Solange es keinen Lohnabschluss gibt für die Eisenbahner, ist die Gefahr von Stillstand durch Arbeitskampf nicht gebannt.

Foto: APA / Georg Hochmuth

Die Westbahn gehört zu den Profiteuren des staatlich gestützten Klimatickets. Die Zahl der Fahrgäste sei wieder auf Vor-Corona-Niveau, sagen die Geschäftsführer Thomas Posch und Florian Kazalek, die Erlöse sogar darüber – nicht zuletzt dank Preismaßnahmen.

STANDARD: Sie haben anlässlich des Bahnstreiks gefordert, dass die ÖBB-Schieneninfrastruktur vom Absatz, also Personen- und Güterverkehr, getrennt wird. Was soll das bringen?

Posch: Unabhängigkeit. Wir zitieren ja oft das Beispiel Schweden: Dort funktioniert eine solche Trennung seit Jahren. Die versteckten Interessen und Abhängigkeiten werden dadurch reduziert. Um es einmal mehr zu betonen: Auch wir als Westbahn finden, dass Bahninfrastruktur natürlich in staatliche Hände gehört.

STANDARD: Hätte eine solche Trennung einen Streik verhindert? Wohl nicht, denn die Gewerkschaft hätte ja auch die ÖBB-Infrastruktur und damit das gesamte Schienennetz lahmgelegt.

Posch: Nach meinem Verständnis hat die ÖBB-Infrastruktur den Verkehr für die 24 Stunden "heruntergefahren", um eine gewisse Ordnung aufrechtzuerhalten – und nicht, weil man den Streik flächendeckend unterstützte. Ich bin überzeugt, dass es am vorigen Montag Zugfahrten gegeben hätte, wenn die Infra unabhängig von der ÖBB wäre. Wir wären jedenfalls gefahren.

STANDARD: Das Klimaticket hat der Westbahn den Fortbestand gerettet. Stimmen Sie dieser Einschätzung zu?

Posch: Das wäre vielleicht übertrieben. Aber mit dem Klimaticket wurden Barrieren abgebaut. Das lässt uns positiv in die Zukunft blicken.

Thomas Posch (links) und Florian Kazalek haben für den von der Verkehrsgewerkschaft Vida orchestrierten Arbeitskampf kein Verständnis.
Foto: Bernhard Rothkappel

Kazalek: Die Fahrgäste haben jetzt die Wahl, mit welchem Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) sie fahren. Im Übrigen kann sich kein Unternehmen in Österreich aussuchen, ob es mitmacht. Denn das Klimaticket kam per Verordnung, und alle EVU, ob Westbahn oder Regiojet, müssen das Ticket akzeptieren.

STANDARD: Um wie viel mehr Fahrgäste haben Sie bei der Westbahn?

Posch: Es zeigt sich eines ganz klar: Wenn die Leute Wahlfreiheit haben, dann rennen sie uns die Türen ein. Wir sind pro Monat inzwischen beim Faktor drei bis vier gegenüber den vor Einführung des Klimatickets vom Klimaschutzministerium durchgeführten Vorabkalkulationen mittels Gutachtens. Dabei wurde eine gewisse Menge unterstellt und eine gewisse Akontozahlung. Diese Akontozahlung haben wir inzwischen um den Faktor drei überschritten, trotz Jänner und Februar, die Covid-bedingt inferior waren. Im Schnitt über alle Monate sind wir bereits beim Dreifachen, im dritten Quartal sogar über dem Vierfachen.

Kazalek: Drittes und viertes Quartal sind aufgrund des Ausflugs- und Reiseverkehrs traditionell stark. Die Herbstferien haben wir stark gespürt, obwohl Ferienzeiten früher traditionell schwächer waren.

STANDARD: 208.000 Nutzer des Österreich-Klimatickets sind gemessen an der Zahl der erwachsenen Bevölkerung und erst recht am finanziellen Aufwand kein echter Hit. Das kostet pro Jahr laut Budget 2023 eine halbe Milliarde Euro. Wie hoch ist der Anteil der Klimaticket-Nutzer an der Gesamtzahl der Westbahn-Fahrgäste?

