Merkatz mit Schauspielkollegin Ingrid Burkhard in "Ein echter Wiener geht nicht unter".

Foto: First Look / picturedesk

Wien – Fernsehzuschauerinnen und -zuschauer der 1970er-Jahre, gleich ob jung, ob alt, erinnern sich im Zusammenhang mit Karl Merkatz vielleicht noch an ein Detail, das sie zum Staunen brachte: jene Überraschung, als sich herausstellte, dass der Schauspieler Karl Merkatz mit dem Elektriker Edmund Sackbauer nicht eins zu eins identisch war. Nach mehreren Folgen des "echten Wieners" war er einmal auf Ö2, wahrscheinlich zu Mittag in "Autofahrer unterwegs" oder am frühen Nachmittag in "Sie wünschen, wir spielen" zu hören und erzählte von seiner Rolle. In geschliffen schönem Deutsch. Nichts von "Nudeldrucker", "Schneebrunzer", "Häuseltschick" und "Heast, mei Bier is net deppert!". Heast, der kann schön sprechen!

Mit "Mundl" zur Ikone

Die Worte hatte ihm Ernst Hinterberger in den Mund gelegt. Merkatz selbst wollte ihn erst gar nicht spielen, wie er in seiner Autobiografie "So bin ich" schreibt. Und anders als viele seiner Kolleginnen davor und danach, die mehr sich selbst denn Figuren darstellten, hat Karl Merkatz den Mundl von 1974 bis 1977 gespielt. Er war es nicht.

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Das war nicht nur für den Autor Hinterberger und Regisseur Reinhard Schwabenitzky ein Glücksfall, sondern auch für den ORF. Die Interpretation des Favoritner Hacklers und Familienvaters, der in den Jahren der Ölkrise dem Stillstand im Arbeitermilieu und dem endgültigen Zusammenbruch des Patriarchats mit Zorn, Herz und Vollräuschen – also echt wienerisch – begegnete, ist zur Ikone geworden.

Damals erkannte sich so manche Ehefrau in der Toni, fanden sich Töchter und Söhne in den aufbegehrenden Sprösslingen des ewig schreienden Wüterichs. Und ganz viele wollten den Mundl in sich nicht wahrhaben.

Dabei hätte man glauben können, dass Karl Merkatz mit der Rolle seines Lebens – die ihm irgendwann zur Last wurde – etwas gemeinsam hatte. Denn mit ähnlichem Stil gab er bei Franz Antel 1981, 1996 und 2000 den Bockerer, der nicht minder "ein echter Wiener" war – ein leutseliger Fleischhacker, der gegen den Untergang kämpfte und den Österreichern einen Spiegel vorhielt, der manch einem gefallen mochte, weil er das Bild des österreichischen Nationalsozialisten in Antel'scher Manier verhübschte: Die Schweine, das waren die anderen.

Internationale Karriere

Jedenfalls sprudelte auch hier aus Merkatz das Wienerische in seiner ganzen derben Pracht hervor. Dass sich dahinter eine kultivierte, um gewählte Ausdrucksweise bemühte, in ihrem Denken und Tun kontrollierte Zielstrebigkeit ausdrückende Persönlichkeit verbirgt, damit war tatsächlich nicht zu rechnen.

Geboren wurde Karl Merkatz am 17. November 1930 als Sohn eines Werkzeugmachers und einer Weberin in Wiener Neustadt. Früh vom Theater fasziniert, spielte er in einer Laiengruppe, doch auf Wunsch seiner Eltern machte er, um "ein richtiges Handwerk" zu erlernen, zunächst eine Tischlerlehre. Die Meisterprüfung ließ er bleiben, stattdessen studierte er Schauspiel am Mozarteum in Salzburg, in Wien und in Zürich. Seit seinem 24. Geburtstag stand der Niederösterreicher auf der Bühne, spielte in mehr als 150 Theater- und Musicalrollen am Wiener Volkstheater, dem Theater in der Josefstadt und an der Volksoper sowie in Deutschland, aber auch in Amsterdam, Gent und Brüssel mit Figuren in Stücken von Nestroy, Raimund, Goethe, Beckett und Shakespeare. Bei den Salzburger Festspielen und im Wiener Burgtheater spielte er die Rolle des Benesch von Diedicz in "König Ottokars Glück und Ende".

