Auf den ersten Blick könnte man die vier Frauen in "Behind my four walls I call you my friend", der aktuellen Uraufführung der Wiener Choreografin Veza Fernández im Brut-Theater, als Hikikomori abtun. So werden in Japan Leute genannt, die sich von der sie überfordernden Gesellschaft abkapseln und in ihre vier Wände zurückziehen. Aber Barbara Kraus, Claire Lefèvre, Venuri Perera und Imani Rameses stellen bei Fernández etwas Widersprüchlicheres dar als bloßes Cocooning.
Keine Figur wirkt so richtig unglücklich oder gestresst, während sie auf der Bühne schlendert oder tanzt, ohne von den anderen Notiz zu nehmen. Jede führt ihr eigenes Selbstgespräch mit dem Effekt, dass sich die einzelnen Monologe durchgehend überlappen und daher größtenteils unverständlich bleiben. Was im Sprechtheater eher provokant wirkt, ist im Tanz nicht ungewöhnlich: eine Kombination mehrerer parallel ausgeführter Soloparts, die für sich stehen und zusammen eine gemeinsame Komposition ergeben.
Tanz-Monologe
Bei solchen Choreografien vermischen sich die individuellen Tanz-"Monologe" zum gemeinsamen Muster – so wie es in "Behind my four walls…" mit den Worten geschieht: Fernández leitet vom rein verbalen Sinngebilde zu einem annähernd musikalischen um, in dem die Sounds der Stimmen dominieren. Begleitet werden die Selbstgespräche von der Musikerin Conny Frischauf, die ihre Elektronik sensibel in die Dramaturgie des Stücks einbringt.
Vier Frauen also, die ganz individuelle, extravagante Kostüme tragen und mit sich selbst reden oder zu einem imaginierten Gegenüber: Das trifft einen wunden Punkt in unserer Gesellschaft, in der Gesprächskultur weniger wichtig ist als die Selbstdarstellung. Fernández scheint diese Eigeninszenierungen als Errungenschaft einer gelebten Diversität zu feiern.
Gequälte Langeweile
Doch das konterkarieren die offensichtlich sozial privilegierten Figuren unterschiedlicher Herkunft mit dem, was ihnen gerade so durch die Köpfe geht. Dabei klingt heraus: "Ich bin so unbedeutend." Oder: "Ich werde endlich wissen, wer ich bin." Und: "Ich habe keine richtige Arbeit, aber ich lebe ein Leben." Diese Gestalten füllen ihre innere Leere mit Phrasen – oder mit emotionalen Einbildungen: "Was für einen schönen Garten wir haben!" Aber auch: "Was macht der Yeti hier?!"
Nur selten flackern Konflikte auf. Eine der Frauen fühlt sich ständig eingesperrt und stellt fest: "Ich habe immer versucht, alles richtig zu machen, aber je mehr ich’s versucht habe, desto mehr ist schiefgegangen."
Am Schluss ermutigt sie sich: "Gib niemals auf!" Da kriecht aus der vorgespiegelten Souveränität dieser für sich selbst schlagenden Herzen dann doch so etwas wie Ennui. Eine neue, "postbourgeoise" Form der gequälten Langeweile auf der Suche nach sich selbst. Schön anzusehen, aber begleitet von unheimlichen Schatten. (Helmut Ploebst, 4.12.2022)