Forschung und Lehre können so weder zukunftsfähig noch nachhaltig innovativ sein, warnen die Professorinnen und Professoren Ulrich Brand, Petra Dannecker, Kristina Dietz, Anna Durnová, Ulrike Felt und Jörg Flecker im Gastkommentar.

"Die aktuell gängige Praxis an vielen Universitäten, Vollzeitleistung zu fordern, aber nur Teilzeit anzustellen, hat viele in prekäre Lebenssituationen gebracht."
Sechs Wissenschafterinnen und Wissenschafter im Gastkommentar "Gefangen in der Teilzeit".
Illustration: Fatih Aydogdu

Mit der Novellierung des Universitätsgesetzes (UG) im Herbst 2021 ist auch der neu formulierte Paragraf 109 zur "Dauer von Arbeitsverträgen" in Kraft getreten. Der Paragraf begrenzt die Höchstbefristungsdauer für alle Wissenschafterinnen und Wissenschafter ohne Festanstellung an einer Universität auf acht Jahre, wobei – unter bestimmten Umständen –vier Jahre für das Doktorat abgezogen werden. Allerdings werden auch Lehraufträge in diese Zeiten eingerechnet.

Verlorenes Know-how

In der Praxis bedroht diese Novelle bereits ein Jahr nach Inkrafttreten die wissenschaftliche Exzellenz der Universität Wien. Wissenschafterinnen und Wissenschafter ohne Festanstellung, die in den vergangenen Jahren erfolgreich Drittmittel für die Universität eingeworben haben, sehen sich heuer gezwungen, die Universität zu verlassen. Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung, die von der Kettenvertragsregelung betroffen sind, verlassen die Universität. Damit verlieren wir nicht nur exzellente Kolleginnen und Kollegen, sondern auch erfolgreiche Kooperationen.

Die Universität Wien verliert wissenschaftliches und administratives Know-how, das sie selbst aufgebaut hat. Sie verliert zudem einen beträchtlichen Teil der Forschungsmittel, auf die sie als Hochschule im internationalen Wettbewerb angewiesen ist. Keines unserer eigenen exzellenten Projekte und Forschungsleistungen der letzten Jahre und Jahrzehnte wären ohne Kooperation mit diesen Mitarbeitenden, die auf Basis von Drittmitteln befristet finanziert wurden, möglich gewesen.

Neue Lücke

Aufgrund der gegenwärtigen Kettenvertragsregelung sehen wir die Konkurrenzfähigkeit der Universität Wien in der europäischen und weltweiten Spitzenforschung in Gefahr. Darüber hinaus bedroht der Paragraf 109 in seiner derzeitigen Formulierung und Anwendung eine exzellente Nachwuchsförderung und Lehre an der Universität Wien. Die Einbeziehung von Lehraufträgen in die Kettenvertragsregelung verhindert, dass junge über Projekte finanzierte Wissenschafterinnen und Wissenschafter Lehrerfahrungen – etwa während des Doktoratsstudiums – machen können. Aber genau diese Erfahrungen sind mit ausschlaggebend für eine erfolgreiche akademische Laufbahn.

"Derzeit herrscht eine Atmosphäre der Angst und Verunsicherungen an der Universität, die dieser nicht würdig ist."

Für die Lehre an unseren Instituten bedeutet dies, dass wir auf einen wichtigen Pfeiler zur Sicherstellung eines umfassenden forschungsorientierten Lehrangebots verzichten müssen. Wie diese Lücke gefüllt werden soll, ist uns bislang unklar. Da Lehraufträge zu der maximalen Beschäftigungsdauer gezählt werden, erweisen sich diese für Forschende als eine Sackgasse. Der Paragraf 109 wurde mit dem Argument novelliert, dass damit die wissenschaftliche Exzellenz gefördert wird. Tatsächlich erweist sich nach einem Jahr seiner Existenz, dass er das Gegenteil bewirkt.

Derzeit herrscht eine Atmosphäre der Angst und Verunsicherungen an der Universität, die dieser nicht würdig ist; die Betroffenen werden oft nur wenige Wochen im Voraus informiert, dass sie gehen müssen, neu eingeworbenen Projekte nicht (mehr) an der Universität ansiedeln können oder ihre Lehraufträge während des Doktoratsstudiums sich nun negativ auf ihre Anstellung auswirkt. So können Forschung und Nachwuchsförderung nicht zukunftsfähig und innovativ sein.

Politischer Dialog

Aus diesen Gründen unterstützen wir Professorinnen und Professoren der Universität Wien die aktuellen Bestrebungen nach einer Veränderung der Kettenvertragsregelungen an Universitäten. Wir sind der Ansicht, dass die Universität Wien mögliche Handlungsspielräume nicht ausreichend ausgeschöpft. Hierzu zählt etwa eine transparente Strategie für die Entfristung von drittmittelfinanzierten Kolleginnen und Kollegen, wie es an anderen österreichischen Universitäten durchaus praktiziert wird. Zudem sollte sich die Universität dringend dafür einsetzen, die Einbeziehung von Lehrerfahrungen in die Kettenvertragsregelung zu beenden.

Wir ersuchen das Rektorat der Universität Wien dringend, sich für einen politischen Dialog zwischen allen Beteiligten – Rektorat, Betroffene, Gewerkschaft, Gesetzgeber, Betriebsräte – einzusetzen. Im Sinne einer zukunftsfähigen Anstellungspolitik an der Universität Wien bedarf es einer veränderten Praxis und Reformierung des Paragrafen 109. Nicht ein Paragraf, sondern eine exzellente, innovative und zukunftsfähige Forschung und Lehre sollten der Maßstab sein. (Ulrich Brand, Petra Dannecker, Kristina Dietz, Anna Durnová, Ulrike Felt, Jörg Flecker, 6.12.2022)