Die Wiener Austria hat sich am Montag von Trainer Manfred Schmid getrennt. Es seien "Auffassungsunterschiede in wesentlichen sportlichen Fragen" festgestellt worden, hieß es in der Mitteilung. Die Suche nach einem Nachfolger des 51-Jährigen werde "umgehend" gestartet. Eine Aufarbeitung aus sechs Blickwinkeln.

Der stolze Ex-Trainer

Als Manfred Schmid im Juli 2021 das Traineramt übernahm, stieg er als Kapitän auf ein sinkendes Schiff. Der Wiener hatte zuvor beim 1. FC Köln und bei Borussia Dortmund als Co-Trainer mit internationalen Topkickern gearbeitet. In Favoriten musste Schmid mit einem mittelwertigen Kader und kaum vorhandenen Möglichkeiten am Transfermarkt auskommen. Bei seiner Antrittsrede stellte Schmid "ein, zwei Scheißjahre" in Aussicht.

Niemand hätte zu diesem Zeitpunkt mit einem dritten Platz in der Meisterschaft und dem Einzug in eine europäische Gruppenphase gerechnet. Ein Jahr später spielte die Austria, wenn auch erfolglos, in der Conference League. Schmid sah sich in seinem Weg bestätigt. Einflussnahme auf den Spielstil verbat er sich. "Ich liebe es, Entscheidungen zu treffen, und ich bin von meinen Ideen überzeugt", sagte er im Oktober zum STANDARD.

Zum Abschied versucht Schmid die Wogen zu glätten: "Die Führung der Austria hat sich entschlossen, eine bestimmte Art von Fußball sehen zu wollen. Das ist absolut in Ordnung, aber dafür bin ich nicht der richtige Trainer." Und nicht ohne Stolz sagt er: "Gemeinsam haben wir in diesen eineinhalb Jahren wunderschöne Erfolge gefeiert, die ich selbst kaum für möglich gehalten habe." Die Fans werden ihn weiterhin schätzen.

Foto: APA/EPA/TOLGA BOZOGLU

Der beschädigte Sportdirektor

Zeitgleich mit Manfred Schmid betrat Manuel Ortlechner bei der Austria die Bühne. Der Sportdirektor brachte neuen Schwung in die Generali-Arena. Er förderte die Youngsters, kümmerte sich um eine inklusive und diverse Außendarstellung, entstaubte den Verein und ließ die Austria in der dringend benötigten Gegenwart ankommen. An der Fischhofgasse herrscht seither ein Hauch von Start-up-Atmosphäre.

Nach der gelungenen ersten Saison sah Ortlechner dem Treiben in diesem Herbst lange Zeit wortlos zu. Aussetzer in der Meisterschaft, Pleiten in der Conference League, Cup-Aus gegen den Sport-Club – zumindest nach außen hin kein böses Wort über Trainer oder Mannschaft. Doch hinter der harmonischen Fassade bröckelte längst die Beziehung zum Trainer. Seit dem Sommer fuhren alle Beteiligten mit Bauchweh zur Arbeit.

Offiziell ist von "Auffassungsunterschieden" die Rede. Aber worum geht es tatsächlich? Um den Spielstil. Nach Vorstellung des Sportdirektors sollen der Austria Flügel verliehen werden. Aggressiveres Anpressen, offensiverer Spielaufbau – alles, was junge Spieler für den Transfermarkt attraktiv macht. Die Austria braucht Einnahmen. Ortlechner kam bisher mit den Fans gut aus. Jetzt wird er als Handlanger der Investoren gesehen.

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Der ungeliebte Investor

Jürgen Werner ist der Austria zu einem guten Zeitpunkt erschienen. Der Verein stand kurz vor der Insolvenz, die Investorengruppe rund um den Ex-Profi hat satte 15 Millionen Euro in den Verein gepumpt. Der Oberösterreicher handelt, das wäre auch zu viel verlangt, nicht nur aus Nächstenliebe. Werner denkt an den Return on Investment. Und den sah er unter Trainer Schmid und dessen Spielstil gefährdet.

Dass Werner bei der Austria auch ohne offizielle Funktion mitredet, kommt nicht überraschend. Der Reihe nach wurden Spieler verpflichtet, die der 61-jährige vom LASK bestens kennt. Die Verpflichtung von Marko Raguz um mehr als eine Million Euro sorgte bei Beobachtern für Unverständnis. Werner glaubt fest daran, dass man den Stürmer mittelfristig für vier Millionen weiterverkaufen kann. Haken an der Sache: Raguz war und ist verletzt.

Werner wird sich in den kommenden Tagen öffentlich zurückhalten und Ortlechner die unangenehme Sache mit den Fans ausbaden lassen. Im Hintergrund lässt der bestens vernetzte "Berater" seine Kontakte spielen, um einen Trainer nach seinen Vorstellungen an den Verteilerkreis zu lotsen. Werner droht das Schicksal vieler Investoren im Fußball: Sie kaufen sich teuer ein, die Liebe der Fans bleibt ihnen dennoch verwehrt.