Posch: Das können wir nur im Vergleich mit den Hochrechnungen beziehungsweise Erwartungen des Ministeriums beantworten: Wenn insgesamt doppelt so viele Passagiere mit Klimaticket an Bord waren wie erwartet, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Klimaticket-Besitzer fahren viel mehr als gedacht oder, was wir eher vermuten: Sie switchen zu uns, weil die Services bei uns besser sind.

STANDARD: Verkehrsexperten gehen nicht davon aus, dass Ersteres zutrifft.

Kazalek: Das glauben wir auch nicht. Es dürfte eher eine Verlagerung zu uns sein.

Posch: Das wäre aus Sicht der Steuerzahler insofern beruhigend, als sich die Aufwendungen für das Klimaticket nicht verdrei- oder vervierfachen werden.

STANDARD: Auch eine Fahrgastverlagerung wäre nur bedingt beruhigend. Denn je öfter jemand fährt, desto stärker sinken die Grenzkosten, irgendwann sind sie bei null. Das ist keine Verkehrswende. Es sind nicht weniger Autos unterwegs, die Mineralölsteuereinnahmen des Bundes steigen. Wie seriös sind diese Nutzerzahlen?

Der Heimatbahnhof der Westbahn bleibt am Wiener Westbahnhof. Ein Kurswechsel Richtung Hauptbahnhof und Praterstern verursache Kosten an Schienenmaut, bringe aber nicht die entsprechenden Tarifeinnahmen.
Foto: APA/Georg Hochmuth

Posch: Das Mobilitätsverhalten wird mit einem Mix aus Daten ermittelt. Um den verkehrspolitischen Lenkungseffekt geht es dabei nicht, ebenso wenig darum, wie viele Pkw-Fahrten eingespart werden, oder um die Ökobilanz. Wahrscheinlich hat es kaum einen Effekt. Eine Evaluierung und Bilanz ist angeblich erst 2025 geplant. Genau sagen können wir nur, dass Klimaticket-Nutzer 50 bis 60 Prozent Anteil an den Fahrgästen der Westbahn haben, aber nur dreißig Prozent des Umsatzes, weil Kunden mit Klimaticket Österreich weniger weit fahren als Kunden im Haustarif. Wir verdienen mit Klimaticket-Kunden also weniger.

STANDARD: Warum? Liegt es daran, dass der Staat den Preis auf 7,54 Cent gedeckelt hat, zu dem Verkehrsunternehmen Kosten und Aufwand für Klimaticket-Kunden abgegolten wird?

Posch: Die Abgeltung, die im ersten Jahr pro Personenkilometer gezahlt wird, wurde als Durchschnitt ermittelt aus allen Tickets und Personenkilometern der betroffenen Unternehmen im Jahr 2019, die potenziell ins Klimaticket Österreich wandern könnten. Deshalb bekommen alle gleich viel – unabhängig von ihrer Kostenstruktur.

Kazalek: Aufgrund der Mengensteigerung dürfte der Gesamterlös der ÖBB aus dem Klimaticket die Tariferwartungen vermutlich übersteigen. Bei uns führt es dazu, dass wir mit Aktionspreisen mehr verdienen – trotz der hohen Strompreise.

STANDARD: Züge sind – auch wegen des Klimatickets – teils überfüllt, trotzdem gibt es Kampfpreise. Die ÖBB etwa wirbt mit einem Monatsticket um 64 Euro. Wie erklären Sie sich das?

Posch: Unsere Antwort war klar: Willst du dich billig aus der Bahn werfen lassen oder zu fairen Preisen reisen? Wir glauben nicht, dass Aktionspreise langfristig klug sind. In Zukunft wird für die Fahrgäste nicht entscheidend sein, ob sie um einen oder zwei Euro mehr oder weniger zahlen, sondern ob sie einen Sitzplatz und gute Services bekommen.

STANDARD: Ist die Westbahn bereits zurück auf dem Vor-Corona-Niveau von 2019?

