600 tote Robben wurden diesen Samstag vor der Küste der Stadt Machatschkala angespült.
Foto: RU-RTR Russian Television

Es ist eine wiederkehrende Tragödie, doch das Ausmaß ist neu: Alle paar Jahre sterben im Kaspischen Meer große Gruppen der dort heimischen Robben, so etwa 2007, 2012, 2016, 2020, 2021 und zuletzt erst im November dieses Jahres. Meist verendeten einige Hundert der gefährdeten Tiere.

Am 3. Dezember veröffentlichte das Umweltministerium der russischen Teilrepublik Dagestan eine Mitteilung auf Telegram, in der erneut von 300 verendeten Tieren die Rede war. Erste Untersuchungen hätten den Verdacht einer Vergiftung durch Schwermetalle nicht erhärtet, hieß es, angesichts von 600 getöteten Tieren sei der Bestand nicht gefährdet, da der seit Jahren stabil bei etwa 300.000 Tieren liege. Andere Schätzungen beziffern den Bestand allerdings nur auf etwa 70.000 Tiere.

Auch wenn die Untersuchung der genommenen Gewebeproben andauert, glaubt man an eine natürliche Todesursache. Die Aussendung ähnelt jener von November, auch damals hatte man Proben entnommen, um die Ursache des damaligen Massensterbens zu klären. Ein Ergebnis ist bislang nicht bekannt.

Inzwischen 2.500 tote Tiere

Nach und nach zeigt sich nun das Ausmaß der Katastrophe. Am Tag nach der ersten Aussendung berichtete die Behörde bereits von 2.500 toten Robben, die in der Region Yuzbash und zwischen den Mündungen der Flüsse Sulak und Shurinka angespült wurden. Hinweise auf einen gewaltsamen Tod im Zusammenhang mit Fischerei seien nicht gefunden worden, versichert der Leiter der Kaspischen Naturschutzbehörde Zaur Gapizov gegenüber der "Moscow Times". In der Vergangenheit hatten sich etwa von Fischern verlorene Geisternetze als tödliche Bedrohung für die Robben erwiesen. Bei früheren Massensterben der Robben im Jahr 2002 war eine Krankheit die Ursache gewesen.

Eine erste Untersuchung der Kadaver durch Fachleute habe keine Hinweise auf die Todesursache ergeben, heißt es von den Behörden.
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Natürliche Ursache unwahrscheinlich

Ursula Siebert vom Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW), die sich mit der Untersuchung von Robben in ihrem natürlichen Lebensraum beschäftigt, vermutet jedenfalls auf Anfrage des STANDARD, "dass bei einer Erhöhung der Mortalität um diese Zahl der Tiere ein besonderes Ereignis im Gange ist und man nicht von einer normalen natürlichen Mortalität ausgehen kann". Sie mahnt dringend eine genaue Untersuchung durch Fachleute ein. Es gebe eine Reihe von Faktoren, die direkt oder indirekt zum Tod der Robben führen könnten. "Eine Belastung der Tiere durch Effekte menschlicher Aktivitäten hat sehr häufig einen Einfluss auf den Gesundheitszustand. Für das Kaspische Meer mit seinen massiven Eingriffen ist dies nicht unwahrscheinlich", sagt Siebert.

Inzwischen ist die Zahl der toten Tiere auf 2.500 gestiegen.
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Der "Spiegel" zitierte einen inzwischen geänderten Telegram-Eintrag russischer Behörden mit dem Verdacht, Erdgas könnte die Ursache für den Tod der Tiere sein. Auch auf der Website "fontanka.ru" wird über die Förderung von Gas als Ursache spekuliert, doch eine offizielle Bestätigung gibt es dafür bislang nicht.

Siebert hat die Folgen eines Gasaustritts für Meeressäugetiere im Zusammenhang mit den Nord-Stream-Lecks untersucht. "Durch die Verdünnung im Wasser ist ein Sauerstoffentzugs für die Meeressäuger weniger ein Problem, da sie an der Meeresoberfläche atmen. Es kann aber natürlich sein, dass diese Umweltbelastungen in Bezug auf die Nahrungsquelle und die Atmungsluft ein Problem werden", berichtet sie. Wichtig wäre es, die Belastungen der Gewässer und die besonderen Ereignisse der letzten Tage zu kennen.

Die US-amerikanische Energieinformationsagentur (EIA) zählte die Region um das Kaspische Meer 2012 zu den wichtigsten Öl- und Gasförderregionen weltweit. Gas vom Kaspischem Meer hätte ursprünglich durch die nicht realisierte Nabucco-Pipeline fließen sollen. Die TAP-Pipeline von Aserbaidschan nach Italien wurde aber tatsächlich realisiert.

Gefährdete Art

Das Kaspische Meer hat keinen Zugang zu anderen Meeren und gilt damit eigentlich als größter See der Welt. Die Kaspische Robbe nimmt im dortigen Ökosystem als einzige heimische Robbe und als größtes Raubtier eine wichtige Rolle ein. Eine starke Bejagung des ursprünglichen Bestandes von etwa einer Million führte dazu, dass bereits unter sowjetischer Regierung Jagdbeschränkungen eingeführt wurden. 2008 wurde die Kaspische Robbe auf die Rote Liste der gefährdeten Arten der Internationale Union zur Bewahrung der Natur (IUCN) aufgenommen. (Reinhard Kleindl, 5.12.2022)