Wortprotokoll Nummer eins: "Der Nikolo darf schon auch tadeln"

Ich habe eine Künstleragentur, bin selber Clown, Zauberer und Nikolaus. Ich bin in Vorarlberg geboren und mit zehn Jahren durch die Scheidung meiner Eltern nach Wien übersiedelt. Bis zu dem Alter hatte ich jedes Jahr einen Nikolaus, weil es in Vorarlberg bis heute in vielen Ortschaften so ist, dass man den nicht bestellen muss, sondern er einfach kommt. Das war in Wien nicht mehr so, was verwirrend war für mich. Es gab hier lange Zeit nur wenige Anbieter, die waren nicht so günstig, und wenn man etwas später dran war, hat man keinen mehr bekommen.

Während meiner Studienzeit habe ich nebenbei als Nikolaus gearbeitet. Ich war lange in der Unternehmensberatung tätig, danach in einer Anwaltskanzlei. 2014 bin ich endgültig aus diesem fixen System ausgebrochen und habe mich selbstständig gemacht. Allein in Wien sind inzwischen mindestens 30 Nikolos für uns unterwegs. Die meisten Kunden wollen heutzutage nur mehr lobende Sachen vorgetragen bekommen. Ich selbst bin schon der Meinung, dass der Nikolo auch tadeln darf. Auf dem Land ist es auch noch üblich, dass es Krampusumzüge gibt, in Wien wird der Krampus weniger oft gebucht. Ich denke, das liegt daran, dass Eltern hier eher antiautoritär erziehen oder befürchten, verurteilt zu werden, wenn sie einen Krampus bestellen.

Foto: Christian Fischer

Am Nikolotag selber sitze ich inzwischen in der Zentrale und passe auf, dass alles funktioniert. Aber in den Tagen davor und danach bin ich schon noch selbst als Nikolaus unterwegs, vor allem bei Stammkunden oder aber bei Leuten, die irgendwas Spezielles haben möchten, wo man ein bisschen mehr Talent braucht als bei einem normalen Nikolo-Auftrag, zum Beispiel im Swingerclub. Dort ist es natürlich als Gag gedacht. Im Swingerclub geht es auch nicht nur um das eine, aber natürlich muss der Schmäh dort schon tiefer sein. Der goldene Stab hat dann plötzlich eine ganz andere Bedeutung.

Wenn Firmen einen buchen, ist das auch eher als künstlerischer Akt gedacht. Auch da geht man wie bei den Kindern vor: Man lobt zuerst ganz viel, dann kommt ein kleiner Kritikpunkt, aber alles in allem war die Person ja brav. Auf eine verspielte Art kann man so auch formulieren, dass Herr Müller es sehr gemütlich auf seinem Bürostuhl hat und dort am liebsten bei Tee und Keksen sitzt.

Zur Person: Alexander Stemer (36) hat eine Künstleragentur, bei der unter anderem Wahrsagerinnen, Zirkuskünstler und Nikolos buchbar sind.


Wortprotokoll Nummer zwei: "Krampus wird weniger gebucht"

Ich habe während meines Studiums als Nebenjob damit begonnen und dann relativ bald zusammen mit einem Freund eine eigene Agentur gegründet. Ich habe Rechtswissenschaften studiert und betreibe die Nikolo-Agentur nebenbei. Wir haben viele Studenten, aber auch viele, die mitten im Berufsleben stehen. Unser ältester Nikolo ist 78. Er lässt sich ab dem Sommer immer seinen Bart wachsen. Bevor wir die Agentur hatten, bin ich nach Oberösterreich in meine Heimatpfarre gefahren und habe den Pfarrer gefragt, ob er ein altes Priestergewand hat. Er hat seines nicht mehr gebraucht und mir daher drei Priestergewänder geschenkt: mit Goldfäden bestickt und Ornamenten, wunderschön. Zusätzlich habe ich auch Kostüme schneidern lassen, wir haben nur individuell gefertigte Kostüme. Das Kostüm ist den Leuten auch wirklich wichtig.

So hat das Ganze vor 25 Jahren begonnen, und jedes Jahr macht es aufs Neue wieder Spaß und Freude – den Kindern, den Familien und mir selbst. Man taucht ein in eine andere Welt. Es ist faszinierend: Wenn ich das Kostüm anziehe, werde ich ein anderer Mensch – ich werde in der Sekunde ruhig und bin nur noch da als Nikolaus. Auch die Erwachsenen werden wieder zu Kindern, weil man zurückversetzt wird in die eigene Kindheit. Wir animieren die Kinder dazu mitzumachen, es soll also ein Miteinander werden.