Foto: APA/EXPA/REINHARD EISENBAUER

Der wütende Fan

Keine Frage, die Aufbruchsstimmung in Favoriten war eng mit dem Namen des Trainers verbunden. Schmid war das Gesicht der Austria, ein Vollprofi in der Außendarstellung. Abos und Mitgliedschaften gingen weg wie die warmen Semmeln, Rekorde wurden vermeldet. Der Zuschauerschnitt wuchs im Vergleich zum Vorjahr um 19 Prozent auf rund 10.500 Besucher pro Match.

Trotz durchwachsener Ergebnisse hielten die Fans dem Trainer und der Mannschaft im Herbst den Rücken frei. Die Generali-Arena wurde zur Wohlfühloase. Keine Pfiffe, kein Unmut, viel Verständnis für die angespannte Personalsituation und den dichten Terminkalender. Dass Schmid im Verein umstritten war, wollte außerhalb niemand wahrhaben. Noch vor wenigen Tagen sprach die STANDARD-Leserschaft kollektiv von "Fake News".

Nun hat sich die Stimmung gedreht. Man hört von Fans, die ihre Mitgliedschaft ablegen oder im Frühjahr ihr Abo ruhend stellen wollen. Was im vergangenen Jahr in Sachen Stimmung aufgebaut wurde, ist dahin. Noch am Montagabend suchte Ortlechner das Gespräch mit Fanvertretern. Mit ein paar erklärenden Worten wird es nicht getan sein. Das Vertrauen der Fans ist vorerst weg. Es hat sich in Wut gewandelt.

Foto: APA/EXPA/THOMAS HAUMER

Der dankbare Spieler

Für die Mannschaft bedeutet ein Trainerwechsel immer einen Neuanfang. Die Stammspieler trauern dem Coach traditionell mehr nach als die Bankdrücker. So meldete sich nach der Trennung am Montag Kapitän Lukas Mühl als erster Spieler über Instagram zu Wort: "Danke, Trainer, für eine unfassbar geile Zeit! Danke für Dein Vertrauen und Deinen Input! Hast mich extrem nach vorne gebracht."

Die Worte von Mühl lassen vermuten, dass die Beziehung zwischen Trainer und Mannschaft intakt war. Hier wurde kein amtlicher Abschied formuliert, sondern ehrliche Dankbarkeit. Leistungsträger Manfred Fischer äußert sich ähnlich: "Danke für eine richtig coole Zeit! Ich konnte sehr viel von Dir lernen." Toptalent Matthias Braunöder bedankte sich beim scheidenden Trainer über die sozialen Medien mit einem violetten Herz.

Derzeit befinden sich die Spieler im Urlaub. Den Trainingsstart am 3. Jänner wird bereits der Nachfolger von Schmid leiten. Zeit für eine Gruppentherapie wird es nicht geben. Die Karten werden neu gemischt, jeder Kicker kämpft auf ein Neues um sein Stammleiberl. Die Profis werden den Blick nach vorne richten, es geht um das Erreichen der Meistergruppe – und das wird auch ohne Sentimentalitäten schwierig genug.

Foto: APA/EVA MANHART

Der vorbelastete Nachfolger

Mehrere Namen sind derzeit im Umlauf. Der Oberösterreicher Ronald Brunmayr ist Co-Trainer von Oliver Glasner bei Eintracht Frankfurt. Der Deutsche Robert Klauß coachte zuletzt zwei Jahre lang den 1. FC Nürnberg. Und der Franzose Valerien Ismael trainierte bis Oktober Besiktas Istanbul. Alle haben Verbindungen zum Investor.

Wer auch immer Schmid folgen wird, der Trainer startet mit einer Hypothek. Die Fans werden den neuen Mann kritisch beäugen, ihm wird der Ruf einer Marionette anhaften. Als einer, der von Werners Gnaden installiert wurde. Einer, der die Wünsche des Investors exekutieren muss. Populärer als Schmid kann der Nachfolger nicht sein. Da helfen nur Siege, Siege und nochmals Siege. Und Schmid hat die Latte mit einem dritten Rang in der Vorsaison hoch gelegt.

Die Austria kann sich in der Trainerfrage keinen Fehlschuss erlauben. Es geht schlicht um die Existenz des Vereins. Nur der sportliche Erfolg kann den Klub auch wirtschaftlich wieder in die Spur bringen. Man muss international mitspielen und Profis gewinnbringend ins Ausland transferieren. Der neue Trainer steht von der ersten Minute an unter Druck. Er muss die Fans überzeugen und es der sportlichen Führung recht machen. Eine Zerreißprobe, ein hausgemachtes Pulverfass. (Philip Bauer, 6.12.2022)

Weiterlesen

Paukenschlag: Austria Wien trennt sich von Trainer Schmid

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER