich testet dort seit Herbst 2020 die Wirkung einer Jobgarantie für Langzeitarbeitslose. Allen Menschen, die länger als neun Monaten ohne Arbeit sind, wird in Gramatneusiedl das Angebot gemacht, eine bezahlte Stelle anzunehmen.

Das Projekt hat noch zwei weitere Besonderheiten: Medienwirksam findet es in jenem Ort statt, wo die Marienthal-Siedlung liegt, ein früheres Arbeiterwohnheim, das zu einer gleichnamigen Textilfabrik gehörte. Als die Fabrik 1929/1930 infolge der Weltwirtschaftskrise zusperrte, wurde der Ort über Nacht arbeitslos.

Ein Forscherteam rund um die Sozialwissenschafterin Marie Jahoda untersuchte die Auswirkungen dieser Katastrophe. Ihre Arbeiten dazu sind weltberühmt. Die zweite Besonderheit: Das AMS-Projekt wird von einem Team von Ökonomen der Universität Oxford und von Sozialwissenschaftern der Uni Wien begleitet und evaluiert.

Ein Fünftel weniger Arbeitslose

Dem STANDARD liegt die Untersuchung der Experten aus Oxford vor. Zentrale Ergebnisse der Forscher Lukas Lehner und Maximilian Kasy: Mit der Jobgarantie konnte die Langzeitarbeitslosigkeit in Gramatneusiedl drastisch reduziert werden. Die Langzeitarbeitslosenquote ist um 60 Prozent gesunken. Die gesamte Arbeitslosenquote ging um gut 20 Prozent zurück. Die Studie zeigt zudem signifikante Verbesserungen bei einer Reihe sozialer und persönlicher Indikatoren.

Wer am Projekt teilnahm, ist im Vergleich zu anderen Langzeitarbeitslosen aktiver, gibt eher an, seine Zeit strukturiert zu verbringen. Die Menschen haben auch eher das Gefühl, einen sinnvolleren Beitrag in der Gesellschaft zu leisten. Die Sorge vor finanziellen Problemen nimmt ab. Positive Auswirkungen auf die Gesundheit wurden nicht gefunden.

Auch die Evaluierung der Sozialwissenschafter der Uni Wien rund um den Soziologen Jörg Flecker, die dieser Tage publiziert wird, bestätigt manche dieser positiven Befunde: Rund 90 Prozent der Teilnehmer am Projekt geben an, dass ihnen zusätzliche Kontakte ermöglicht wurden.

Wer schafft die Arbeit?

Vor- und Nachteile einer Jobgarantie werden in Wissenschaft und Politik seit Jahren diskutiert. Das Konzept kommt aus den USA, und hinter der Idee steckt der Kerngedanke, die Verantwortlichkeiten in der Arbeitsmarktpolitik umzudrehen. Derzeit liegt es an den Jobsuchenden selbst, einen Job zu finden. Wer die Arbeit verliert, bekommt Arbeitslosengeld, im besten Fall gute Qualifizierungsangebote und ist im Gegenzug verpflichtet, sich um eine Stelle zu bemühen. Bei der Jobgarantie ist es der Staat, der zusagt, Arbeitsplätze zu finden oder zu schaffen.

Gut 120 Menschen profitierten von der Jobgarantie in Gramatneusiedl. Einige arbeiten in einer Werkstatt vor Ort.

Die nun vorgelegte Evaluierung der Wissenschafter aus Oxford arbeitete mit unterschiedlichen Methoden. Arbeitsuchende aus Gramatneusiedl, die für das Projekt infrage kommen, wurden per Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt. Die beiden Gruppen begannen um einige Monate zeitversetzt mit der Projektteilnahme. So wurde verglichen, wie es jenen geht, die schon mitmachen, und jenen, die noch warten müssen. Hinzu kommt ein Vergleich mit anderen ähnlichen Gemeinden aus Niederösterreich, was die Arbeitslosenzahlen betrifft. Schließlich wurden Langzeitarbeitslose aus anderen Orten befragt.

Gegen das Projekt lassen sich natürlich auch Einwände finden. Zunächst ist die analysierte Gruppe klein: Insgesamt erhielten bisher laut AMS 120 Personen eine Jobgarantie. In der Oxford-Studie wurden die Ergebnisse für 62 Arbeitslose analysiert – jene, die im Herbst 2020 ein Teilnahmeangebot erhielten. Dafür wurde ein breiter methodischer Mix zur Evaluierung herangezogen.

Wo die Jobsuchenden untergekommen sind

Ein weiterer möglicher Kritikpunkt betrifft die Ausgestaltung der Garantie: Das AMS bietet Betrieben an, in den ersten drei Monaten 100 Prozent der Lohnkosten eines Langzeitarbeitslosen zu übernehmen. Danach werden für neun Monate 66 Prozent bezahlt. Dieser hohe Zuschuss und die Tatsache, dass alle AMS-Klienten, die infrage kommen, ein Angebot bekommen, unterscheiden die Maßnahme von anderen AMS-Angeboten.

Die meisten Arbeitslosen im Ort sind nicht bei einem Betrieb untergekommen, sondern in einem sozialen Unternehmen, das in Gramatneusiedl per Auftrag des AMS Beschäftigte für diverse Tätigkeiten einstellte, etwa für Möbelrestaurationen und Renovierungsarbeiten. Ist das damit keine echte Jobgarantie?

Nein, sagt der Initiator des Projektes, der Chef des AMS Niederösterreich, Sven Hergovich. Dass die meisten Betroffenen nur in einem sozialen Unternehmen untergebracht werden können, sei eine weitere Lehre aus dem Projekt und zeige, dass für viele Betroffene eine Vermittlung in den klassischen Arbeitsmarkt zunächst nicht funktioniere. "Für diese Menschen ist die Alternative: Langzeitarbeitslosigkeit oder Jobgarantie", so Hergovich. Das AMS-Projekt ist teuer, budgetiert sind bis 2024 immerhin 7,4 Millionen Euro. Langzeitarbeitslosigkeit koste auch viel, sagt Hergovich, allein schon wegen des ungenützten Potenzials der Menschen.

Verpflichtet dazu, ein Jobangebot anzunehmen, ist im Rahmen des Projektes übrigens niemand. Dass die überwiegende Mehrheit es dennoch getan hat, zeige laut Hergovich, dass die schwierige Integrierbarkeit von Langzeitarbeitslosen nicht daran liegt, dass die Menschen unwillig wären zu arbeiten. (András Szigetvari, 3.12.2022)