Ein bedeutungsloser Schachzug oder ein Zeichen für Nervosität im Regime? Was immer von beidem zutrifft: Die Meldung, dass "die Sittenpolizei aufgelöst" wurde, wird die Iraner und Iranerinnen, die seit 80 Tagen auf die Straße gehen oder sich durch Streiks und zivilen Ungehorsam gegen das Regime stellen, wohl wenig beeindrucken.

Die Brutalität der Gasht-e Ershad, die Mahsa Amini das Leben kostete, stand am Beginn der Protestwelle. Damit, dass man sie von den Straßen abzieht – der Begriff "Auflösung" ist zu hoch gegriffen –, ist wenig gewonnen. Es sind noch genug andere da, der ganze Sicherheitsapparat und das Freiwilligenheer, aus dem sich die Moralwächter rekrutieren. Und vor allem bleibt das Prinzip bestehen, das zu den Grundpfeilern des Systems gehört: die Durchsetzung der "islamischen Moral". Bereits früh gab es einzelne offizielle Stimmen, die durchblicken ließen, dass sich über die Art der Anwendung gewisser Regeln diskutieren ließe. Konsens besteht darüber aber nicht.

Die iranische "Sittenpolizei" kontrolliert seit Jahren die Einhaltung der dortigen Kleidungsvorschriften.
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Man kann davon ausgehen, dass der aktuelle Schritt nicht allen im Regime recht sein wird. Ein Konkurrenzverhältnis zwischen Justiz und anderen Instanzen, die für die Moral der Bevölkerung zuständig sein wollen, gibt es auch. Den jungen Menschen vermeintlich etwas entgegenkommen zu wollen, ist auch ein Versuch, einen Keil zwischen sie und die Gruppen zu treiben, die sich aus anderen Gründen den Demonstrationen angeschlossen haben. Es wird nicht gelingen. (Gudrun Harrer, 5.12.2022)