Foto: Christian Fischer

Insgesamt soll es ein positives Erlebnis sein. Wir vermeiden daher, dass wir viel rügen und schimpfen. Natürlich gehört auch das dazu, und die Eltern erwarten es auch: dass wir sowohl Gutes als auch weniger Gutes ansprechen. Ich sage bewusst ‚weniger gut‘ und nicht ‚böse‘ oder ‚schlimm‘. Wir loben hauptsächlich und würden niemals etwas sagen, das die Kinder bloßstellen würde. Manches Mal stehen in den von den Eltern vorbereiteten Texten allerdings Dinge drin, die würden wir niemals sagen.

Der Krampus wird weniger gebucht als früher. Er verschwindet ein bisschen, was mir sehr leidtut, denn die Kinder fragen danach. Er fasziniert sie, der Nikolaus ist dann schnell vergessen. Wir versuchen den Kindern auch die Angst zu nehmen und sagen, dass der Krampus sowieso nichts machen darf, was der Nikolo nicht davor erlaubt hat.

Zur Person: Johannes Mayer (50) ist Inhaber einer Kunstagentur, über die auch Nikolo-Auftritte angeboten werden.


Wortprotokoll Nummer drei: "Ich sage bewusst nichts Negatives"

Ich bin aus Niederösterreich und nach meiner Matura nach Wien gegangen, um zu studieren. Da habe ich bemerkt, dass gewisse Traditionen hier überhaupt nicht gepflegt werden, wie zum Beispiel der Besuch des Nikolos. Und da ist mir die Idee gekommen, das selbst zu machen. Im Lauf der Zeit ist mein Bekanntheitsgrad immer größer geworden. Aber ich war nie darauf aus, eine Agentur zu gründen. Ich lebe von Mundpropaganda und mache das gemeinsam mit vier Freunden. Ich kümmere mich auch um die ganze Logistik und Organisation. Wir fahren ja kreuz und quer durch Wien und müssen daher schauen, dass wir nicht mehr als zehn Minuten Fahrzeit haben.

Die Leute wissen, dass man sich auf uns verlassen kann. Im nächsten Jahr gebe ich schon 50 Jahre den Nikolaus. Solange ich körperlich und geistig so rege bin wie jetzt, mache ich weiter. Es besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen dem Nikolaus, der ich Mitte der 1970er-Jahre war, und dem Nikolaus von heute. Damals hatten wir keine Handys, kein Navi, da war viel weniger Verkehr, und es gab immer freie Parkplätze. Und die Kinder bekommen heute teilweise verrückt viele Geschenke. Die Lieder kennen sie heute auch kaum noch.

Foto: Christian Fischer

Ich bin Vater, Großvater, und ich bin sogar schon Urgroßvater. Mein Urenkel wohnt hier in der Anlage, den besuche ich nicht mehr. Er ist vier und würde mich erkennen. Auch meine Kinder haben sehr rasch mitbekommen, dass ich in geheimer Mission unterwegs bin. Ich bin weniger in Kindergärten unterwegs, sondern werde vor allem bei Familien zu Hause als Nikolo gebucht. Es gibt nichts Schöneres als das Leuchten in den Augen der Kinder, wenn der Nikolo kommt.

Ich bin kein Nikolo, der die Kinder schimpft. Auch wenn die Eltern wollen, dass ich etwas Negatives sage, ich mache das bewusst nicht. Die Kinder sollen sich freuen, dass der Nikolaus sie besucht, und er besucht sie, weil sie so brav sind. Ich habe auch keinen Krampus. Ich sehe es nicht als meine Aufgabe, den Kindern Angst zu machen, und glauben Sie mir, die haben Angst vor dem Krampus! Entscheidend ist für mich, dass die Kinder Vertrauen zu mir fassen. Das ist ganz wichtig. Sobald Kinder dann ihre Geschenke haben, flacht das Interesse am Nikolo natürlich schnell ab.

Gerhard Beigl (73), pensionierter Geschichte- und Geografielehrer, ist nebenberuflich als Nikolo unterwegs.

(Anna Giulia Fink, 6.12.2022)