Im September hatte Olaf Scholz (Mitte) Corona und ging zu Robert Habeck (links) und Christian Lindner (rechts) auf Distanz.

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Olaf Scholz ist zufrieden. "Geprägt worden ist dieses Jahr natürlich zuallererst von Russlands brutalem Krieg gegen die Ukraine", sagte der deutsche Kanzler zum Jubiläum in seiner wöchentlichen Videobotschaft. Und er findet: "Die Aufgaben, die sich für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft stellen, die haben wir darüber aber nicht vernachlässigt."

Gefeiert wird der erste Geburtstag der Ampel am 8. Dezember nicht, es herrscht business as usual. Viele Deutsche würden ihre Regierung auch ungern mit Sektglas und Häppchen sehen. Die Bilanz des Volkes fällt nämlich nicht so rosig aus wie die des Kanzlers.

Laut einer Civey-Umfrage für den Spiegel sind 61 Prozent der Deutschen mit der Ampel nicht zufrieden, für Bild zeichnet Insa ein ähnliches Bild: 64 Prozent üben Kritik.

Vor einem Jahr hatte es nach Aufbruch gerochen. Angela Merkel, die Langzeitkanzlerin von 2005 bis 2021, schied freiwillig aus dem Amt. Lange glaubte die Union, der Weg ins Kanzleramt sei für ihren Spitzenkandidaten Armin Laschet ein Sonntagsspaziergang. Doch er patzte, Scholz holte auf und war mit der SPD am Wahltag die Nummer eins.

Für Rot-Grün reichte es nicht

Zur rot-grünen Wunschkoalition reichte es allerdings nicht, die Liberalen mussten mit ins "Ampelboot". Erstmals bildeten drei Parteien eine Regierung, und ein flotter Name war auch bald gefunden: "Fortschrittskoalition".

"Es geht um einen Aufbruch, den wir in schwieriger Zeit zustande bringen müssen", sagte Scholz im Dezember 2021 bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags.

Damals ahnte niemand, wie schwierig es noch werden würde. Zwei Monate später marschierten die Russen in der Ukraine ein, und die Ampel musste in vielem umdenken. Milliardenschwere Pakete für die Bundeswehr und für Bürgerinnen wie Bürger wurden aufgelegt, um die Folgen des Krieges im Energiesektor abzufedern. Daneben aber wollten SPD, Grüne und FDP auch ihre eigene Handschrift einbringen. Sie kippten etwa das "Werbeverbot für Abtreibungen" (§ 219a).

Thorsten Faas, Politologe an der Freien Uni Berlin, findet Milde angebracht: "Alles in allem steht die Ampel nicht schlecht da. Man darf nicht vergessen, das ist ein schwieriges, immer noch junges Bündnis, das riesige Herausforderungen bewältigen musste. Wenn man sich anschaut, was in diesem ersten Jahr alles auf den Weg gebracht wurde, aber auch, wie die Ampel in Umfragen dasteht, dann ist das – gerade auch im Vergleich zu früheren Koalitionen – absolut in Ordnung."

Kontinuität der Kanzlerin

Dennoch: Es ruckelte streckenweise ziemlich im ersten Jahr der Ampel, was auch mit den handelnden Personen zu tun hatte. Da ist zuallererst natürlich Scholz im Fokus. Im Wahlkampf hat er sich als Merkel 2.0 angeboten – als sozialdemokratische Kontinuität der christdemokratischen Kanzlerin, um den Deutschen Merkels Abgang zu erleichtern.

Lange Zeit wurde ihm vorgehalten, die Ukraine nicht ausreichend zu unterstützen. Zur Erkenntnis, dass er seinem Volk mehr erklären sollte, kam er erst ein wenig später. Seither herrscht die Devise: Zuversicht verbreiten, auch wenn es hart ist. "You’ll never walk alone", versicherte Scholz den Bürgerinnen und Bürgern und versprach ihnen einen "Doppelwumms" als Unterstützung.

Die Kassandra vom Dienst gibt eher Robert Habeck, grüner Minister für Wirtschaft und Klimaschutz. Er erklärt, dass sowohl zu regieren als auch regiert zu werden in Kriegszeiten nicht schmerzfrei vonstattengeht.

"Es kann mal rumpelig werden", heißt das dann bei Habeck. Oder: "Das ist die bittere und harte Wahrheit" – wenn er erklärt, dass der Staat nicht alle Preissteigerungen bei der Energieversorgung auffangen könne.

Nur die Grünen legen zu

Den Grünen schadet das nicht, ebenso wenig, dass Habeck mit seiner zunächst geplanten Gasumlage für notleidende Energieunternehmen scheiterte. Als einzige Partei des Ampelbündnisses konnten die Grünen im ersten Jahr in Umfragen zulegen, SPD und FDP verloren, was vor allem die FDP nervös macht.

Viele ihrer Anhängerinnen und Anhänger haben sich abgewandt. Im ersten Jahr nach der Bundestagswahl gingen alle vier Landtagswahlen für die deutschen Liberalen unschön aus. "Manche glauben, wir seien jetzt auch eine linke Partei", klagte Christian Lindner, der nicht nur Finanzminister, sondern auch FDP-Chef ist.

Die Folge: Vor allem FDP und Grüne liegen häufig im Clinch, der Kanzler schaut zu. "Scholz agiert an vielen Stellen ähnlich wie seine Vorgängerin. Er mischt sich nicht in jedes Detail ein, sondern lässt Dinge und häufig seine Koalitionspartner erst einmal laufen. Mit der Richtlinienkompetenz im Atomstreit hat er aber auch gezeigt, dass er bereit und fähig ist durchzugreifen", sagt Faas.

Wochenlang hatten FDP und Grüne erbittert um die Verlängerung der AKW-Laufzeiten gestritten und sich so verhakt, dass Scholz schließlich ein Machtwort sprach und seine Richtlinienkompetenz als Kanzler ausspielte. In der Art hatte dies noch kein Regierungschef vor ihm gemacht. Im ersten Dreierbündnis ging es offenbar nicht anders. (Birgit Baumann aus Berlin, 6.12.2022)