Heute ist der Wienfluss gut verstaut. Forschende fanden nun Spuren seines Vorfahren, der vor rund 10 Millionen Jahren in den Pannonsee mündete.

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Vor rund zehn Millionen Jahren lag das heutige Wiener Becken am Ufer eines gewaltigen Gewässers. Die Alpen waren damals von Afrika bereits aufgeworfen worden, und der vom Gebirgskamm abgetrennte Arme des urzeitlichen Thetysmeers schrumpfte allmählich zusammen. Übrig blieb in der Senke zwischen den Alpen und den Karpaten ein riesiger anfangs noch salziger See: Der sogenannte Pannonische See oder Pannonsee existierte bis vor mindestens fünf Millionen Jahren und war phasenweise der größte See Europas.

Der Pannonsee während des Miozäns.
Grafik: Rodić

Während die mehr als tausend Meter mächtigen Sedimente des Sees im tektonischen Senkungsbereich gut untersucht sind, weiß man erst sehr wenig über seine Zuflüsse. Nun sind Forschende unter der Leitung des Naturhistorischen Museums (NHM) Wien in einer Tonschicht unter dem dritten Wiener Gemeindebezirk (Landstraße) auf Ablagerungen zweier solcher Flüsse gestoßen: der Ur-Wien und der Ur-Liesing.

80 Meter tiefes Loch

Die Untersuchungen fanden buchstäblich vor der Tür der Geologischen Bundesanstalt (GBA) statt. Im Garten des Instituts in der Neulinggasse 38 bohrte das Team um Mathias Harzhauser vom NHM für geothermische und geophysikalische Testungen ein 80 Meter tiefes Loch.

Als die Forschenden den Bohrkern untersuchten, entdeckten sie die Spuren der geologischen Geschichte Wiens. Vermutlich, so das Team, mündeten an dieser Stelle vor 10,4 Millionen Jahren die Ur-Wien und die Ur-Liesing in den damaligen Pannonsee.

Anhand zahlreicher Indizien wie Fossilien und geochemischer Zusammensetzung können die Forschenden auf das Ursprungsgebiet eines Urzeitflusses schließen.
Grafik: NHM Wien

"Der See war vor 10,4 Millionen Jahren etwa halb so groß wie das heutige Schwarze Meer und damit der größte See Europas. Wien lag am Westufer dieses Sees", sagt Harzhauser, Leiter der Geologisch-Paläontologischen Abteilung am NHM. Die blaugrauen, feinkörnigen und tonreichen Ablagerungen des Sees findet man in weiten Bereichen des Wiener Stadtgebiets.

Der Querschnitt durch den Bohrkern zeigt Schalenfragmente fossiler Wandermuscheln.
Foto: NHM Wien

Aus dem Hinterland angeschwemmt

Die wasserundurchlässige Schicht hilft bis heute dabei, das Grundwasser in den oberen Schichten zu halten. Seit Jahrhunderten wurden diese Tonlager abgebaut und zu Ziegeln verarbeitete, womit der See letztlich ein Teil von Wien wurde.

Die aktuelle Untersuchung des Bohrkerns lieferte Ergebnisse, auf deren Grundlage die Forschenden zwischen dem Sedimenteintrag der Ur-Liesing und der Ur-Wien unterscheiden können. "Die Analyse zeigt klar den Einfluss des Hinterlandes", sagte Mandana Peresson von der GBA.

Fossilien und Kalk

Bei den Ablagerungen des Vorläufers des im heutigen Wienerwald entspringenden Wienflusses sind es winzige Fossilien aus der durch Sandstein und Mergelgestein geprägten Flyschzone, die den entscheidenden Hinweis gaben. Dem in den Donaukanal mündenden Fluss ist auch eine ausgedehnte Ton- oder Gesteinsschicht in 30,7 Metern Tiefe zuzuordnen.

Anders zusammengesetzt ist dagegen eine Schicht in 32,5 Metern Tiefe: Vor allem ihre zehnmal höheren Karbonatwerte werden als Eintrag aus den Nördlichen Kalkalpen interpretiert. Somit handle es sich höchstwahrscheinlich um Überbleibsel der Ur-Liesing. (red, 6.12.2022)