Europa fürchtet die Abwanderung einiger Industrieunternehmen in die USA. Vor allem für Elektroautos sind im milliardenschweren Paket der US-Regierung deutliche Erleichterungen vorgesehen.

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Es ist die "größte Investition in den Kampf gegen die Erderwärmung in der US-Geschichte": 369 Milliarden Dollar wollen die USA in den Klimaschutz und die Energiesicherheit fließen lassen. Eigentlich sehr positive Entwicklungen, könnte man meinen. Tatsächlich aber liegen sich die USA und Europa genau deswegen seit Wochen in den Haaren.

"Diese Entscheidungen werden den Westen spalten", warnt etwa Frankreichs Präsident Emmanuel Macron; Binnenmarktkommissar Thierry Breton droht an, vor die Welthandelsorganisation (WTO) zu ziehen, und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sieht die Zeit für einen Kurswechsel bei der Investitionspolitik Europas. Doch wie kann es sein, dass eine aus ökologischer Sicht so positive Entwicklung derart die Gemüter erhitzt?

Verstoß gegen Handelsrecht

Im Fokus steht das Inflationsreduzierungsgesetz (IRA), das mit August dieses Jahres in Kraft getreten ist. Während die Unterzeichnung bei den Demokraten für Jubelstimmung sorgt, wirft die EU den USA "Handelsprotektionismus" vor. Die Kritik: Die Subventionen der US-Regierung sind an die heimische Produktion gekoppelt – "Made in the USA" lautete das Motto anfänglich, mittlerweile profitieren auch Hersteller aus Kanada und Mexiko davon.

Für Käufer eines Elektroautos etwa gibt es eine Förderung über 7.500 US-Dollar; allerdings nur, wenn dieses zum Großteil in Nordamerika hergestellt und Batterien von nordamerikanischen Unternehmen bezogen werden. Industrieunternehmen, die etwa in Europa angesiedelt sind, werden so benachteiligt, beklagt sich Brüssel.

Die Abwanderung wichtiger Wirtschaftszweige wird befürchtet, allen voran der Industrie. Bereits jetzt flüchteten energieintensive Unternehmen vor den hohen Energiepreisen Europas, berichtete etwa das "Wall Street Journal". Viele Konzerne fänden dabei den Weg in die USA, die nun noch mit dem milliardenschweren Subventionspaket weiter punkten.

Europa will sich wehren

Der Wirtschaftsstandort Europa befindet sich damit klar im Nachteil, die "Diskriminierung" will man sich nicht gefallen lassen. Aber was kann Europa tun?

Ins Gespräch wurde unter anderem eine Klage vor dem Schiedsgericht der WTO gebracht. Wifo-Chef Gabriel Felbermayr sieht in einer Klage allerdings keine effektive Lösung, wie er in einem Interview mit Deutschlandfunk äußerte: "Die WTO wird Jahre brauchen, um zu einer Entscheidung zu kommen." Und selbst im Erfolgsfall könne die USA in zweite Instanz gehen, die zurzeit aber gar nicht existiere. "Ob man da zu einem Erfolg kommt, ist sehr unklar", lautet seine Schlussfolgerung.

Eine Alternative, die vor allem in Deutschland und Frankreich Anklang findet, ist ein europäischer Gegenentwurf zum US-Subventionspaket. Als "Buy European Act" von Macron getauft, soll das Paket ebenfalls protektionistisch ausgelegt sein – und so die lokale Industrie Europas stärken. Die Zeichen stünden so auf Konfrontation, mancherorts ist gar von einem "Handelskrieg" die Rede.

Felbermayr: "Dimensionen nicht überschätzen"

Natürlich müsse man sich Sorgen machen, sagt Felbermayr. Gleichzeitig dürfe man die Dimensionen aber auch nicht überschätzen, verweist er auf den zeitlichen Rahmen des Pakets. "Über zehn Jahre gerechnet ist das dann doch keine so gewaltige Summe", relativiert er die auf den ersten Blick enorme Summe. "Die Frage ist, ob man sich dafür wirklich einen Handelskrieg antun will, den man vermutlich nicht gewinnen kann".

Einen Handelskrieg will auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vermeiden. Sie setzt auf eine Reihe von Lösungsvorschlägen, die die entstehenden Wettbewerbsnachteile wieder ausgleichen sollen.

Zum einen sieht von der Leyen die Notwendigkeit, die Vorschriften für staatliche Beihilfen zu erleichtern. Zusätzlich müsse das bestehende Programm REPowerEU weiter ausgebaut werden, um Investitionen in Energieeffizienz und erneuerbare Energien zu fördern. Zudem fordert sie die Einrichtung eines Souveränitätsfonds, der eine "gemeinsame europäische Industriepolitik" ermöglichen und so die Wettbewerbsfähigkeit Europas gewährleisten solle.

"Klub für kritische Rohstoffe" im Kampf gegen Chinas Monopol

Auch in Richtung der USA findet sie klare Worte: "Kooperation statt Konfrontation" laute die Devise. So könne etwa die Abhängigkeit bei kritischen Rohstoffen von China reduziert werden, indem Europa und die USA gemeinsame Sache machen. Ein eigens dafür gedachter "Klub für kritische Rohstoffe" mit Partnern und Verbündeten in den Bereichen der Beschaffung, Produktion und Verarbeitung könne eine Alternative zum Monopol Chinas bieten. Das gelinge allerdings nur gemeinsam.

Angesichts der vorgestellten Pläne wirkt die "gemeinsame Sache" allerdings eher wie ein rhetorisches Stilmittel. Schließlich würden die Maßnahmen primär darauf abzielen, die Souveränität Europas zu erhöhen.

Optimismus nach Sitzung

Beim Treffen des europäisch-amerikanischen Handels- und Technologierats in College Park im US-Bundesstaat Maryland am Montag zeigten sich die Spitzen der Europäischen Union und der US-Regierung zwar überzeugt, dass eine Einigung gefunden werden kann, nannten aber keine konkreten Fortschritte.

"Wir verlassen diese Sitzung etwas optimistischer, als wir in diese Sitzung hineingegangen sind", sagte Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis bei einer gemeinsamen Pressekonferenz. Es gebe aber noch viel zu tun. Auch US-Außenminister Antony Blinken betonte nun, er gehe davon aus, dass die Differenzen ausgeräumt würden. Eine Arbeitsgruppe befasse sich bereits damit. Man nehme die Bedenken der Europäer ernst, sagte er. "Das Wichtigste ist wohl, dass sich die USA im Kampf gegen den Klimawandel voll engagieren", fügte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hinzu.

"Das Ziel muss sein, am Verhandlungstisch dafür zu sorgen, dass möglichst wenig Schaden in Europa verursacht wird", ist sich Felbermayr sicher. Bernd Lange, Chef des Handelsausschusses im EU-Parlament, rechnet indes nicht mehr mit einer Lösung am Verhandlungstisch. (Nicolas Dworak, red, 5.12.2022)