Kazalek: Mengenmäßig ja, erlösmäßig sogar darüber aufgrund der Preismaßnahmen, die wir gesetzt haben. München ist deutlich ertragreicher, da verdienen wir das Doppelte bis Dreifache dessen, was wir zwischen Wien und Salzburg verdienen, weil das deutsche Tarifniveau deutlich höher ist.

STANDARD: Warum hängen Sie so am Wiener Westbahnhof? Wäre nicht der Hauptbahnhof attraktiver?

Kazalek: Nein, im Gegenteil. Es fährt jede halbe Stunde am Westbahnhof an der gleichen Stelle ein Westbahn-Zug ab. Wir brauchen die Fahrzeuge außerdem inzwischen für andere Leistungen, etwa für Salzburg-München und Innsbruck.

Posch: Wir haben das überlegt, aber die Tarifergiebigkeit war auf der Strecke bis zum Praterstern nicht gegeben. Deshalb konzentrieren wir uns auf den Westbahnhof. Dafür brauchen wir eine Zuggarnitur weniger, und Trassenentgelt sparen wir auch. Ab 11. Dezember ist die Botschaft: Verlässliches Bahnfahren bis Tirol, ab Winterfahrplan fahren wir dreimal täglich bis nach Innsbruck.

STANDARD: Die Wiederaufnahme der Verbindung von Salzburg über den Wiener Hauptbahnhof bis Wien-Praterstern ist keine Option mehr?

Posch: Das war mit den neuen zusätzlichen Garnituren natürlich eine Überlegung. Der Praterstern hatte Charme, es war super! Aber: Am besten gefallen hat es den Pendlerinnen und Pendlern aus St. Pölten, die bis Wien-Mitte fahren konnten. Ehrlicherweise würden wir es heute von der Zahl der Garnituren her nicht mehr schaffen. Auch die durch das Klimaticket grundsätzlich ermöglichte Wahlfreiheit, jeden Zug zu nehmen, der grad dasteht am Bahnhof, funktioniert nur bedingt. Denn Wien hat mit Hauptbahnhof und Westbahnhof nun einmal zwei Endpunkte ,und wir konzentrieren uns auf den Westbahnhof. Mit dem neuen Fahrplan und der Angebotsausweitung ist unsere Flotte immer unterwegs und extrem gut ausgelastet, was ökonomisch vernünftig ist.

STANDARD: Bei den regionalen Klimatickets sind Sie dabei. Warum nicht auch bei den Verkehrsverbünden?

Kazalek: Es ist und bleibt unser Ziel, dort mitzumachen. Aber die Bedingungen sind kompliziert. Wir fordern eine Abgeltung basierend auf den tatsächlich gefahrenen Kilometern der Verbundpassagiere, die wir im Gegensatz zu den Mitbewerbern auf Punkt und Komma nachweisen können. Eine solche Regelung haben wir mit dem Verkehrsverbund Oberösterreich und künftig mit dem Verkehrsverbund Tirol. Im VOR versuchen wir diese faire Regelung durchzusetzen. Es gibt aber Widerstände vor allem der ÖBB, weil man dort scheinbar erwartet, dass sich Einnahmen zugunsten der Westbahn verschieben.

STANDARD: Die Zinsen steigen, das verteuert die Anschaffung von Wagenmaterial. Partizipiert die Westbahn von den günstigen Eurofima-Konditionen beim Rollmaterial?

Kazalek: Nein, davon profitieren wir nicht. Eurofima ist an sich ein extrem interessantes Vehikel, um günstige Finanzierungen für Personen- und Cargo-Züge zu bekommen. Aber es ist ein Closed Shop von Staatsbahnen, der auf Staatsverträgen basiert, aber anders als der Name suggeriert nichts mit der EU zu tun hat, Schweiz und Serbien sind dort auch Mitglied. Die Anschaffung von Leichtfahrzeugen wird dort beispielsweise extra belohnt. Aber es gibt keine Chance, dort hineinzukommen ohne Verkehrsdienstevertrag. Angesichts der aktuellen Zinsen wird die Fahrzeugfinanzierung auch für Staatsbahnen schwieriger. Aber wir haben für unsere neue Flotte noch eine extrem günstige Finanzierung bekommen.

(Luise Ungerboeck, 5.12.2022)