Die Grünen in Wien wollen einfach nicht so recht in ihre Rolle finden. Zwei Jahre ist es her – da tauschte sie Wiens roter Bürgermeister Michael Ludwig gegen die Neos ein. Die Grünen wurden nach zehn Jahren der Koalitionsbeteiligung in die Opposition verdrängt; die ehemalige Vorsitzende und Spitzenkandidatin bei der Gemeinderatswahl 2020, Birgit Hebein, wurde durch eine Doppelspitze ausgetauscht; ein Erneuerungsprozess angekündigt.

Den Spagat, den die Landesorganisation seither hinzulegen hat, ist kein einfacher. Einerseits gilt es, der SPÖ auf die Finger zu klopfen – eine Gelegenheit dafür ist die soeben angelaufene U-Kommission zur Wien Energie. Sollten die Grünen jemals wieder in eine Stadtregierung wollen, gibt es aber andererseits kein Vorbei an der SPÖ: Zu sehr wollen sie es sich mit den Genossen daher auch nicht verscherzen.

Umso wichtiger wurden für die Partei drei Personen, die zeigen sollen, wie grüne Politik aussieht und welche Visionen die Partei auch für die ganze Stadt hat: Silvia Nossek, Markus Reiter und Martin Fabisch sind Wiens Grüne an der Spitze ihres jeweiligen Bezirks.

Sieben Jahre in Währing

Am längsten hat Nossek diese Funktion inne: Sie wurde 2015 Vorsteherin von Währing. Ihr Rolle sieht sie vor allem darin, Ernsthaftigkeit im Kampf gegen die Klimakrise zu demonstrieren: "Wir in den Bezirken sind der Beleg dafür, dass man etwas tun kann, wenn man nur will." Als Beispiel nennt Nossek das Autofahren. In der rot-pinken Stadtregierung nehme sie zwar Bereitschaft zu Klimapolitik wahr – allerdings unter einer gewissen Schonung des motorisierten Individualverkehrs. "Dabei werden wir alle zusammen weniger Auto fahren müssen", sagt Nossek.

Silvia Nossek und ihre Blaupause für "Wiedernutzbarmachung des öffentlichen Raums": der Johann-Nepomuk-Vogl-Platz in Währing.
Foto: Regine Hendrich

Bei ihren Projekten zur Verkehrsberuhigung fühlt sie sich trotz der Umfärbung des Planungs- und Verkehrsressorts von Grün auf Rot nicht ausgebremst. "Da wird viel mitgetragen. Diese Projekte gibt es aber nur deshalb, weil wir Grünen sie wollen." Nossek selbst spricht hierbei von "Wiedernutzbarmachung des öffentlichen Raums" – die Blaupause ist für sie der neu gestaltete Johann-Nepomuk-Vogl-Platz. Der nächste große Wurf soll der Umbau des Aumannplatzes zur Piazza werden.

Die Zusammenarbeit mit dem Rathaus hat sich für sie kaum verändert: "Wir haben in den zuständigen Stadtratsbüros ambitionierte Gegenüber. Es gibt gut gewachsene Arbeitsbeziehungen dorthin, die haben gehalten." Aufgrund ihres engen Kontakts zur Stadtregierung ergibt sich ein gewisses Kuriosum: Was im Rathaus geplant und diskutiert wird, darüber weiß Nossek mitunter besser Bescheid als der dort ansässige grüne Klub: "Da hat man für die eigene Partei die Rolle, dass man informieren kann." Zusätzlich liege es bei den drei grünen Bezirksspitzen, den Kontakt zu den Fachdienststellen im Magistrat zu pflegen.

Ob all das Druck aus den eigenen Reihen mit sich bringe? Nein, sagt Nossek: "Den macht man sich eher selbst." Denn im Hinblick auf die Klimakrise laufe die Zeit davon.

Fünf Jahre in Neubau

Mehr Tempo seitens des Rathauses fordert daher Markus Reiter im siebten Bezirk ein –mit durchaus deutlichen Worten: "Ich habe den Eindruck, dass ich dicke Bretter bohren muss. Es geht nicht mehr in der Geschwindigkeit voran, die ich gerne hätte." Nachsatz: Die Kooperation sei dennoch gut.

Die umgebaute Neubaugasse im siebten Bezirk ist für Markus Reiter ein Beleg dafür, dass eine vitale Wirtschaft und grüne Politik zusammengehen.
Foto: Regine Hendrich

Wie zäh Verhandlungen mit der Stadt sein können, bekam Reiter – fast auf den Tag genau fünf Jahre im Amt – gleich zu Beginn seiner Tätigkeit zu spüren: im Streit um die Route des 13A und die Neubaugasse, die mittlerweile in eine begrünte und mit Sprühnebel gekühlte Begegnungszone umgebaut wurde. "Das hat mit gezeigt: Es lohnt sich, daran zu glauben, dass eine nachhaltige Lösung die beste ist." Für Reiter ist die Gasse der Beleg dafür, dass grüne Politik und eine vitale Wirtschaft definitiv kein Widerspruch sind: Nach der Pandemie sei die Kaufkraft hier viel schneller zurück gewesen als in anderen Einkaufsstraßen.

