Öltanker im Hafen von Nachodka im Fernen Osten Russlands: Seit heute, Montag, unterliegen Exporte von russischem Öl an China, Indien oder in andere Länder außerhalb der EU einer Preisobergrenze von 60 Dollar je Fass. Importe von russischem Öl per Schiff in die EU sind verboten.

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Die Spannung Montagmorgen war groß. Wie würden die Märkte auf das Inkrafttreten des Importverbots von Öl auf dem Seeweg von Russland in die EU und die weltweit wichtigsten Industrieländer (G7) reagieren? Und welche Auswirkungen würde der Preisdeckel von 60 Dollar je Fass auf Drittländer haben? Russland jedenfalls hat bereits im Vorfeld angekündigt, Länder nicht mehr zu beliefern, die sich an die vom Westen akkordierte Preisobergrenze für russisches Öl halten wollen.

Frage: Was ist das Ziel der von den EU-27 und den weltweit wichtigsten Industriestaaten verhängten Sanktionen gegen russisches Öl?

Antwort: Es ist ein Balanceakt. Einerseits sollen die internationalen Ölmärkte durch das heute, Montag, in Kraft getretene Embargo westlicher Staaten möglichst wenig gestört, sprich ein kräftiger Preisanstieg verhindert werden. Andererseits sollen die Einnahmen Russlands aus dem Ölverkauf möglichst stark beschnitten und dadurch die Kriegsführung in der Ukraine behindert bis mittelfristig verunmöglicht werden.

Frage: Wie haben die Ölmärkte nach Inkrafttreten der Sanktionen reagiert?

Antwort: Relativ entspannt. Ein Fass (159 Liter) der Nordseesorte Brent, Preisführer in Europa, kostete Montagvormittag 86,95 US-Dollar. Das waren 1,8 Prozent mehr als am Freitag. Der Preis für ein Barrel der US-Sorte West Texas Intermediate (WTI) stieg um 1,7 Prozent auf 81,32 Dollar.

Frage: Was sieht das Sanktionsregime vor?

Antwort: In einem ersten Schritt wird die Einfuhr von russischem Rohöl auf dem Seeweg in die EU verboten. Nach Angaben von S&P Global, einem der führenden Anbieter von Informationsdienstleistungen, sind davon rund 2,5 Millionen Fass am Tag betroffen, für die Russland neue Abnehmer finden muss. Auch die in der G7 versammelten meistindustrialisierten Länder der Welt, darunter die USA und Kanada, und darüber hinaus auch Australien tragen das Sanktionspaket mit.

Frage: Was ist mit raffinierten Erdölprodukten aus Russland?

Antwort: Der Import beispielsweise von Diesel und Heizöl aus Russland in die EU soll ab dem kommenden 5. Februar verboten sein. Früher, nämlich ebenfalls seit heute, Montag, soll auch der Handel mit russischem Öl zur Lieferung an Drittstaaten mit einem sogenannten Preisdeckel eingeschränkt werden.

Frage: Was besagt der Preisdeckel?

Antwort: Dass sich Unternehmen aus der EU oder den G7-Staaten nur noch dann an solchen Geschäften beteiligen dürfen, wenn der Ölpreis die Obergrenze von 60 Dollar je Fass nicht überschreitet. Dies betrifft Rohstoffhändler genauso wie (Rück-)Versicherer oder Schiffseigentümer.

Frage: Wieso sollten sich Abnehmer von russischem Öl, beispielsweise Raffinerien in China, Indien und der Türkei, an den Preisdeckel halten?

Antwort: Eine Schlüsselrolle spielen dabei die sogenannten Protection-and-Indemnity-Versicherungen (P&I), auf gut Deutsch Schutz- und Entschädigungsversicherungen. Das sind Transportversicherungen gegen Risiken, die einem Schiff zustoßen können. Die Versicherung erfolgt über sogenannte P&I-Clubs, die diese Risikoabsicherung gemeinschaftlich aus den Umlagen der so versicherten Reeder bestreiten.