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Dazu kamen mehr als 250 Rollen in Film und Fernsehen. Neben "Ein echter Wiener geht nicht unter", zwei weiteren Mundl-Filmen und vier "Bockerer"-Filmen zählten Robert Dornhelms "Der Unfisch", Nikolaus Leytners "Drei Herren", die Altersromanze "Anfang 80" von Sabine Hiebler und Gerhard Ertl sowie das Generationendrama "Der Blunzenkönig" von Leo Maria Bauer zu den größten Publikumserfolgen. Dafür wurde er unter anderem mit der Ehrenmedaille der Stadt Wien, dem Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, dem Großen Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um das Bundesland Niederösterreich und dem Österreichischen Filmpreis ausgezeichnet.

Soziales Engagement

1999 bis 2001 war er Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch. Dem Verein zur Förderung des zeitgenössischen Circus in Österreich stand er vor. Sein 75. Geburtstag wurde von einer Tragödie überschattet. Beim Nachhauseweg überfuhr er einen Motorradfahrer, der seinen Verletzungen erlag. Merkatz bekannte sich schuldig und wurde für vier Monate bedingt verurteilt. Im Jahr 2021 erlitt Merkatz einen Schlaganfall.

Merkatz im Jahr 2014.
Foto: APA / Herbert Pfarrhofer

Dass er seinen Bekanntheitsgrad vornehmlich aus "Mundl" und "Bockerer" zog und ihn Menschen manchmal damit nicht in Ruhe lassen wollten, belastete ihn, wie er zugab. Zu Silvester sah er sich trotzdem gern, wie er im ORF den Mundl gab und legendäre Vorsätze formulierte: Es etwa krachen zu lassen, bis sich "die Kwapil anbrunzt".

Merkatz gab sich bescheiden, nüchtern und überlegt dem Leben verbunden. Von einem kühnen "News"-Journalisten gefragt, wer seine Grabrede halten solle, antwortete er: "Niemand – Amen!" Um ihn trauert seine Frau Martha, mit der er seit 1956 verheiratet war, und seine beiden Töchter. Karl Merkatz starb im Alter von 92 Jahren.

Reaktionen: Würdigungen für großen Volksschauspieler

Bundespräsident Alexander Van der Bellen sah in Merkatz einen "großen Charakterdarsteller". Darüber hinaus sei er ein "unglaublich emphatischer und engagierter Mensch" gewesen: "Er trug das Herz am rechten Fleck."

Für Bundeskanzler Karl Nehammer hat Merkatz "Film- und Fernsehgeschichte geschrieben", wie er auf Twitter schrieb. "Der Tod dieses großen Volksschauspielers ist ein großer Verlust für Österreichs Kulturszene."

"Niemand hat mit so viel Liebe zu den Menschen das Sympathische und Liebenswerte hinter manchmal ruppigen Oberflächen gefunden und zum Leuchten gebracht", würdigte Vizekanzler Werner Kogler Merkatz: "Habe d'Ehre, Karl!"

Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer sah in Merkatz einen "Charakterdarsteller von einzigartigem Format", wie sie in einer Aussendung schrieb. "Wir verlieren mit ihm einen wahren König der Schauspielkunst."

Für SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner bleibt Merkatz "unvergesslich". Auf Twitter schrieb sie: "Er selbst hat einmal gesagt, dass es ihm nur darum ging, den Menschen Freude zu bereiten. Das ist ihm mehr als gelungen."

Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner würdigte den Ehrenbürger von Wiener Neustadt "als erfolgreichen Volksschauspieler, großen Künstler, aber auch als beeindruckende Persönlichkeit und geselligen Menschen".

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig: "Karl Merkatz revolutionierte mit der kontroversiellen Figur des Elektrikers Edmund Sackbauer das heimische Fernsehen. Kein anderer Serien-Charakter polarisierte damals das Publikum so stark wie ,der Mundl‘. Er war so etwas wie ein früher ,Wutbürger‘. Doch bei aller Grantigkeit hatte dieser bereits sprichwörtlich gewordenen ,echte Wiener, der nicht untergeht‘, letztendlich das Herz immer am rechten Fleck." (Doris Priesching, red, 4.12.2022)