Großer Aufreger oder eher großes Paket an Nichts? Die Beurteilungen der von Twitter veröffentlichten Mails zur Blockade eines Artikels über Hunter Biden variieren stark.

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Für die US-Rechte ist ein im Oktober 2020 publizierter Artikel zu Hunter Biden, Sohn des damaligen Präsidentschaftskandidaten – und nunmehrigen Präsidenten der USA -, schon seit Jahren der Beleg schlechthin für die unterstellte Bevorzugung der Demokraten durch große Techkonzerne. Neo-Twitter-Besitzer Elon Musk gießt nun mit der Veröffentlichung interner Dokumente neues Öl ins Feuer – und sorgt damit für sehr unterschiedliche Reaktionen aus den politischen Lagern.

Vorgeschichte

Doch worum geht es eigentlich? Im Oktober 2020 – und damit wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl – veröffentlichte die New York Post einen Artikel, in dem allerlei Vorwürfe gegen Hunter Biden erhoben wurden. So soll dieser gezielt Einfluss auf ukrainische Geschäftsleute genommen haben, wie sich aus geleakten E-Mails ergebe. Auch ein Video, das Sex sowie Drogenkonsum zeigte, spielte dabei eine Rolle.

Von Anfang an kritisiert

Twitter reagierte auf diesen Artikel mit einer harten Maßnahme: Links darauf wurden komplett blockiert. Als Grund wurde zunächst angegeben, dass es sich dabei um Informationen aus gehackten Materialien handle, und so etwas generell nicht erlaubt sei.

Eine Maßnahme, die Twitter rasch scharfe Kritik einbrachte, übrigens nicht nur von rechten sondern auch von vielen linken Kommentatoren, die es für unzulässig hielten, dass Twitter einfach so ein großes Medium blockiere. Die Sperre wurde wieder aufgehoben, Twitter entschuldigte sich öffentlich für die Fehleinschätzung.

Erklärungsversuche

Wie es dazu kommen konnte, erklärte der frühere Chef der "Trust and Safety" Yoel Roth erst vor wenigen Tagen in einem Interview. Angesichts des Timings aber auch der Vorgeschichte bei früheren Wahlen, hatte man eine – erneute – Einflussnahme von russischen Hackern auf US-Wahlen befürchtet, und dann eine Fehleinschätzung vorgenommen, die man schnell bereut und rückgängig gemacht habe.

Musk als Aufdecker

Szenenwechsel auf die Jetztzeit. Mittlerweile ist nämlich Elon Musk Twitter-Chef, und dem scheint es ein besonderes Anliegen zu sein, Licht in diese Angelegenheit zu bringen. Und so nahm das Unternehmen nun einen äußerst ungewöhnlichen Schritt vor. Der Journalist Matt Taibbi durfte im Auftrag von Musk interne Mails durchstöbern, um den Hintergründen nachzuspüren – das Ergebnis hat er unter dem Namen "The Twitter Files" als Thread auf dem Kurznachrichtendienst selbst veröffentlicht.

Was der Thread tatsächlich zeigt: Es gab Mails der Biden-Kampagne an Twitter, indem zum Löschen einzelner Tweets aufgefordert wurde. Ein Umstand, der Elon Musk persönlich zu einer etwas gewagten Theorie verleitete: In der Nacht auf Samstag, dass Twitter unter Befehl der Regierung gehandelt habe – und das Ganze insofern ein klarer Verstoß gegen den ersten Verfassungszusatz der USA sei.

Das ist alleine schon deswegen verblüffend, da die Demokraten zu diesem Zeitpunkt gar nicht an der Regierung waren, sondern ihr damaliger Opponent, Donald Trump. Auch sonst häuften sich schnell die Kommentare, dass Musk recht augenscheinlich die US-Verfassung nicht verstehe, wenn das wirklich sein Schluss aus den Dokumenten sei.

Schiefe Optik

Davon abgesehen ist die Optik natürlich trotzdem eine ziemlich schiefe, immerhin macht hier ein politischer Mitbewerber Druck auf eine Firma. Angemerkt werden muss, dass dieses Tool nicht den Demokraten vorbehalten war, sondern beiden Seiten im Präsidentschaftswahlkampf zur Verfügung stand– also auch den Republikanern, wie Taibbit betont. Und auch diese sollen davon Gebrauch gemacht haben.

Schuldig bleibt Taibbi in seinem Thread jegliche Information dazu, in welchem Umfang die Trump-Kampagne diese Möglichkeiten genutzt hat. Der Thread verweist stattdessen darauf, dass ein großer Teil der Twitter-Mitarbeiter Anhänger der Demokraten sei, das eigentliche Thema wird hingegen nicht mit Zahlen unterfüttert.

