Stax-Gründer Jim Stewart ist tot. Das Bild zeigt ihn im hohen Alten mit Absolventen eines Förderprogramms des Stax-Museums in Memphis.

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Es ist eine dieser Geschichten, die zeigen, dass ein Schwarz-Weiß-Denken nichts bringt. Das Leben findet dazwischen statt. Jim Stewart war eine wesentliche Figur der Popmusik. Eine Zuschreibung, mit der er selbst nicht viel anzufangen gewusst hätte, er galt als zu bescheiden, um sich in die Nähe von Superlativen zu begeben.

Und doch: Ohne ihn hätten die Beatles nicht Limousinen zum Flughafen geschickt, als die Stax-House-Band zum ersten Mal mit Stars des Labels nach England reiste. Ohne ihn wären hunderte Hip-Hop-Alben um wesentliche Samples ärmer, ohne ihn wäre die Vision von schwarzen und weißen Musikern in einer Band nicht so bald selbstverständlich geworden.

Jim Stewart gründete zusammen mit seiner Schwester Estelle Axton das Stax-Label in Memphis, Tennessee. Stax wurde in den Jahren seines Bestehens zum wichtigsten Southern-Soul-Label. Ein Verlag, aus dem Oscar-Gewinner hervorgingen wie Isaac Hayes, Weltstars wie Otis Redding, Naturtalente wie Carla Thomas und dutzende andere. Nun ist Jim Stewart gestorben.

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Stewart war ein Kind des Südens, wurde in einem Kaff namens Middleton in Tennessee geboren. Er spielte Geige in verschiedenen Country-Bands, leistete seinen Dienst in der Armee und stand so lange für eine Provinzbank am Schalter, bis es ihm reichte.

STewart und AXton

In der Aufbruchsstimmung des Rock 'n' Roll gründete er 1957 das Label Satellite Records, aus dem vier Jahre später Stax wurde. Der Name setzte sich aus STewart und AXton zusammen, dem Nachnamen seiner Schwester, die er überredete, einen Kredit aufzunehmen, um das Label zu finanzieren. Inmitten eines schwarzen Viertels in Memphis gelegen, entstand in einem alten Kino das Stax-Studio, in dessen Eingangsbereich ein Plattenladen die Produkte verkaufte, die dort in langen Nächten produziert wurden.

Dabei hatte Stewart mit schwarzer Musik ursprünglich wenig am Hut. Erst nachdem er What'd I Say von Ray Charles gehört hatte, änderte sich das für ihn, öffnete sich ihm die Welt des Blues, des Jazz, des Gosples und des Rhythm and Blues.

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Stax war ein ungewöhnliches Unterfangen. Schwarze und weiße Kids fanden dort im Fieber der Musik zusammen, die Hausband des Labels, Booker T. & the M.G.'s, bestand aus zwei weißen und zwei schwarzen Musikern. Bald sprach sich herum, dass Stax farbenblind sei, sprich nicht rassistisch. Talente aus der Nachbarschaft kamen zum Vorsingen und Vorspielen oder begannen als Laufburschen – und manche davon waren ein paar Jahre später Stars.

Jim Stewart in den 1970ern.
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Booker T. & the M.G.'s bestanden aus Booker T. Jones, Steve Cropper, Lewie Steinberg (später Donald "Duck" Dunn) und Al Jackson Jr. Mit dieser naturlässigen Band produzierte Stewart ab den frühen 1960ern jene Hits, die längst zu den Klassikern des Fachs zählen: Green Onions, In the Midnight Hour, Hold on I'm Coming und etliche andere.

Weltberühmte Hausband

Er entdeckte und förderte Talente und Acts wie Isaac Hayes, David Porter, Rufus Thomas und seine Tochter Carla, die mit Gee Whiz (Look at His Eyes) einen ersten Riesenhit hatte.

Bald kamen andere Produzenten mit ihren Schützlingen zu Stax, um mit der Hausband aufzunehmen, wollten mit derselben Band spielen, die Otis Redding zum Star gemacht hatte: Stewart schloss mit Atlantic Records einen Vertriebsdeal ab, dessen Hausproduzent, Jerry Wexler, kam mit Wilson Pickett vorbei, brachte Sam & Dave und, und, und. Neben der Hitmaschine Motown in Detroit wurde Stax zum wichtigsten Soul-Label.

Von Atlantic über den Tisch gezogen

Stewart war ein Visionär, wie Sam Phillips es etwas weiter in Richtung Innenstadt mit den Sun Studios gewesen war. Wie der Entdecker von Elvis Presley erkannte Stewart die verbindende Kraft der Musik. Nur wenn Stax-Acts auf Tour gingen, wurden sie daran erinnert, dass in den USA immer noch Rassendiskriminierung herrschte.

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Stax hatte das überwunden, wurde erst durch das vergiftete Klima, in dem Martin Luther King 1968 in Memphis erschossen wurde, wieder daran erinnert, dass die eigene Farbenblindheit schon vor der Türe endete. Als es nach Kings Ermordung in Memphis zu gewaltigen Aufständen kam, blieb Stax verschont. Jeder wusste, wofür das Label stand.

Der Deal mit Atlantic Records brachte Stax Ende der 1960er ins Wanken, denn Stewart hatte in blindem Vertrauen einen Vertrag unterschrieben, der alle Masterbänder und die Verwertungsrechte daran Atlantic beziehungsweise Warner zusprach.

Ende und Renaissance

Geknickt verkaufte er Stax an Paramount Pictures, blieb aber in der Firma, die vor ziemlich genau 55 Jahren mit Otis Redding ihren größten Star bei einem Flugzeugabsturz verloren hatte. In den folgenden Jahren begann ein langsamer Abstieg. Zwar feierte Stax mit Hayes und ein paar anderen weltweite Erfolge, doch die aggressive Firmenpolitik Al Bells, des Stax-Vizes, brachte das Unternehmen an den Rand des Ruins.

1976 war dann Schluss, Stax Geschichte, seine Stars gingen nach Los Angeles oder feierten auf anderen Labels Erfolge. Stewart zog sich aus der Öffentlichkeit weitgehend zurück.

Erst in den letzten 20 Jahren erlebte Stax, das nach seinem Abriss zu einem Parkplatz geworden war, eine Renaissance. Das Stax-Museum ist heute neben Elvis' Graceland eine der größten Touristenattraktionen in Memphis und erinnert an den enormen kulturellen Einfluss, den Jim Stewart und seine 2004 verstorbene Schwester mit Stax hinterlassen haben. Im Alter von 92 funky Jahren ist Jim Stewart am Montag gestorben. (Karl Fluch, 6.12.2022)