Nicht immer ist das Traumpaar Schlüssel und Schloss verfügbar. Wer dann den erstbesten Schlüsseldienst aus dem Internet zur Türöffnung anrücken lässt, kann leicht Betrugsopfer werden, wie ein Strafverfahren zeigt.

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Wien – "So deppad kau nur i sei", gibt sich die 77-jährige Frau M. selbst die Schuld daran, zum Betrugsopfer geworden zu sein. 1739,40 Euro hat sie gezahlt, um eine zugefallene Tür, in der innen der Schlüssel steckte, öffnen zu lassen. "Des woar firn Urlaub", verrät sie enttäuscht. Stefan Erdei, Vorsitzender des Schöffengerichts im Verfahren gegen zwei 23 Jahre alte Angeklagte, versichert der Dame, dass ihre Selbstkasteiung unnötig ist. "Da kann ich Sie beruhigen", sagt er der Pensionistin, "da gibt es viel mehr Opfer als Sie."

Etwa den nächsten Zeugen, einen 28-Jährigen, der sich an einem Samstagabend im Juli beim Abholen der gelieferten Pizza von der Hauseingangstür ausgesperrt hat – und ebenso wie Frau M. im Internet nach einem Schlüsseldienst suchte. Doch beide gerieten wie hunderte andere Menschen in Wien und Umgebung an Betrüger.

Vor dem Senat sitzen Faissal und Mohammed, zwei unbescholtene gebürtige Deutsche, die von Sascha Flatz verteidigt werden. Dem Erstangeklagten werden vom Staatsanwalt rund 50 Fälle vorgeworfen, in denen er als über Callcenter vermittelter Schlüssel- oder Installateurnotdienstmitarbeiter erschien und überteuerte und/oder unnötige Arbeiten durchführte und verrechnete. Verteidiger Flatz kündigt zwar an, dass dieser Mandant geständig sei, das Geständnis sprudelt dann allerdings nicht, sondern tropft eher so wie beim Pech-Experiment der Universität von Queensland.

Geldschulden bei Clan

"Ich hatte leichte Spielschulden", sagt der im Ruhrgebiet ansässige Faissal, "ich habe mir von einem libanesischen Clan 5.000 Euro ausgeborgt". Keine sehr seriöse Finanzierung, drohten die Geldgeber doch, ihn zu erstechen, falls es bei der Rückzahlung Schwierigkeiten geben sollte. Also sah er sich im Internet um einen Job um, erzählt er, und fand ein Angebot, als Bauschlosser nach Österreich auf Montage zu gehen.

Er sagte zu, kam Mitte des Vorjahres nach Wien und traf in einem Zwei-Zimmer-Büro ohne Angestellte im Gemeindebezirk Simmering auf einen "Lars". Der habe ihm angekündigt, dass er im Notdienst-Bereich tätig sein solle – zugefallene Türen öffnen, verstopfte Abflüsse wieder durchgängig machen. Rund vier Wochen lang begleitete der Erstangeklagte laut seinen Angaben Kollegen, um zu lernen, "wie Rohrreinigung und Aufsperren richtig funktioniert". Besondere Ausbildung als Installateur habe er nicht, gibt er zu. "Normalerweise braucht man auch drei Jahre Lehre. Jeweils als Installateur und als Schlosser", erinnert der Vorsitzende.

Die mangelnde Expertise machte Faissal mit umso höheren Rechnungen wett. Er habe sich an die Vorgaben des Arbeitgebers gehalten, versucht der Erstangeklagte zu erklären. Derer gab es viele: Eine Anfahrts- und Einsatzpauschale, die Arbeitszeit in 15-Minuten-Schritten und die Materialkosten. Erdei hakt beim letzten Punkt nach. Es geht um den Kostenpunkt der elektrischen Spiralen, die zur Rohrreinigung eingesetzt werden. "Was sind da die Materialkosten? Spirale rein, Spirale raus und sie wird beim nächsten Kunden wieder verwendet." – "Es kann sein, dass die abbricht." – "Das kommt aber nicht oft vor, oder?" – "Nein", gibt der Erstangeklagte zu.

3.390 Euro Rechnung für 30 Minuten Arbeit

Der Vorsitzende hält ihm eine mit seinen Initialen gekennzeichnete Rechnung aus dem heurigen Februar vor. Eine 78-Jährige musste 3.390 Euro zahlen, unter anderem für 22 Meter Spirale. "Mit 22 Meter sind Sie nicht mehr nur im Kellergeschoss, da sind Sie schon im Hauptkanal. Wie soll das gehen?", mag Erdei nicht an eine korrekte Abrechnung glauben. Er erfährt, dass verrechnet wurde, dass ein und die selbe vier Meter lange Spirale fünf Mal durch das Rohr bewegt wurde.

Wie perfide vorgegangen wurde, zeigt die verlesene Zeugenaussage dieser mittlerweile verstorbenen Frau. Sie war bei ihrer Tochter, die wegen eines verstopften Abflusses den Notdienst rief. Da die Tochter während der Arbeiten weg musste, brachte Faissal sie dazu, eine Blankorechnung zu unterschreiben. Als nach rund 30 Minuten (verrechnet wurden 90) die Arbeit erledigt war, soll der Erstangeklagte die Geldbörse der alten Dame genommen und aus dieser das gesamte Bargeld in Höhe von 3390 Euro entnommen haben. Geld, um das sich die Pensionistin eigentlich einen Kasten kaufen wollte. Exakt dieser Betrag schien dann auch auf der Blankorechnung auf.

