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Wien – Groß war der Aufschrei, als Kinder und Jugendliche durch Lockdowns Unterricht versäumten und den Stoff teils nicht mehr aufholen konnten. Kinder haben ein Recht auf Bildung, hieß es da oft zu Recht. Nun sorgt die unheilige Allianz von Corona, RS-Viren und Influenza wieder für halbleere Klassenzimmer und volle Spitäler.

Genau darum geht es auch der Initiative Gesundes Österreich (IGÖ): Kinder haben ein Recht auf Bildung und auf Gesundheit, urgieren die Mediziner, Naturwissenschafterinnen und Lehrer, die sich vor Monaten zu dieser Initiative zusammengeschlossen haben – DER STANDARD berichtete. Die Luft, in der Kinder und Jugendliche im Schnitt die Hälfte ihres Alltags verbringen müssen, wäre da ein effizienter Hebel, meint die IGÖ.

Sie propagiert seit Monaten saubere Luft, und angesichts der Kinderstationen und Arztpraxen, die im ganzen Land überfüllt oder auf Anschlag sind, hat ihre Forderung neue Brisanz.

Denn nicht nur in Wien, wo derzeit die Klinik Favoriten keine Betten für Kinder mehr frei hat, das AKH volle Kinderstationen meldet und die Zahlen auch in der Klinik Donaustadt und der Klinik Floridsdorf stark steigen, ist die Situation brenzlig.

Grazer Ambulanz

Auch die Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft (Kages) spricht in einer Aussendung von einem "enormen Ansturm". Aktuell würden "200 statt wie im Normalfall 110 Patient*innen pro Tag auf der Ambulanz der Uni-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde versorgt". Im stationären Bereich bestehe ein "Überbelag von 16 Patient*innen", wodurch wiederum Gangbetten benötigt werden. "Aktuell werden außerdem 29 sauerstoffpflichtige Kinder auf der Normalstation versorgt", heißt es aus Graz weiter. Die Dienste des medizinischen Personals werden aufgestockt. Der Appell der Grazer Ärzteschaft: "Bitte lassen Sie Ihre Kinder gegen Influenza impfen! Die Zahl der Patient*innen könnte bei erfolgter Grippeimpfung um 20 Prozent geringer sein."

In Tirol ist die Situation bisher noch entspannter. Für Kinder, die mit schweren Beschwerden in die Ambulanz kommen, gibt es noch ausreichend stationäre Betreuungsplätze. Doch man spüre auch in den Tiroler Landeskliniken, dass die Zahl der Kinder mit Atemwegserkrankungen steige. Immer wieder müssten Kinder auch intensivmedizinisch betreut werden, aber man habe trotz "guter Auslastung noch ausreichend Kapazität", sagt Johannes Schwamberger von Tirol Kliniken.

Am Dienstag lud die IGÖ daher aus aktuellem Anlass zu einem Pressegespräch in den Presseclub Concordia. Arschang Valipour, Vorstand des Karl-Landsteiner-Institutes für Lungenforschung und pneumologische Onkologie betonte dabei: "Erhöhte CO2-Konzentrationen, Schadstoffbelastungen und Aerosole, die Viren und Bakterien enthalten, können die Leistungsfähigkeit herabsetzen und zu akuten oder chronischen Atemwegsbeschwerden führen."

Konzentration

Optimale Raumluftbedingungen, die man mithilfe von erschwinglichen Messgeräten, die den CO2-Gehalt etwa in einem Kindergartengruppenraum oder einem Klassenzimmer feststellen können, wären daher nicht nur gesundheitlich, sondern auch für Konzentration und Lernerfolg sinnvoll.

"Es gibt viel mehr als die Wahl zwischen einem totalen Shutdown und Nichtstun", sagt auch die Public-Health-Beauftrage und Mitbegründerin der IGÖ, Beatriz Villegas Sierra, dem STANDARD am Rande der Pressekonferenz am Dienstag, "doch fehlende Investitionen in Infektionsschutz lassen unsere Jugend auch im dritten Pandemie-Winter weitgehend ungeschützt vor Atemwegsinfektionen zurück, obwohl es einfache und rasch umzusetzende Möglichkeiten der Verbesserung gäbe".

Mediziner Arschang Valipour, Public-Health-Beauftragte der IGÖ Beatriz Villegas Sierra und Techniker und Lehrer Hannes Grünbichler (von links).
Foto: Andi Daniel

Hier seien die Politik und die Gesellschaft gefragt. Villegas Sierra sei "enttäuscht, dass man nichts aus zwei Jahren Pandemie gelernt hat. Zuerst haben wir versucht, die Alten zu schützen, jetzt ist es schon lange an der Zeit, dass wir die Kinder schützen." Gerade RS-Viren zeigten, dass diese für Erwachsene mild verlaufen, doch bei den Kindern, die sie anstecken, nicht."

Mehrere Wege zu sauberer Luft

Um die Luft in Räumen, wo viele Mensch zusammenkommen, auf einem vertretbaren CO2-Level und virenfrei zu halten, gibt es laut IGÖ mehrere Möglichkeiten:

Neben den bereits erwähnten Messgeräten, die natürlich auch richtig bedient werden müssten, sei Lüften das Wichtigste, so Villegas Sierra. Das könne etwa über dauerhaft gekippte Oberlichten passieren – so diese vorhanden sind. Denn in Klassen mit vielen Kindern werde auch durch die Körpertemperatur der Kinder geheizt. Aber auch durch gekippte Fenster mit Vorhang.

"Ich finde es wichtig, aufzuklären, dass es bei Kipplüftung auch nicht zu größeren Energieverlusten kommt als beim Stoßlüften", erklärt dazu IGÖ-Mitglied, Ziviltechniker und Lehrergewerkschafter Hannes Grünbichler, "der Energieverlust ist von der im zeitlichen Mittel ausgetauschten Luftmenge abhängig." In der steirischen Volksschule, die seine Tochter besuche, funktioniere das seit eineinhalb Jahren gut: "Kühle Frischluft strömt nach unten ein und verbrauchte Atemluft nach oben aus. Das wird als sehr behaglich und angenehm empfunden."

Der Konzentration tue das auch gut, wie Villegas Sierra aus Gesprächen mit Lehrerinnen weiß. Zudem gibt es auch eine Harvard-Studie dazu, welchen großen Unterschied frische Luft für die kognitiven Fähigkeiten von Kindern macht. Die Studie ist auf der Homepage der IGÖ verlinkt.

Keine Eigenverantwortung

Weiters gibt es Luftreinigungsgeräte und Belüftungsanlagen dort, wo nicht gelüftet werden kann. "Die einen reinigen die Luft, die anderen tauschen sie aus", erklärt Villegas Sierra. "Abluftventilatoren können infektiöse Atemaerosole besonders wirksam entfernen", betont Arschang Valipour, denn sie würden kurzfristig helfen und könnten kostengünstig und mit geringem Aufwand nachgerüstet und betrieben werden.

Villegas Sierra betont: "Bei der Luft kann man wie bei der Sicherheit und Reinheit von Wasser und Lebensmitteln nicht auf Eigenverantwortung setzen. Hier braucht es gesetzliche Vorgaben." (Colette M. Schmidt, Magdalena Pötsch, 6.12.2022)