Ein weiterer Streitpunkt: Was Taibbi nicht ausspricht, ist, was die Biden-Kampagne eigentlich beeinsprucht hat. Die Frage, ob es dabei um den Artikel selbst oder um die damals ebenfalls auf Twitter zahlreich geposteten Ausschnitte aus dem erwähnten Video mit pornografischem Inhalt geht, bleibt also offen, ist aber eine entscheidende Frage.

Ein Team, das sich schwer tut

Ansonsten decken sich die Informationen aus dem Thread weitgehend mit dem, was Roth bereits öffentlich vorgetragen hat. Er zeigt ein Twitter-Team, das sich in einer komplexen und unklaren Situation recht augenscheinlich schwer damit tut, die richtige Entscheidung zu treffen. So gibt es mehrere Mails, in denen Mitarbeiter die Entscheidung kritisieren. Gleichzeitig schaltet sich ein Topanwalt von Twitter mit der Einschätzung ein, dass es zulässig wäre, davon auszugehen, dass gehackte Materialien die Grundlage für die Story bilden und man entsprechend in Hinblick auf deren Echtheit vorsichtig sein müsste. Wer schlussendlich die Entscheidung getroffen hat, belegen die Nachrichten nicht.

Keine "Smoking Gun"

Während der Thread bei manchen rechten Kommentatoren für gehöriges Aufsehen gesorgt hat, stimmt selbst eine Kolumnistin der direkt betroffenen "New York Post" zu, dass es sich dabei "nicht um jene rauchende Pistole handelt, auf die wir gehofft haben". Musk und Taibbi haben allerdings angekündigt, dass noch weitere Veröffentlichungen folgen sollen, unter Umständen befindet sich darin dann Substantielles.

Ein Twitter-Thread, der versucht die Geschehnisse möglichst neutral zusammenzufassen.

Doxxing von Jack Dorsey

Angesichts des aktuellen Chaos rund um Twitter, passt es natürlich gut ins Bild, dass Taibbi bei seiner Veröffentlichung auch noch ein paar grobe Fehler unterlaufen sind. So hat er – offenbar unabsichtlich – mit seinem Thread direkt gegen Twitter-Richtlinien gegen das "Doxxing" anderer Personen verstoßen.

Fanden sich in den Screenshots doch die privaten Mail-Adressen von Ex-Twitter-Chef Jack Dorsey, aber auch des demokratischen Abgeordneten Ro Khanna. Mittlerweile wurden dieses Tweets gelöscht, der Schaden ist aber natürlich bereits angerichtet.

Kritik

Doch noch einmal zurück zu Ro Khanna, der hatte sich nämlich tatsächlich direkt bei Twitter über den Vorfall beschwert. Allerdings nicht um Twitter zu einer Zensur zu bringen – sondern ganz im Gegenteil. Khanna brachte seine Besorgnis über die Zensur des betreffenden Artikels zum Ausdruck, was er generell mit der Meinungsfreiheit nicht vereinbar sieht.

Weniger erfreulich dürfte all das für jene Mitarbeiter sein, die über die damaligen Maßnahmen diskutiert haben, und die nun namentlich bekannt sind. Diese könnten sich nun infolge gezieltem Hass ausgesetzt sehen, wie Beobachter befürchten. Zu diesen zählt Twitter-Mitgründer Biz Stone, der die Veröffentlichung von Namen als "unnötig" und gefährlich kritisiert.

Echte Transparenz

Unterdessen verleitet die aktuelle Entwicklung manche Kommentatoren zu einer ganz anderen Idee. Wie wäre es, wenn Musk es mit der "offenen Kommunikation" ernst nimmt, und seine eigene Korrespondenz veröffentlicht – etwa rund um Tesla oder auch den diversen Verfahren, die Musk über die Jahre schon geführt hat.

Etwas weniger polemisch, aber in dieselbe Richtung stößt Alex Stamos, ehemaliger Sicherheitschef von Facebook. Wenn es Musk mit der Transparenz ernst meine, solle Twitter künftig jede Kontaktaufnahme durch politische Bewerber, die etwas mit Moderation zu tun haben, öffentlich machen – und zwar weltweit. Das würde dann natürlich die Kontakte der Biden-Administration ebenso beinhalten wie die Kommunikation zwischen Musk und Trump in den Tagen vor der Wiederherstellung von dessen Twitter-Konto.

Das wäre dann ernsthafte Transparenz, mit der Twitter ein weltweiter Vorreiter in dieser Hinsicht werden könnte, ist sich Stamos sicher. Das würde auch garantieren, dass zynische Personen nicht den Schluss ziehen, dass es Musk eigentlich gar nicht um Transparenz gehe, sondern um einseitige Veröffentlichungen im Sinne von Personen, die seine Ansicht teilen. (apo, 4.12.2022)