Chinas Führung dürfte die Protestwelle der vergangenen Wochen erfolgreich gestoppt haben, mit einer Mischung aus Repression und ersten Lockerungen der rigiden Anti-Corona-Maßnahmen. Aber das Dilemma, in das Staatschef Xi Jinping das Land mit seiner strikten Zero-Covid-Strategie geführt hat, bleibt ungelöst: Eine Fortsetzung der Lockdowns schwächt die Wirtschaft und ruft wachsenden Widerstand hervor. Aber angesichts der geringen Immunität und der wenig wirksamen Corona-Impfstoffe aus eigener Entwicklung kann jede weitere Lockerung zu einer rasanten Ausbreitung des Virus führen. Während der Rest der Welt die Pandemie mehr oder weniger hinter sich gebracht hat, steckt China mittendrin. Seine Zero-Covid-Politik mag lange Zeit als Vorbild erschienen sein. Nun erweist sie sich als Fiasko.

Während der Rest der Welt die Pandemie mehr oder weniger hinter sich gebracht hat, steckt China mittendrin.
Foto: AP Photo/Andy Wong

Auch in Europa gab es laute Stimmen in der Wissenschaft und den Medien – auch im STANDARD –, die eine viel striktere Anti-Corona-Politik bis hin zu Zero-Covid forderten. Dem standen andere gegenüber, die noch viel lauter alle Maßnahmen ablehnten – im Widerspruch und im Widerstand zum medizinischen Mainstream. Die Politik in den westlichen Demokratien fühlte sich hin- und hergerissen, schwankte zwischen Lockerheit und Lockdowns, schloss wenig überzeugende Kompromisse und wirkte planlos im Vergleich zu China. Das galt für Österreich genauso wie für die anderen EU-Staaten und die USA.

Welche Staaten im Kampf gegen das Virus die erfolgreichste Strategie verfolgt haben, ist bis heute nicht klar. Wenn man sich nach fast drei Jahren verschiedene Indikatoren anschaut – Todeszahlen, wirtschaftliche Kosten, medizinische und psychische Begleitschäden –, sticht kaum ein Land besonders hervor. Alle erlebten Erfolge und Rückschläge, oft zu unterschiedlichen Zeiten.

Milliardenkosten

Aber eines scheint klar: Am besten haben jene die Krise bewältigt, die sich keiner Ideologie oder strammen Strategie verschrieben, sondern flexibel auf die sich ständig ändernden Umstände reagierten. Sie wurden dafür zwar gescholten, aber behielten am Ende recht. Wobei man bei einer Pandemie, die immer noch viele Rätsel aufgibt, nicht von "recht haben" sprechen sollte.

In Österreichs Corona-Politik lassen sich am ehesten zwei Fehler erkennen: Die Schulen waren länger geschlossen als notwendig, mit schlimmen psychischen Folgen für viele Jugendliche. Und es wurde zu lange zu viel getestet, was außer Milliardenkosten wenig gebracht hat. Aber sonst dürften Bund und Länder seit Februar 2020 viel weniger falsch gemacht, als es Kritiker gerne behaupten.

Es ist die Stärke von Demokratien, dass sie keine "starken Führer" haben, die ihren Kurs entschlossen durchsetzen, wie dies zuletzt in einer Umfrage in Österreich von vielen gewünscht wurde. Wer stur einen Weg verfolgt, der in eine Sackgasse führt, wird rasch von der Partei, Koalitionspartnern oder Wählerinnen gebremst. Der Zwang zu Kompromissen mag in Demokratien viele sinnvolle Projekte und Reformen behindern, was gerade im Kampf gegen die Klimakrise zu Recht frustriert. Aber die katastrophalen Irrwege der großen Autokratien, wie Russlands Ukraine-Krieg, der iranische Kopftuchzwang oder Chinas Zero-Covid-Fanatismus, sind in pluralistischen Systemen kaum vorstellbar. Der Preis dafür – Stillstand, Streit oder gar Chaos in der Politik – ist vergleichsweise gering. (Eric Frey, 6.12.2022)