Viel niedrigere Kostenvoranschläge

Ein weiterer Trick: Vor Ort wurde den ausgesperrten oder mit überquellenden Abflüssen kämpfenden Kundinnen und Kunden gesagt, der Einsatz werde 200 bis 300 Euro kosten. Nach getaner Arbeit wurden dann regelmäßig Beträge über 1.000 Euro in Rechnung gestellt – zahlbar sofort und zwar in bar, per Bankomatkarte oder in Ausnahmefällen per Sofortüberweisung. Als "Service" wurden die Opfer sogar zur nächsten Bank und retour gefahren.

Faissal versucht das Gericht zu überzeugen, dass Kunden wie der 28-Jährige wohl im Stress überhört haben müssen, dass auch Abend- oder Nachtzuschläge zur Anwendung kämen und deshalb höhere Kosten anfallen. Der Vorsitzende hat auch dazu eine Frage: "Eine Kundin hat eine Rechnung vorgelegt, wo sie den Nachtzuschlag verwendet haben. Um 14.45 Uhr!" – "Vielleicht war das ein Versehen", probiert der Erstangeklagte es.

Sogar Verteidiger Flatz ist es irgendwann genug, er bittet um eine Unterbrechung, um dem 23-Jährigen vor dem Saal nochmals das nicht allzu komplexe Prinzip eines umfassenden, reumütigen Geständnisses zu erläutern. Danach läuft es etwas besser: Der Erstangeklagte gibt zu, die überhöhten Rechnungen ausgestellt sowie teurere und unnötige Arbeiten durchgeführt zu haben, um von seinem Chef mehr Geld zu bekommen.

Mit deutschem Arbeitsamt im Clinch

Bis zu 4.500 Euro habe der ihm für jeweils rund drei Wochen Arbeit gezahlt – dass es Schwarzgeld und er nicht versichert war, traf sich gut. Denn seine Mutter hatte in Deutschland einen Rechtsanwalt beauftragt, um einen Disput mit dem dortigen Arbeitsamt im Sinne Faissals zu klären. Angemeldete Arbeitslosigkeit in Deutschland und ein Jahr üppiger Verdienst in Österreich wären bei dieser Klärung eher hinderlich gewesen.

Der Zweitangeklagte will die Stelle ebenso über das Internet gefunden haben, will aber noch in der "Anlernphase" gewesen sein und nichts über die Preisgestaltung gewusst haben. Bei ihm sind tatsächlich nur wenige Fälle angeklagt, auch ein ermittelnder Polizist bestätigt als Zeuge, dass Mohammed nicht einmal ein Monat lang beteiligt gewesen sein dürfte. Insgesamt sind bei diesem Ermittler seit Herbst 2021 beachtlich 550 Delikte aktenkundig geworden. Das angeklagte Duo wurde schließlich erwischt, indem die Exekutive bei der Nummer anrief, die auch der 28-Jährige gewählt hatte und dort sagte, man habe sich ausgesperrt – die Adresse lag gegenüber einer Polizeiinspektion.

Dem jungen Mann hatte der Erstangeklagte, wie vielen anderen Opfern auch, übrigens erklärt, er könne sich einen Teil der Kosten von der Haushaltsversicherung erstatten lassen. Um das Argument glaubwürdiger zu machen, fand sich auf der Rechnung beispielsweise der Satz: "Kunde hat kein Eigenverschulden!!!" aus "Kulanz" vermerkt. Der 28-Jährige hoffte bis zum Telefonat mit seiner Assekuranz. Die ihm erklärte, dass in seiner Polizze ein Schlosstausch nach Schlüsselverlust oder Einbruch gedeckt sei, aber kein Schlüsseldiensteinsatz.

Versicherungen, Kredikarten und Gütesiegel

Gegen eine höhere Prämie gibt es zwar durchaus Anbieter, die dieses Risiko bis zu einer gewissen Summe abdecken, auch bei manchen Kreditkarten ist so ein Einsatz einmal im Jahr inkludiert, sofern man eine bestimmte Notfallnummer anruft. Bei der Wirtschaftskammer empfiehlt man, sich an Betriebe mit dem "Gütesiegel Aufsperrer" zu halten, die man im Internet finden kann. Als der 28-Jährige den durch die Türöffnung der beiden Angeklagten ruinierten Türknauf samt Sicherheitsbeschlag durch ein seriöses Unternehmen reparieren ließ, wurde ihm erklärt, dass für den Einsatz am Samstagabend 150 Euro verrechnet worden wären und nicht, wie geschehen, 1.231,68 Euro.

Der Vorsitzende und die beiden Laienrichter glauben dem Zweitangeklagten am Ende, dass er nicht gewusst habe, was in Wahrheit ablaufe, und sprechen ihn frei. Da sich der Staatsanwalt Bedenkzeit nimmt, ist diese Entscheidung nicht rechtskräftig. Anders sieht es bei Faissal aus: Er wird rechtskräftig zu 24 Monaten Haft, acht davon unbedingt, verurteilt. Die knapp viereinhalb Monate, die er bisher in Untersuchungshaft verbracht hat, werden ihm auf die unbedingte Freiheitsstrafe angerechnet. (Michael Möseneder, 5.12.2022)