Frage: Warum sollten sich die an die Auflagen halten?

Antwort: Beim Versichern großer Öltanker, egal unter welcher Flagge sie fahren, führt bisher kaum ein Weg an der in London ansässigen International Group of P&I Clubs vorbei, die auf 90 Prozent Marktanteil kommt. Alternativen sind rar, daher könnte es für Moskau schwer werden, für den entsprechenden Versicherungsschutz zu sorgen. Doch ohne diesen wird kaum ein Land Öllieferungen in Erwägung ziehen. Schließlich drohen bei Tankerunfällen schnell Kosten in Milliardenhöhe. In der Theorie wird Russland den Preisdeckel kaum ignorieren können.

Frage: Also alles gut aus westlicher Sicht?

Antwort: Nicht wirklich. Erstens ist die gewählte Preisobergrenze von 60 Dollar je Fass nicht weit weg von dem Niveau, was Abnehmer von russischem Rohöl schon derzeit zahlen. Zweitens werden lange Übergangsfristen eingeräumt, die ein zügiges Nachschärfen behindern. Drittes ist auch noch nicht klar, wie und von wem die Sanktionen de facto überwacht und sanktioniert werden sollen.

Frage: Zu welchem Preis wird russisches Öl derzeit gehandelt?

Antwort: Die vereinbarte Preisobergrenze von 60 Dollar lag zuletzt nach Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg zwar unter dem Preis für russisches Öl in Asien, aber sogar über dem aktuellen Preis der Ölsorte Urals, die über die Ostsee und das Schwarze Meer verschifft wird. Polen und die baltischen Staaten konnten sich mit ihrer Forderung nach einem deutlich niedrigeren Preisdeckel von 30 Dollar oder weniger nicht durchsetzen.

Frage: Welche Übergangsfristen gibt es?

Antwort: Die Preisobergrenze gilt zwar offiziell ab heute, Montag. Zu Beginn wird aber erst einmal eine 45-tägige Schonfrist eingeräumt für Öllieferungen, die vor dem 5. Dezember geladen wurden. An Mitte Jänner soll die Preisobergrenze im Zweimonatsrhythmus überprüft werden, was wiederum Übergangsfristen nach sich zieht.

Frage: Gibt es eine Kontrollinstanz?

Antwort: In den USA gibt es das Office of Foreign Assets Control (OFAC). In Europa liegt die Sanktionskontrolle in der Verantwortung der 27 Mitgliedsstaaten. Das dürfte alles andere als einfach werden.

Frage: Auf was müssen sich Rohstoffhändler, Schiffseigner und Versicherer einstellen?

Antwort: Sie werden wohl Rechnungen, Verträge und Zahlungsbestätigungen bereithalten müssen, um nachzuweisen, dass die Preisobergrenze für russisches Öl eingehalten wurde. Beteiligte Finanzinstitute können das Gleiche tun oder eine "Preisobergrenzenbescheinigung" vorlegen. Schiffseigner und (Rück-)Versicherer wiederum müssen einen Ausschlussklausel für Sanktionen in ihre Policen aufnehmen oder können sich ebenfalls auf ein Preisobergrenzenzertifikat stützen. Ob das reicht, wird sich weisen.

Frage: Was bedeutet der Boykott für Österreich?

Antwort: Vorerst wenig. Die OMV als wichtigster Rohölimporteur kauft laut eigenen Angaben seit März kein Rohöl mehr in Russland, dafür mehr in Ländern wie Kasachstan. Auch auf die Treibstoffpreise hat der Boykott keine unmittelbaren Auswirkungen. Spätestens im Jänner, wenn der Preis für CO2 wie geplant von 30 auf 35 Euro je Tonne steigt, werden die Spritpreise an der Zapfsäule anziehen. Wenn ab 5. Februar auch keine verarbeiteten Ölprodukte in die EU gelangen, dürfte vor allem der Dieselpreis in die Höhe gehen. Diesel ist Mangelware in Europa, große Mengen werden bisher aus Russland zugekauft.

(Günther Strobl, 5.12.2022)