Wien – "Ist noch etwas frei? Wir würden heute gerne hier übernachten", sagt eine junge Frau. Die Uhr zeigt bereits 22 Uhr an. "Klar", ist die Antwort. Möglichkeiten gebe es in den Räumlichkeiten um den von Erde brennt besetzten Hörsaal C1 genug. Über einer Brüstung hängt eine Hängematte im Schatten eines Stiegenaufgangs – einer der gemütlicheren Plätze, um die Nacht zu verbringen.

Das STANDARD Videoteam war vor drei Wochen gleich zu Beginn der Besetzung vor Ort und erkundigte sich nach den Zielen und Forderungen der Studierenden.
DER STANDARD

Weitere Schlafplätze gibt es zudem in den umliegenden Seminarräumen, auf deren Böden unzählige Isomatten und Schlafsäcke verteilt sind. Das Licht ist um diese Uhrzeit bereits abgeschaltet. Ein leises Schnarchen ist zu vernehmen, auf einem Türschild steht, dass man leise sprechen soll. Tische, auf denen sonst während der Seminare fleißig mitgeschrieben wird, dienen in der Nacht als Barrieren, um die Schlafplätze zu unterteilen. Viele machen sich bereits fertig, um zu Bett zu gehen. Neben der Tür lehnt eine Studentin und putzt sich die Zähne.

Komfort sieht vermutlich anders aus: Die Aktivistinnen und Aktivisten übernachten mit Schlafsäcken am Boden.
Foto: Heribert Corn

Dort finden sich schließlich auch die drei Neuankömmlinge ein, die sich spätabends dazu entschlossen haben, im besetzten Uni-Gebäude zu übernachten. Seit drei Wochen ist der Hörsaal von Aktivistinnen und Aktivisten von Erde brennt besetzt. Ziel des Protests sei es, das "fossile Wirtschaftssystem" zu beenden und die Krisen im Bildungsbereich und im Umweltbereich zu bewältigen.

Zahnpasta, Zahnbürste und Duschgel haben die Neuen eingepackt und genügend anderes Zeug, um auch mehrere Nächte hier ausharren zu können. Im großen Hörsaal schlafen nur die wenigsten – dort lässt die Privatsphäre eher zu wünschen übrig. Zu sehr liegt man in der Auslage des Protests. Rund 30 Studierende übernachten an diesem Tag im Gebäude.

Nachtruhe mit Musik

Nach einer kurzen Einführungstour für die neuen Studentinnen ist es auch bereits 22.30 Uhr, an Schlafengehen denken allerdings nur die wenigsten. Mehr oder weniger freiwillig. Denn aus der Aula vor dem Hörsaal kommen rhythmische Schlagtöne und sanfte Bassklänge, die durch die großen Räume des Uni-Gebäudes hallen. Eine spontane Jam-Session hat begonnen – verwendet werden selbstgebaute Instrumente. Ein Schachbrett dient nun als Resonanzkörper für einen Bass. Ein Mistkübel, mehrere Dosen und ein hohler Holzkörper halten für ein Schlagzeug her.

"Ich war bereits in der Lobau bei der Besetzung dabei und bin nun auch hier", erzählt der junge Bassspieler. Sein Freund und er, die beide anonym bleiben wollen, sind bereits seit rund drei Wochen auf dem Unicampus. Nur ab und zu gehe man nach Hause. "Es fehlt vor allem an einer Dusche", lacht der Student.

In der Aula wird geplaudert und gegessen.
Foto: Heribert Corn

Ein wenig weiter auf einer Garnitur Heurigenbänke sind ein herzhaftes Lachen und ein lautes Gespräch zu vernehmen. Zu später Stunde hat sich dort noch eine Gruppe Studierender zusammengefunden, um über politische Themen zu philosophieren. Wem die Musik und der Tratsch zu laut sind, findet ein ruhigeres Plätzchen rund um die großen Räumlichkeiten des Hörsaals. Dort mitten auf de Gang hat sich ein Student einen eigenen Schreibtisch eingerichtet. Kopfhörer in den Ohren und die Augen fest auf den Bildschirm fixiert, ist er vertieft in seine Arbeit.

Küche für alle

Wer es dann lieber doch geselliger hat, geht wieder zurück in die Aula, die als Treffpunkt für gemütliche Plauderrunden dient. Etliche Plakate, Flyer und Banner kleben an den Wänden und Säulen. Neben den Heurigentischen wartet ein großer Topf mit Suppe, von dem sich jeder und jede einen Teller nehmen kann. Die sogenannte "Küfa", die Küche für alle, bereitet für viele Studentinnen und Studenten ein Essen zu. Lebensmittel werden dafür aus Müllcontainern von Supermärkten gesammelt, die brauchbares Essen wegen des Ablaufdatums ohnehin entsorgen würden.

Für die Lagerung verwenden die Besetzer einen Windfang und lassen die Außentüren offen stehen – die kalten Außentemperaturen ermöglichen diesen improvisierten Kühlschrank. Für hunderte Studierende reicht es dann aber nicht, gekocht kann nur für eine begrenzte Anzahl werden. Den Müll nehmen die jungen Menschen wieder selbst mit, um ihn zu Hause zu entsorgen. "Eine Besetzung ist ungefähr so, wie einen Haushalt zu führen", sagt Bruno Sanzenbacher von Erde brennt.

Es wird kälter

Schnell verderben würden die Lebensmittel aber in den anderen Räumen wohl auch nicht. Denn die Heizung lasse seit drei Wochen permanent nach, meint Sanzenbacher und nimmt an, dass das Rektorat bei den Heizkosten sparen wolle. Anfangs sei es noch möglich gewesen, mit einem T-Shirt durch die Räume zu wandeln. Jetzt sei es um einiges kühler geworden. Die meisten Studierenden, die sich im besetzten Gebäude aufhalten, tragen dicke Pullover und sind winterlich angezogen.

Angst vor einer Räumung hat man allgemein nicht. "Wenn es passiert, dann passiert es", ist der Grundtenor. Auch die nicht verschlossenen Türen im Gebäude beunruhigen die meisten nicht, wobei es schon zu einem Zwischenfall gekommen ist. "Ein Gegner der Bewegung kam in einer Nacht und fotografierte schlafende Personen und versendete die Fotos im Internet. Daraufhin kam es auch zu Drohungen", erzählt Sanzenbacher.

Im besetzten Unigebäude bricht ein neuer Tag an.
Foto: Heribert Corn

In der Aula der Unifestung beginnt für die meisten Aktivistinnen und Aktivisten der nächste Tag. Ein gemeinsamer Tee oder Kaffee bringt einen weiteren Besetzungstag. Durch die Gänge mit den unzähligen Plakaten und dem tippenden Studenten, der wieder an seinem eingerichteten Arbeitsplatz sitzt, geht es in den großen Hörsaal zurück. Vorne an der grünen Tafel hängt ein Zettel, der gerade noch ausgetauscht wurde: Tag 21. (Max Stepan, 7.12.2022)