Am Mittwoch steht die Pariser Metro still.

Foto: AFP/ALAIN JOCARD

Am Dienstagmorgen ist die A-Linie der Pariser Vorortbahn RER wieder einmal stillgestanden. Hunderttausende von Pendlern waren betroffen. "Und jetzt wollen sie auch noch den Fahrpreis erhöhen?", tippte ein wartender Mann in sein Telefon. "Das ist zum Totlachen – die Züge verkehren ja nicht einmal. Die Linie A ist die schlimmste von allen!" Aus einem anderen Eck des Pariser Großraums twittert jemand zurück: "Ich kenne die Linien C, D und E. Seid versichert, Freunde, die Katastrophe ist überall."

Alltag in Paris. Fast drei Millionen Pendler nehmen täglich die Vorortbahn, um ins Stadtzentrum zu fahren. Eine Million allein entfällt auf die Linie A, die Paris von Ost nach West durchquert. Sie ist berüchtigt für ihre Ausfälle, Pannen und chronischen Verspätungen. Und je verspäteter, desto überfüllter sind die Züge. "Auch heute wieder: la galère", twitterte eine Userin von der Nord-Süd-Achse, der Linie B. Die "Galeere", das ist der französische Ausdruck für Mühsal und Elend.

Unverbindliche Zeitpläne

Seit der Covid-Zeit ist alles noch viel schlimmer geworden. Das Angebot an Zügen schrumpfte zeitweise um mehr als die Hälfte. Bis heute wurde der Rückstand nicht wettgemacht. Fahrpläne gelten an einzelnen Tagen nur noch unverbindlich. Ein Grund ist: Den Vorstadtlinien und der Pariser Metro fehlen über hundert Chauffeure.

Und die verbleibenden streiken an diesem Mittwoch, um den Teuerungsausgleich zu fordern. Doch die Kassen der Verkehrsbetriebe SNCF und RATP sind leer. Allein die Energieausgaben sind so stark gestiegen, dass die RER- und Bus-Linien der Pariser Agglomeration fast über Nacht ein Defizit von 450 Millionen Euro eingefahren haben.

Die verantwortliche Regionalratsvorsteherin Valérie Pécresse kündigte an, der Preis für das Monatsabo "Passe Navigo" werde von 75,20 auf 90 Euro steigen; ein Fahrschein der Pariser Metro soll sich von 1,90 auf 2,30 Euro verteuern.

Auto oder Schwarzfahren als Ersatz

Das ist zu viel für viele Pendler. Viele schrieben in den Leserbriefspalten des Lokalblattes "Le Parisien", sie könnten ihr Abo nicht mehr erneuern. Die einen wollen auf das umweltschädliche Auto umsteigen, andere in Zukunft aus Protest schwarzfahren.

Pécresse steht unter Druck. Die im April gescheiterte Präsidentschaftskandidatin ließ nun verlauten, der Regionalrat könnte einzelne Bauprojekte für die Olympischen Sommerspiele von 2024 in Paris blockieren, um dafür die Abo-Kosten nicht über Gebühr erhöhen zu müssen. Die Union der Linksparteien und Grünen, Nupes, verlangt ein Einfrieren der derzeit gültigen Tarife für das ganze kommende Jahr.

Staat kündigt Unterstützung an

Die Regierungspartei von Präsident Emmanuel Macron scheint nun einzulenken: Transportminister Clément Beaune versprach am Dienstag, der Staat werde der Pariser Region am Mittwoch – wenn die Regionalbehörde IDFM entscheiden wird – "unter die Arme greifen". Doch wer auch immer zahlt: An der Kostenexplosion im öffentlichen Verkehr von Paris ändert dies nichts. Die meisten Gemeinden Frankreichs haben die Lokalsteuern bereits massiv erhöhen müssen. Die Frage ist nur, wann Macron die Einkommenssteuern landesweit erhöhen muss. (Stefan Brändle aus Paris, 6.10.2022)