Wir reden hier über Kriegsverbrechen. Die gezielte Bombardierung von Wohngebieten, Infrastruktur, die Morde, Vergewaltigungen, Folterungen, Verschleppungen von Ukrainern (besonders ukrainischen Kindern) durch Wladimir Putins Armee entspricht genau der Definition, für die andere "Feldherren" – zum Beispiel der serbische Ministerpräsident Slobodan Milošević und der General Ratko Mladić – vor dem Tribunal in Den Haag gelandet sind.

Putins Kalkül ist offenbar, dass er den Willen der Ukrainer durch einen eisigen Winter brechen können wird, nachdem seine Truppen am laufenden Band Rückschläge auf dem Schlachtfeld hinnehmen mussten. Analog dazu hofft er, dass der Westen – Europa und die USA – müde werden bei der Unterstützung der Ukrainer und diese zu einem Frieden drängen, der Putin zumindest einen Teil der in der Anfangsphase des Krieges eroberten plus die früher abgetrennten Gebiete Donbass und Krim behalten lässt.

Es bestehen gute Chancen, dass sich Putin ein weiteres Mal in der Beurteilung der Situation katastrophal irrt. Bekanntlich hatte er anfangs geglaubt, die Ukraine werde unter dem ersten Schlag nach wenigen Tagen zusammenbrechen. Der "zerstrittene und dekadente" Westen werde das schon hinnehmen.

Putin will den Willen der Ukrainer durch einen eisigen Winter brechen.
Foto: AP/Mikhail Metzel

Gewaltiger Irrtum. Die Ukrainer zeigen überhaupt keine Lust, wieder unter die liebevolle Obhut des russischen Großreiches zurückzukehren (wie österreichische Journalisten schon 2015 bei einer Informationsreise feststellen konnten). Der Westen liefert – Waffen, Geld, infrastrukturelle Anlagen, aber vor allem militärisch-nachrichtendienstliche Informationen. Das ist der Grund, warum der erste Handstreich auf Kiew mit Spezial-Luftlandetruppen in einer Katastrophe endete, warum wichtige russische Einheiten präzise abgeschossen werden etc.

Offensivkraft verloren

Aber wie endet das alles? Hohe Offiziere des österreichischen Bundesheeres liefern in Interviews sehr gute militärische Analysen, die davon ausgehen, dass die russische Armee ihre Offensivkraft nahezu vollständig verloren hat und bestenfalls zu einem eingefrorenen Konflikt fähig ist.

Aber da ist noch der politische Aspekt. Die Expertin Tatjana Stanojawa von der Carnegie-Stiftung spricht in einer Analyse in Foreign Affairs davon, dass es in Russland zwei Lager in der Führung gäbe: die "Realisten", die sich mit einem Einfrieren ungefähr auf der jetzigen Linie begnügen würden – und die Hypernationalisten, die die Ukraine um jeden Preis besiegen wollen, und sei es mit Atomwaffen. Keine der beiden Gruppen hat einen klaren Vorteil. Wie Putin dazu steht und ob er nicht schon an Macht verliert, ist unklar.

Stanojawa spricht aber einen enorm wichtigen Aspekt an: Beide Gruppen und auch ein großer Teil der Bevölkerung befürchten einen Zusammenbruch des Regimes und einen territorialen Zerfall von Russland, wenn es den Krieg "verliert". Der Westen müsste daher klare Garantien abgeben, dass er an Russland als stabilem, einheitlichem Staat interessiert ist. Die russische Paranoia versteht die Unterstützung für die Ukraine ja als "antirussisches" strategisches Projekt. Gleichzeitig hat man im Westen aber wohl endlich erkannt, welche Gefahr von den großrussischen Fantasien ausgeht, und bleibt standhaft.

Auch in zuständigen österreichischen Regierungskreisen glaubt man an ein Einfrieren, wobei der Donbass und die Krim für die Ukraine nicht (mehr) zu haben seien. Allerdings ist das wohl nur möglich, wenn sich in Moskau wie auch in Kiew die "Realisten" durchsetzen. Zuletzt ist ein neues Moment dazugekommen: Offenbar griff die Ukraine tief in Russland Flugplätze mit Drohnen an. (Hans Rauscher, 7.12.2022)