Rund eineinhalb Jahre nach der Verurteilung des französischen Ex-Präsidenten zu einer Haftstrafe hat der Berufungsprozess begonnen.

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"Ich bin gekommen, um meine Ehre zu verteidigen", sagte Nicolas Sarkozy auf die Frage der Gerichtspräsidentin, warum er in Berufung gehe. Dramatisch fragte er in dem Pariser Gerichtsgebäude selber: "Wo sind die Beweise?"

Die Beweise kommen schon am Dienstag zur Sprache. Sie bestehen aus dem Protokoll eines abgehörten Telefongesprächs, das der frühere Präsident (2007 bis 2012) mit seinem Anwalt geführt hatte. Darin gab er sich als "Paul Bismuth" aus und offerierte einem heute mitangeklagten Spitzenfunktionär laut Anklageschrift einen "Korruptionspakt": Um eine Auskunft über den Stand eines anderen Rechtsverfahrens – die sogenannte Bettencourt-Affäre – zu erhalten, versprach er dem Magistraten einen vielbegehrten Posten an der Sonne – in Monaco.

Gaddafi-Affäre

Die Untersuchungsrichter waren zufällig auf diesen Bestechungsversuch gestoßen, als sie in einer weiteren Affäre ermittelten. Dabei ging es um den – bis heute nicht erhärteten – Verdacht auf Wahlkampffinanzierung durch den libyschen Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi.

Sarkozy alias Bismuth erhielt für den Korrumpierungsversuch im März 2021 ein Jahr Haft – und zwar auch, weil er laut dem erstinstanzlichen Gericht seine Vorbildfunktion als Präsident verletzt hatte. Für Frankreich wurde damit erstmals ein gewesener Staatschef zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt.

Noch im gleichen Jahr, 2021, erhielt Sarkozy ein weiteres Jahr "unbedingt": Seine Wahlkampfausgaben beliefen sich auf 42,8 Millionen, womit er den gesetzlichen Plafond von 22,5 Millionen Euro auf krasse Weise überschritt. Und alles mit falschen Rechnungen verschleierte.

Bei Verurteilung wohl Fussfesseln

Auch gegen dieses Urteil hat Sarkozy Berufung eingelegt. Der Prozess wird Ende 2023 stattfinden. Dann steht ihm noch der Gang an den Kassationshof offen. Bis zum letzten Urteil wird der 67-jährige Sarkozy wohl über siebzig sein. Dann bliebe ihm die Haftzelle altersbedingt erspart. Nur Fußfesseln müsste er in seiner Wohnung im 16. Pariser Nobelbezirk anlegen.

Sarkozy plädierte am Montag wie sein Anwalt und der Magistrat auf Freispruch. Die Abhöraktion sei illegal gewesen, behaupten sie. Vertraute von ihnen hatten vor dem Prozess sogar von "Gaunermethoden" linker Untersuchungsrichter gesprochen.

"Sarko Corleone"

Im französischen Internet tönte es am Montag etwas anders. "Sarko Corleone" verhalte sich wie ein sizilianischer Pate, war zu lesen: Von der Justiz bedrängt, lasse er sein eigenes Lager fallen, um seine Haut zu retten. Bei den Präsidentschaftswahlen im April hatte Sarkozy nie zur Wahl seiner konservativen Parteifreundin Valérie Pécresse aufgerufen. Dafür streicht er seine auch private Nähe zu Emmanuel Macron heraus. Laut den Internetforen sucht Sarkozy "den Schutz Jupiters", das heißt des amtierenden Präsidenten, um nicht im Kittchen zu landen.

Solche Kommentare machen augenfällig, wie sehr Sarkozys Affären nicht nur seinem Ansehen, sondern auch dem der Politik schaden. Dem Aufschwung populistischer Kandidaten wie Marine Le Pen leisten sie damit nur Vorschub.

Die Hinterlassenschaft Sarkozys

Auch Macron scheint sich nicht bewusst zu sein, wie toxisch die Nähe zu Sarkozy für sein Image ist. Der aktuelle Staatschef hat, so unpopulär er ist, seit seiner ersten Wahl im Jahr 2017 keine persönlichen Affären angehäuft. Aber er hat schon schon mehrfach darauf verzichtet, Minister zu entlassen, die Gegenstand von Justizermittlungen sind. Damit missachtet er ein Wahlversprechen. Auch fördert er damit den Eindruck, über dem Gesetz zu stehen.

Bei Sarkozy war es genau diese Hybris, die ihm zum Verhängnis wurde. In Paris wird auch der Vergleich zum ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi oder dem amerikanischen Ex-Präsidenten Donald Trump gezogen, die ihre persönlichen Interessen weiterhin über die ihrer Parteien oder gar der Politik stellen. Sarkozys politische Karriere ist hingegen, so ist anzunehmen, definitiv zu Ende.

Die Partei der "Républicains" – der Parteiname stammt von Sarkozy selbst – sind derzeit auch nur noch ein Schatten ihrer selbst. Zwischen Macron und Le Pen eingekeilt, bestimmen sie diese Woche gerade einen neuen Parteichef. Das öffentliche Interesse daran ist minim: Die meisten Franzosen wüssten die Namen der beiden Kandidaten Eric Ciotti und Bruno Retailleau nicht einmal zu nennen. Auch das ist eine Hinterlassenschaft Sarkozys. (Stefan Brändle aus Paris, 5.12.2022)