Elon Musk macht sich neue Freunde.

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Die Wiederherstellung eines einzelnen Twitter-Kontos mag für die weitere Entwicklung einer einzelnen Plattform nicht entscheidend sein und doch ist die Symbolkraft einer aktuellen Entscheidung des von Elon Musk geführten Unternehmens nicht zu unterschätzen. Twitter hat den Account eines der bekanntesten US-Neonazis wieder freigegeben.

Offen neonazistisch

Andrew Anglin ist der Gründer der Neonazi-Seite "The Daily Stormer", die in Anspielung auf das NSDAP-Wochenblatt "Der Stürmer" benannt wurde. Anglin selbst ist rabiater Antisemit, was ihm bereits im Jahr 2013 eine Sperre von der Plattform eingebracht hatte. Derzeit befindet sich der Neonazi übrigens auf der Flucht. Er versucht sich damit einem Urteil aus dem Jahr 2019 zu entziehen, in dessen Rahmen er 14 Millionen US-Dollar Strafe für eine von ihm geleitete Hasskampagne gegen jüdische Einwohner im US-Bundesstaat Montana zahlen müsste.

Anglin zeigt sich über seine Rückkehr auf Twitter erfreut und verbrachte seinen ersten Tag gleich stilgerecht: Indem er die antisemitischen Tiraden von Kanye West, der ironischerweise dafür von Musk persönlich von Twitter geworfen wurde, verteidigte. Diese kulminierte darin, dass der mittlerweile unter dem Namen Ye auftretende Musiker ein Bild postete, das eine Mischung aus Davidstern und Hakenkreuz zeigte. West war erst wenige Tage zuvor von Musk auf Twitter zurückgeholt worden – nachdem er zuvor ebenfalls bereits gesperrt war.

Es handelt sich bei Anglin auch nicht um den einzigen bekannten Neonazi, der aktuell sein Konto zurückerhält, in den vergangenen Tagen sind viele bekannte Rechtsextreme auf Twitter zurückgekehrt. Darunter auch andere US-Neonazis wie Patrick Casey oder Richard Spencer.

Sperren gegen antifaschistische Konten

Gleichzeitig wurden in den vergangenen Wochen einige Accounts von antifaschistischen Organisationen und Einzelpersonen gesperrt. Dazu zählt etwa das Konto von Chad Loder, der seit Jahren antifaschistische Recherche betreibt und unter anderem bei der Identifizierung vieler Täter des Angriffs auf das US-Kapitol Anfang 2021 eine wichtige Rolle gespielt hat. Hinter den Sperren dürfte eine gezielte Kampagne von Rechtsextremen stecken, die zuvor eine Liste mit tausenden vermeintlichen Antifa-Accounts gepostet hatte, die gemeldet werden sollten.

Seit Ende Oktober wurden laut einer Analyse des Softwareentwicklers Travis Brown rund 12.000 gesperrte Twitter-Konten wieder geöffnet. Derzeit scheinen dabei jeden Tag mehrere hundert Accounts entsperrt zu werden. Darunter neben jenen von Rechtsextremen auch viele, die Desinformation zu Impfstoffen verbreitet haben, aber auch ganz offensichtliche Spam-Konten wurden wieder geöffnet.

Hass wächst an

All das hat natürlich Konsequenzen, nicht zuletzt auch weil viele Trolle derzeit versuchen, die neuen Grenzen auszutesten und dabei auf ein personell stark geschwächtes Moderations-Team treffen. So zeigt eine aktuelle Studie des Center for Countering Digital Hate, dass sich die Nutzung des N-Worts auf Twitter seit der Musk-Übernahme Ende Oktober verdreifacht hat. Auch Beschimpfungen gegen homosexuelle oder Transgender-Personen hat stark zugenommen, das gleiche gilt für Personen mit jüdischem Hintergrund.

Musk selbst widerspricht diesen Zahlen übrigens, und behauptet, dass die Verbreitung von Hass über Twitter sogar zurückgegangen sei. Welche Kriterien er für seine Behauptungen anlegt, bleibt aber unklar.

Unsicherheit bei Werbenden

Klar ist hingegen, dass all das auch konkrete Auswirkungen auf Twitter hat – und zwar dessen Werbegeschäft. Wie die New York Times berichtet, liegen die aktuellen US-Werbeeinnahmen des Unternehmens 80 Prozent unter den ursprünglichen Prognosen. Das ist auch deswegen besonders schmerzhaft, weil derzeit die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer läuft, die eigentlich immer einen Höhepunkt an Werbeeinahmen bringt.

Der Umgang von Musk mit diesem Thema dürfte bisher aus Sicht der Werbenden auch nicht gerade vertrauensbildend gewesen sein. Nachdem er zunächst abziehenden Werbern offen den Krieg erklärt hatte, legte er sich auch noch direkt mit Apple an und brachte dabei sogar die Behauptung in Umlauf, dass der iPhone-Hersteller mit dem Rauswurf von Twitter aus dem App Store gedroht hatte. Eine Aussage, die er später zurückziehen musste, eine entsprechende Drohung gab es laut dem späteren Musk nie, der sich mit dem Begriff "Missverständnis" aus der Affäre ziehen wollte.

Sowas kommt von sowas

Das Vertrauen der Werbenden gegenüber Twitter scheint jedenfalls auf einem Tiefpunkt angekommen zu sein. Die wachsende Befürchtung, dass die eigene Werbung direkt neben den Inhalten von Neonazis positioniert wird, dürfte da nicht gerade hilfreich sein, dieses Vertrauen wiederherzustellen. (apo, 4.12.2022)