Neubau bezeichnet er gerne als "Pionierbezirk" – soll heißen: Die grüne Hochburg sei Vorbild für ganz Wien. "Mittlerweile ist es selbstverständlich, dass die Stadt jede Woche einen Straßenabschnitt eröffnet, der entsiegelt und mit Wasser ausgestattet wurde." Derartige Umbauten würden nicht zuletzt auch die so wichtige soziale Interaktion ermöglichen.

Bei Umgestaltungen an der Oberfläche soll es für Reiter allerdings nicht bleiben. Den aktuellen U-Bahn-Bau will er dafür nutzen, das Siebensternviertel in ein sogenanntes Powergrätzel umzubauen: Weil dadurch ohnehin viele Straßen aufgerissen werden müssen, könnten erneuerbare Energiesysteme wie Fernwärme oder Geothermie eingebaut werden. Verändern zu wollen, das sei eben Teil der grünen DNA, sagt Reiter – und die Oppositionsrolle auf Stadtebene daher "kein Honigschlecken". Aber: "Wir werden weiterhin zeigen, was möglich ist, wenn Grüne regieren."

Zwei Jahre in der Josefstadt

Der Siebente ist auch eines der Vorbilder für den Achten. Auch wenn der neueste in der Runde der Bezirkschefs diese nicht auf einen Bezirk reduzieren will. Martin Fabisch hat es bei der Wien-Wahl 2020 geschafft, die Josefstadt von Türkis auf Grün zu drehen. Und grüne Politik sei das Zukunftsmodell für die Stadt, sagt er. Ein Ort, den Fabisch symbolisch dafür nennt: der Lisette-Model-Platz, der seit wenigen Tagen fertig umgestaltet ist.

Der seit wenigen Tagen umgestaltete Lisette-Model-Platz in der Josefstadt steht für Martin Fabisch symbolisch für grüne Politik.
Foto: Regine Hendrich

Der frühere Schulparkplatz und die Pfeilgasse sind an dieser Stelle mit Beeten, Bäumen und Wasser ausgestattet worden. Herzstück des 2700 Quadratmeter großen verkehrsberuhigten Grün- und Freiraums: neun neue Bäume, darunter drei XL-Platanen, auf die Fabisch besonders stolz ist. Ein Fahrradweg zieht sich über den Platz, links und rechts spazieren die Fußgängerinnen und Passanten – dort wurden helle Pflastersteine statt Asphalt verwendet. Dazu kommen Sitzgelegenheiten unter den schattenspendenden Bäumen – besonders im Achten eine Seltenheit. Es ist mit 1,9 Prozent der Bezirk mit dem geringsten Grünanteil in der Stadt.

Fertig ist die Pfeilgasse damit nicht: Die Hauptradroute durch den Bezirk soll ausgebaut werden. Bis zur Zweierlinie, gesäumt von Bäumen und Brunnen. Und auch im restlichen Bezirk will Fabisch Verweilen im öffentlichen Raum ermöglichen: "Wir wollen zumindest zwei Sitzgelegenheiten und eine Trinkwasserstation pro Block."

Weniger Autos, Begegnungs- und Fußgängerzonen, Bäume – der Kern von Fabischs Vision eines modernen Bezirkes. "In einem Bezirk wie dem achten, wo alles fußläufig erreichbar ist, muss der öffentliche Raum zugunsten von Fußgängern und Fahrradfahrerinnen umgestaltet werden. Langfristig müssen die Autos aus der Stadt raus", sagt Fabisch. Natürlich mit Befahrungsmöglichkeiten etwa für Blaulichtfahrzeuge und die Müllabfuhr, ergänzt er: "Wieso sollen private Autos nicht am Rande der Stadt abgestellt werden, um drinnen nur Carsharing zu betreiben?"

In der Frage des Klimaschutzes gehe "es nicht darum, die Komfortmentalität aufrechtzuerhalten, sondern eher die Leute aus dieser herauszuholen", sagt Fabisch. Bis es so weit ist, plädiert er für flächendeckend Tempo 30 in seinem Bezirk und ganz Wien. Noch ist der Achte von Verkehrsadern mit Tempo 50 durchzogen: an der Grenze zum Siebenten die Lerchenfelder, mitten im Bezirk die Josefstädter und geteilt mit dem Neunten die Alser Straße.

Mit seinem größten Vorhaben ging er in den Wahlkampf, und er ging es danach auch gleich an: die Umgestaltung der Lerchenfelder Straße. Und die ist ein Projekt, das gleich mehrere Bezirke betrifft. Geht es nach Fabisch, sollten Straßen aber sowieso nicht als Grenzen gesehen werden. (Oona Kroisleitner, Stefanie Rachbauer, 6.12.2022)