Die Replik einer Schiefertafel aus der Nähe von Sevilla zeigt, wie die Eulendarstellung einst aufgehübscht werden konnte.
Foto: Juan J. Negro

Menschen lieben Gesichter. Überall, wo wir hinblicken, erkennen wir sie – auch dann, wenn nur zufällig ein ähnliches Muster gebildet wird, in der Holzmaserung oder auf dem Frühstücksteller etwa. Zwei große "Augen" und ein Fleck oder Strich darunter reichen dafür aus. Und so bilden wir auch selbst meist menschliche Gesichter ab, schon im Kindesalter. Bei Tierbildern ist das interessanterweise oft anders: Vielleicht wollen wir sie von unserem eigenen Aussehen unterscheiden und zeichnen Mäuse, Hunde und Pferde häufig im Profil.

Für manche Tiere gilt dieser Darstellungstrend allerdings nicht – beispielsweise für Eulen. Die großen Augen der Vögel scheinen uns zu sehr zu faszinieren, um sie nicht beide abzubilden. Dies inspirierte auch den Biologen Juan Negro von einem Forschungsinstitut des spanischen Obersten Rats für wissenschaftliche Forschung (CSIC) in Sevilla. Mit zwei Fachkollegen und einem Kunsthistoriker veröffentlichte er im Fachjournal "Scientific Reports" kürzlich eine Studie, die beeindruckende archäologische Relikte in einen neuen Kontext setzt. Neben menschenartigen Wesen wurden die Darstellungen teilweise als Eulen interpretiert – andere Tiere kamen nicht vor. Die These des Teams: Die Gegenstände könnten von Kindern als Spielzeug hergestellt worden sein.

Der Steinkauz könnte für manch eine prähistorische Darstellung Modell gestanden haben.
Foto: Juan J. Negro

Anhänger für die Toten

Bei den Relikten geht es konkret um kleine Schieferplatten aus der Steinzeit, von denen man seit dem 19. Jahrhundert etwa 4.000 Exemplare in Spanien und Portugal entdeckte. Sie sind meist zehn bis 20 Zentimeter hoch, relativ dünn und könnten einst um den Hals getragen worden sein, jedenfalls sprechen Löcher an einer Seite der Objekte dafür. Interessanterweise wurden viele davon in Gräbern gefunden. Das lässt die Vermutung zu, dass es sich um religiöse Kultgegenstände handelte, in die womöglich Bilder anthropomorpher Gottheiten oder verstorbener Ahnen eingeritzt wurden.

Nicht die Löcher am oberen Ende, sondern die großen Kreise darunter stellten wahrscheinlich Eulenaugen dar.
Foto: Juan J. Negro

Jene Abbildungen, die am stärksten an Eulen erinnern, brachten das Forschungsteam jedoch offenbar ins Grübeln. Könnten sie auch einem anderen Zweck gedient haben und als Spielzeug für Kinder benutzt worden sein? Und könnten Kinder selbst sie gebastelt haben – oder zumindest für die Einritzungen verantwortlich sein?

Eulen aus der Bildersuche

Um sich der Frage wissenschaftlich anzunähern, wertete die Gruppe einhundert Schieferplatten mit Blick auf Augen, Federn und andere eulenartige Charakteristika aus. Außerdem stellten sie mit den 5.500 bis 4.700 Jahre alten Kunstobjekten einen Vergleich an. Wie ähnlich waren sie Eulendarstellungen, die Kinder im Alter zwischen vier und 13 Jahren gemalt hatten (und die das Forschungsteam mitunter per Google-Suche untersuchte)?

Ein 6- bis 9-jähriges Kind hielt diese Eulen künstlerisch fest, die den Darstellungen auf den Schieferplatten nicht unähnlich sind.
Foto: Juan J. Negro

Die Analyse zeigte viele Ähnlichkeiten auf. So könnten Kinder seit Tausenden Jahren beim Ritzen und Zeichnen von Eulen auf vergleichbare Merkmale wert legen, vermuten die Forscher. Ihnen zufolge ähnelten einige der Platten aus der Kupferzeit eher Eulenbildern heutiger Kinder – und weniger anderen Abbildern der Vögel, die erfahrenen Kunsthandwerkern jener Zeit zugeschrieben werden. Dies spreche also dafür, dass auch Kinder selbst die Schieferplatten mitgestalteten.

Spanische Schulkinder im Alter von 8 Jahren zeichneten diese Eulen innerhalb von maximal 20 Minuten und lieferten so Vergleichsmaterial für die Studie. Wie bei vielen anderen Eulenbildern sind der große Kopf und die runden Augen im Fokus.
Foto: Juan J. Negro

Basteltipp Federschmuck

Eine weitere Vermutung betrifft die zwei Löcher, die in die Platten gebohrt wurden. Dabei müsse es sich nicht unbedingt um Einfädelungsstellen handeln, da es keine entsprechenden Abnutzungserscheinungen gäbe. Zwar könnte dies auch daran liegen, dass sie als Grabbeigabe keiner alltäglichen Beanspruchung ausgesetzt waren. Doch die Idee der Forscher geht in eine andere Richtung: Als Mixed-Media-Kunst könnten die Löcher auch dafür gedacht gewesen sein, Eulenfedern hineinzustecken. So würden sie den lebendigen Eulen, die auf der iberischen Halbinsel vorkamen und vorkommen, stärker ähneln – etwa der Waldohreule mit ihren markanten Federbüscheln.

Eine Waldohreule in freier Wildbahn.
Foto: Juan J. Negro

Den Wissenschaftern zufolge könnten also die "eulenähnlichen Schieferplättchen Überreste von Objekten" sein, "die sowohl für rituelle Zeremonien als auch zum Spielen verwendet wurden", heißt es in der Studie. Immerhin ist vorstellbar, dass sich auch Kinder von Verstorbenen verabschiedeten und im Rahmen der Bestattungsriten eigens verzierte Tafeln beilegten. So sei es möglich, dass die Kunstwerke einen Einblick in kindliches Verhalten vor rund 5.000 Jahren liefern – und in die Darstellung von Greifvögeln, deren Gesichter die Menschheit seit mindestens 30.000 Jahren in den Bann ziehen und zum künstlerischen Festhalten animieren. (sic, 4.12.2022)