David Bowie erfand sich im Lauf seiner Karriere immer wieder neu – mit modernen Technologien sollen sich die Künstler vermehrt nach dem Hörverhalten ihrer Fans richten.

Foto: Reuters/Leonhard Foeger

Nach dem ersten Jahr der Corona-Pandemie sind die Umsätze der Entertainment- und Medienbranche wieder gewachsen. So hieß es im August in einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PwC), dass die Branche in Deutschland im Jahr 2021 um 10,7 Prozent zugelegt, 63,5 Milliarden Euro Gesamtumsatz erreicht und damit sogar das Vorkrisenniveau von 2019 (62,2 Milliarden Euro) übertroffen habe. In Österreich stiegen die Umsätze 2021 um acht Prozent und lagen mit 11,23 Milliarden Euro ebenfalls auf Vorkrisenniveau.

Rennen um Aufmerksamkeit

Gleichzeitig gab es in dieser Branche immer schon ein Rennen um Aufmerksamkeit, und dieser Wettbewerb ist im digitalen Zeitalter größer denn je: Große Kinohäuser konkurrieren mit Stramingdiensten wie Netflix, Disney+ und Amazon Prime, der Wechsel zu einer anderen Band ist mit Diensten wie Spotify und Youtube nur einen Mausklick entfernt.

So ist es nur naheliegend, dass die Branche immer wieder neue Möglichkeiten sucht, das eigene Publikum besser zu verstehen – und Umsatz daraus zu erzielen. Dementsprechend hat der japanische Konzern Sony auf der aktuellen Ausgabe der Sony Technology Exchange Fair (STEF) neue Technologien vorgestellt, die genau hier unterstützend wirken sollen.

Die STEF findet 2022 bereits zum 50. Mal statt. Normalerweise handelt es sich dabei um eine hausinterne Präsentation neuer Technologien für künftige Projekte. Angesichts des runden Jubiläums öffnete man sich in diesem Jahr auch internationalen Medien. Der Mischkonzern ist Technologieanbieter, hält mit Divisionen wie Sony Music, Sony Pictures und der Playstation-Sparte aber auch große Player im Contentbereich.

VX: Das Publikum wird gefilmt

Eine der präsentierten Technologien ist Viewing Experience (VX). Hier wird das Publikum in einem Kino mit objektiven Mitteln dabei beobachtet, wie es mit den Filmen – und auch mit Werbung – interagiert. Die Reaktionen werden in Echtzeit getrackt. Dabei filmen Kameras die Gesichter, die anschließend über künstliche Intelligenz analysiert werden. Ebenso können Pulsmesser und Mikrofone eingesetzt werden, um etwa Lachen und Klatschen zu analysieren.

Sony - Technology

Denkbar ist nicht nur ein Einsatz für Kinos, auch die Playstation-Division könnte diese Technologie für das Testen von Games vor dem Release nutzen. Und auch die Musikbranche könnte dieses Tool verwenden, etwa für die Analyse von Reaktionen auf Livekonzerten.

Im Fallbeispiel heißt es von Sony, dass diese Technologie in der Phase zwischen Postproduktion und Screenings, also noch vor dem Release, anhand einer Fokusgruppe eingesetzt wird. DER STANDARD fragte, ob diese Technologie rein theoretisch auch nach dem Release in echten Kinos eingesetzt werden könnte – Antwort: Ja, das ist möglich.

Grooveforce: Analysen für Musiker

Andere Tools zielen spezifisch auf einzelne Branchen ab, etwa auf das Musikbusiness. So hat man bereits vor einigen Jahren das Artist Portal gestartet, das Musikerinnen und Musikern die Auszahlung von Umsätzen aus diversen Quellen ermöglicht. Neu ist künftig, dass diese auch eine Vorauszahlung beantragen können – basierend auf künftigen Umsätzen, die mittels Algorithmus prognostiziert werden.

Das inhouse entwickelte Tool Grooveforce wiederum ermöglicht Analysen dazu, wie die eigene Musik ankommt. Dabei geht es nicht nur um die Wirksamkeit von Kampagnen und Social-Media-Postings – auch die Reaktionen der Fans auf die einzelnen Songs sollen den Kreativen helfen, ihr Songwriting an die Bedürfnisse des Publikums anzupassen.

Sony - Technology

Die Antwort auf die Frage eines Mediums, inwiefern dies mit der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in Einklang sei: Derzeit gibt es das Tool ohnehin nur in Japan – in der EU kann es gar nicht genutzt werden.

KI für die Contentproduktion

Und schließlich sollen die neuen Technologien nicht nur für die Analyse, sondern auch für die Contentproduktion genutzt werden. Ein Beispiel dafür ist Mapray – ein Tool, mit dem aus Satellitenbildern, Fotos und anderen Daten digitale Zwillinge ganzer Städte erstellt werden können.

Klingt irgendwie vertraut? Kein Wunder: Sonys großer Konkurrent im Gaming-Bereich, Microsofts Xbox, hat eben eine solche Technologie in der jüngsten Iteration des "Flight Simulator" verwendet, um eine komplette digitale Kopie unseres Planeten zu erstellen. Laut Sony kann diese Technologie für Maps, aber auch für KI-getriebene Anwendungen wie autonomes Fahren verwendet werden.

Sony - Technology

Auch setzt Sony auf "Deep Generative Models" – Algorithmen, die Content generieren oder verbessern, etwa Bilder. So ist es zum Beispiel möglich, mit dieser Technologie altes Foto- und Videomaterial für die aktuellen Anfordernisse digital aufzubereiten oder Hintergrundgeräusche aus einer Tonaufnahme zu entfernen.

Sony - Technology

Die Frage eines Journalisten angesichts dieser Präsentation ist eine, die sich im Kontext der gesamten Präsentation aufdrängte: Wird ein solches datengetriebenes Vorgehen nicht einen Einheitsbrei produzieren und die Seele aus der Kunst entfernen?

Die Antwort: Man achte behutsam auf das AI-Ethik-Problem und betreibe großen Aufwand, um potenzielle Risiken zu eliminieren – und letztlich handle es sich hierbei um assistierende Tools. Die Letztentscheidung, was Kunst ist und wie sie gestaltet werden soll, bleibt wohl hoffentlich weiterhin beim Menschen. (Stefan Mey, 6.12.2022)