Wien – Im Green Deal der EU-Kommission ist vorgesehen, den Einsatz von chemischen und gefährlichen Pestiziden in der europäischen Landwirtschaft bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren. Umweltschutzorganisationen haben die Sorge, dass dieses Ziel zahnlos bleibt. Diesen Samstag im Vorausschuss des Agrarministerrates könnte die neue Pestizidverordnung (Sustainable Use Regulation, SUR) zur nachhaltigen Anwendung für Pflanzenschutzmittel für das nächste halbe Jahr auf Eis gelegt werden, fürchtet etwa Global 2000.

Verschleppungstaktik

Es geht um die von der Kommission im Juni 2022 anvisierte "Verringerung des Einsatzes und der Risiken von Pestiziden bis 2030", SUR legt die Ziele der Farm-to-Fork-Strategie und Maßnahmen zu deren Umsetzung verbindlich fest. Das Vorhaben würde durch eine Blockade von mehreren EU-Staaten – darunter auch Österreich – zumindest verzögert, wenn nicht gar verunmöglicht, meint Helmut Burtscher-Schaden, Umweltchemiker von Global 2000.

Ähnlich sehen das die beiden EU-Abgeordneten der Grünen, Sarah Wiener und Claude Gruffat. Der Hintergrund: Der Agrarministerrat (in dem die zuständigen Landwirtschaftsminister und Landwirtschaftsministerinnen aller EU-Mitgliedsstaaten sitzen) soll über einen Beschluss abstimmen, mit dem die Kommission aufgefordert wird, eine zusätzliche Folgenabschätzung ("Impact Assessment") zur neuen Pestizidverordnung durchzuführen. Mehrere Länder sind dafür, darunter auch Österreich. Global 2000 ortet Verschleppungstaktik.

Pestizide töten Schädlinge, aber sie fügen auch der Umwelt und der menschlichen Gesundheit Schaden zu. Deswegen soll weniger verwendet werden, das ist auch das Ziel einer neuen EU-Verordnung.
Foto: Imago/Arnulf Hettrich

Österreich habe bereits beim EU-Agrarministerrat am 26. September 2022 (gemeinsam mit Bulgarien, Estland, Ungarn, Lettland, Malta, Polen, Rumänien, Slowakei und Slowenien) in einem Non-Paper eine solche ergänzende Folgenabschätzung zum Gesetzesvorschlag der Kommission gefordert. Werde dem nachgekommen, könnte der Gesetzesvorschlag zu Fall gebracht werden, so Global 2000.

Auf Eis

Die SUR-Verordnung könnte dann möglicherweise nicht vor den EU-Wahlen 2024 beschlossen werden. Auch die Grünen Sarah Wiener (sie führt die Verhandlungen im Parlament für den Umweltausschuss, Anm.) und Claude Gruffat (Schattenberichterstatter und damit Mitverhandler im Agrarausschuss, Anm.) die für die SUR in den jeweiligen Ausschüssen des EU-Parlaments sitzen, sehen diese Gefahr. Die Arbeit an der Verordnung könnte fürs Erste auf Eis gelegt werden, denn viele Länder sehen noch viel Diskussionsbedarf, etwa was die Frage der Ernährungssicherheit oder auch was bürokratische Hürden betrifft.

Blockadehaltung

Derzeit sind es laut Global 2000 17 EU-Staaten und damit die Mehrheit, die den Wunsch nach einer Folgenabschätzung hegten. Der Kommissionsentwurf sei nicht perfekt, "aber diese komplette Blockadehaltung vonseiten des Rats erschwert die Arbeit am Dossier noch zusätzlich", klagt Sarah Wiener. Der Ruf nach weiteren Studien sei nicht mehr "als eine fadenscheinige Ausrede, um die Verhandlungen zu stoppen".

Eine Selbstfahrspritze beim Verteilen von Pflanzenschutzmittel auf einem Feld in Deutschland. Mit wie wenig Ackergiften die Landwirtschaft ihr Auskommen findet, ist wiederkehrend Gegenstand heftiger Debatten.

Das heimische Landwirtschaftsministerium kontert: Durch die bisherige Folgenabschätzung würden "die aktuellen multiplen Krisen und das Thema Lebensmittelversorgungssicherheit, insbesondere die globale Versorgungssicherheit vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, sowie die Auswirkungen auf die EU-Lebensmittelproduktion zu wenig berücksichtigt".

Zudem würde der Vorschlag der Kommission Vorleistungen, die etwa Länder wie Österreich bereits erbracht hätten, zu wenig einkalkulieren. "Hierzulande sei unter anderem durch die Umstellung auf biologische Landwirtschaft der Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln bereits deutlich reduziert worden. Das gelte aber auch für die konventionelle Landwirtschaft. So hätten sich die hierzulande in den Verkehr gebrachten Wirkstoffmengen im Zehnjahresvergleich um rund ein Fünftel verringert.

Verständnis für Bedenken

Auch Siegrid Steinkellner, Leiterin des Instituts für Pflanzenschutz an der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien, ortet in Österreich "bereits eine hohe Sensibilität" in Sachen Einsatz von Pestiziden und hält Bedenken grundsätzlich für berechtigt. Steinkellner verweist auf die Wachau, die zu den sensiblen Gebieten gehöre. In solchen Gebieten ist laut Kommissionsvorschlag ein generelles Verbot von Pestiziden vorgesehen. Weinbau sei dann gefährdet, sagt Steinkellner. (Regina Bruckner, 7.12.2022)

Anmerkung: Sarah Wiener ist Berichterstatterin und nicht Schatternberichterstatterin wie es irrtümlicherweise im Artikel geheißen hatte, wir haben das korrigiert.