Der beliebteste Lehrer einer Wiener Mittelschule, ein Kumpeltyp, hat über eine Zeitspanne von zumindest 15 Jahren zahlreiche ihm anvertraute Kinder sexuell missbraucht und kinderpornografische Fotos und Videos angefertigt.

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Die Dimensionen des riesigen Missbrauchskomplexes lassen einen erschaudern. Der beliebteste Lehrer einer Wiener Mittelschule, ein Kumpeltyp, hat über eine Zeitspanne von zumindest 15 Jahren zahlreiche ihm anvertraute Kinder sexuell missbraucht und kinderpornografische Fotos und Videos angefertigt. Dem Untersuchungsbericht der Wiener Bildungsdirektion zufolge hat es zumindest 40 Opfer gegeben. Der Bericht ortet ein "Systemversagen auf allen beteiligten Ebenen". Die Verantwortlichen auf diesen Ebenen müssen jetzt die Konsequenzen ziehen. Der Bericht nennt hier den Schulstandort und die Bildungsdirektion sowie die Schulpartner – also auch Lehrer, Erziehungsberechtigte und Schüler.

Es gab zahlreiche Alarmglocken, die hätten schrillen können – und in einigen Fällen hätten diese schrillen müssen. Im Bericht steht: Der Lehrer konnte über Jahre eine abgeschieden gelegene Klasse in der Schule führen – die einzige im Erdgeschoß. Kinder nahmen auf seinem Schoß Platz, er machte Fotos beim Duschen und von einem gemeinsamen Saunabesuch bei einer Schulveranstaltung. Fotos davon fanden Eingang in ein Schulbuch, das laut Kommission nachweislich auch dem ehemaligen Direktor bekannt war.

Ein Schüler soll während eines Skikurses bei ihm im Zimmer übernachtet haben. Er veranstaltete eine "Lesenacht" im Schulturnsaal, gab Nachhilfeunterricht in privaten Räumen, lud Schüler zum Essen ein, verbrachte Nachmittage und Wochenenden als Sporttrainer mit ihnen. Und in den Sommerferien war er über Wochen Betreuer in Feriencamps.

Der engagierte Pädagoge fand also ein Umfeld vor, in dem er den Großteil seiner Zeit mit wohl tausenden Kindern verbringen konnte, ohne dass jemand näher nachfragte. Oder zumindest wurden Einsprüche, die diesem System misstrauten, im Keim erstickt. Der Lehrer war äußerst beliebt, einige schwärmen bis heute von ihm. Die Leidtragenden sind zumindest 40 Missbrauchsopfer. So sieht ein "Systemversagen auf allen beteiligten Ebenen" aus.

Lehren für die Zukunft

Aus dem Missbrauchskomplex müssen auch Lehren gezogen werden. Die Bildungsdirektion kündigte an, erarbeitete Empfehlungen der Kommission umzusetzen. Bis Ende des Schuljahres muss etwa jede Wiener Schule ein Kinderschutzkonzept umsetzen, in dem auch Risikofelder für möglichen Missbrauch definiert und verhindert werden sollen. Für die Durchführung von mehrtägigen Schulveranstaltungen und den Umgang mit externen Begleitpersonen sowie Vereinen werden Richtlinien erarbeitet. Und: Zwischen Landeskriminalamt Wien und Bildungsdirektion soll die Kommunikation optimiert werden.

So hat der aktuelle Schulleiter zwar vom Missbrauchsverdacht gegen den Pädagogen im Mai 2019 erfahren, die konkrete Verdachtslage aber nicht an die Bildungsdirektion gemeldet. Arbeitsrechtliche Konsequenzen blieben bis zum Suizid des Pädagogen aus. Künftig soll die Bildungsdirektion direkt informiert werden. Eltern und Schüler des Standorts wurden von der Bildungsdirektion ebenfalls viel zu lange im Unklaren gelassen: Sie erfuhren erst kurz vor Weihnachten 2019 vom Missbrauchsfall, der Bildungsdirektion war der Sachverhalt da schon seit zwei Monaten bekannt.

Ermittlungen wegen verschwundener Anzeige

Aber auch andere Behörden tragen Verantwortung. So gab es bereits im Jahr 2013 eine Missbrauchsanzeige gegen den Pädagogen. Eine Beschuldigtenvernehmung in Niederösterreich fand jedenfalls statt. Doch die Anzeige versandete, niemand will damit mehr etwas zu tun haben. Nach der Anzeige einer Opferanwältin ermittelt nun aber in dieser Sache die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch.

Es sind übrigens die einzigen aktuellen Ermittlungen im gesamten Missbrauchskomplex. Die Wiener Bildungsdirektion reichte insgesamt sieben Anzeigen ein – unter anderem wegen des Verdachts auf mögliche Mittäter. Die Staatsanwaltschaft Wien sah aber in allen Fällen keinen ausreichenden Anfangsverdacht für Ermittlungen. (David Krutzler, 6.12.2022)